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Das Gustav-Gans-Phänomen
Will man über „Glück“ schreiben, führt ja nichts um Gustav Gans herum. Falls den irgendwer wirklich nicht kennt: Die Ente mit der Föhnfrisur ist eine Figur aus den Lustigen Taschenbüchern, die ihren Lebensunterhalt damit bestreitet, ständig Portemonnaies auf der Straße zu finden. Eine fiktive Comic-Figur natürlich. Aber mit sehr realen Entsprechungen. Es gibt diese Gustav-Gans-Personen auch abseits von Entenhausen. Jeder, wirklich jeder, hat so eine Person in seinem Freundeskreis.
Bei mir fing das schon in der Schule an. Mit meiner Freundin A., die ständig irgendwas gewann. Bei ihr zu Hause stapelten sich kiloweise Popcorn (ein Kino-Preisausschreiben), absurde Bücher (ein Geschichtenwettbewerb) und Fanpakete von Radio-Gewinnspielen. A. fand auch häufig Geld auf dem Boden. Und beim obligatorischen „Spinde checken“ im Schwimmbad hatte sie fast immer Glück und fummelte regelmäßig Euromünzen hervor.
Ich, die nie irgendetwas gewann (bis auf einmal einen Preisausschreiben-Plüsch-Elch, den mein jüngerer Bruder bei seiner nächsten Magendarmgrippe vollkotzte, und den Mutter daraufhin wegschmeißen musste) profitierte von ihrem Glück. A. teilte ihre Gewinne nämlich stets mit mir. Erst, als meine erste große Liebe sich in sie statt in mich verliebte, änderte sich das. Und ich fing an, ihr das ständige Glück zu missgönnen. Unsere Wege trennten sich.
Die Gustav-Gans-Typen blieben. Im Studium, wo sie Hausarbeiten zur Deadline nicht fertig hatten – aber wie von Zauberhand automatisch eine Verlängerung bekamen, während ich unter Vortäuschung von Magenschmerzen schamerfüllt zum Arzt rennen musste. Während diese Menschen nach Mensa-Gewinnspiel Laptops und Kameras zugeschickt bekamen, waren es bei mir Spam-Mails. Sie wurden mit gutbezahlten Praktika zugeschmissen, ich wurde sogar für die unbezahlten mit acht Monaten Vorlaufzeit abgelehnt. Und irgendwann in dieser Phase, man ahnt es schon, begann ich, diese Leute zu hassen. Weil ich das Gefühl hatte, dass das Glück unfair verteilt ist. Dass es quasi genetisch ist und ich nichts dagegen tun kann. Manche werden als Gustav Gans geboren, andere, wie ich, als Donald Duck. Aber stimmt das wirklich?
Zum Glück leben wir nicht mehr in den Achtziger Jahren, sondern zu Hochzeiten der „Positiven Psychologie“
Wäre dieser Text in den Achtziger Jahren verfasst worden, hätte man wohl noch eindeutig gesagt: Ja! Damals wurden die Ergebnisse der Minnesota-Zwillingsstudien veröffentlicht, die aufzeigten, dass auch separat voneinander aufgewachsene, eineiige Zwillinge ähnliche Lebensverläufe zeigen, also zum Beispiel zu ähnlichen Zeitpunkten heiraten und sich scheiden lassen, und in ihren Leben ähnlich glücklich sind. Die logische Schlussfolgerung der Forscher: Glück ist erblich. Der Leiter der Studie, Dr. David Lykken, wurde daraufhin sogar oft mit dem Satz zitiert „Der Versuch, glücklicher zu sein, ist ähnlich fruchtbar wie der Versuch, größer zu werden, und somit kontraproduktiv.“ Bedeutet: Donald Duck kann sich noch so sehr anstrengen, er wird nie Gustav Gans – und muss sich damit abfinden.
Die Ratgeberindustrie scheint dieser Feststellung allerdings seit einigen Jahren (wenigstens in Verkaufszahlen) erfolgreich zu trotzen. Wer sich heute im Buchladen umschaut, wird überschüttet mit Motivations-Botschaften, wie man auch als Donald noch Glück haben kann. Diese Wege variieren, je nach Autor, von „Schmeiß alles weg“, über „Umarme einen Baum“ bis hin zu „Sei richtig faul und du wirst glücklich.“ Auch wenn insbesondere Letzteres verlockend klingt – so richtig ernst nehmen will man das nicht. Und das könnte falsch sein.
Denn zum Glück leben wir nicht mehr in den Achtziger Jahren. Sondern zu Hochzeiten der „Positiven Psychologie“. Diese geht davon aus, dass das persönliche Glücksempfinden sehr wohl steigerbar ist. Ihr Pionier, der amerikanische Psychologie Martin Seligman, geht sogar soweit, wissenschaftlich bewiesen haben zu wollen, dass Menschen, die positiv auf ihr Leben blicken, länger leben – unabhängig davon, ob sie objektiv gesehen jetzt wirklich viel Glück hatten oder nicht. Seine Kernbotschaft kann grob zusammengefasst werden in: Konzentrier dich auf die Fähigkeiten, in denen du gut bist, dann wirst du auch authentisch glücklich. Dass Glück sich nämlich aufrichtig anfühlt, man also nicht nur behauptet, glücklich zu sein, weil man beispielsweise sehr reich ist, ist für Seligmann besonders wichtig.
Spinnt man diesen Gedanken weiter, können Menschen theoretisch also tatsächlich durch das Umarmen von Bäumen glücklicher werden – insofern es das ist, was sie gut können und mögen. „Glück“ ist ein sehr subjektiver Begriff, nicht umsonst tun sich Wissenschaftler seit Jahren schwer damit, ihn zu definieren. Die Gustav-Gans-Typen zum Beispiel haben offenkundig Glück, im Sinne des englischen Wortes „lucky“. Aber sind sie gleichzeitig auch glücklich? Meine Freundin A. war es sicher nicht, nachdem ich ihr wegen des Jungen die Freundschaft gekündigt habe. Dabei konnte sie ja nichts dafür, dass ihr sonniges Leben ihn genauso anzog wie mich. Es war einfach authentisch.
Was zurück zu den Lustigen Taschenbüchern führt: Objektiv betrachtet hat Gustav zwar mehr Glück, die Entendame Daisy bekommt am Ende trotzdem stets Donald. Und das eben meist in jenem Augenblick, in dem er aufhörte, wie Gustav sein zu wollen. Wenn er stattdessen – da ist es schon wieder – authentisch ist. Gustav ist darüber meist kurz unglücklich, wird dann aber doch wieder davon abgelenkt, dass er gerade ein Portemonnaie auf der Straße gefunden hat. Sind halt doch wahnsinnig weise, diese Lustigen Taschenbücher.