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Warum Wohnungssuche nichts und gleichzeitig sehr viel mit Glück zu tun hat
Eigentlich läuft es immer gleich ab. Man betritt eine Wohnung, in die zum Beispiel ein Freund gerade eingezogen ist. Man begrüßt den Bewohner, man legt die Jacke auf einen Stuhl, weil es noch keine Garderobe gibt, und geht dann beim Wohnungsrundgang zum Tagesordnungspunkt „Staunen“ über: „Wow, so ein schöner Parkettboden“, „Super, so eine große Wohnküche“, „Ach cool, ein Tageslicht-Bad“, „Oh, du hast ja sogar einen Balkon!“ Der Bewohner fühlt sich derweil geschmeichelt – obwohl er die Wohnung ja nicht gebaut hat –, um sich dann aber in Demut zu üben und zu sagen: „Ja, ich hatte echt Glück!“
Dieser Satz fällt fast immer, wenn jemand eine schöne Wohnung gefunden hat. Vor allem in Städten wie München, wo die Wohnungsnot bekanntermaßen besonders groß ist. Und natürlich sollte man dankbar sein, wenn man diese Not durchgestanden hat und ihr letztlich entronnen ist. Wenn man nach dreißig Wohnungsbesichtigungen, endlosen Selbstauskünften und Stressausschlag in der Armbeuge endlich eine neue Bleibe gefunden hat. Wenn man sich gegen unzählige andere Bewerber durchgesetzt hat. Natürlich gehört dazu auch irgendwie Glück.
Trotzdem ist diese Aussage Bullshit. Denn dieser Satz klingt wie: „Ohne dieses Glück würde ich jetzt auf der Straße sitzen.“ Nach Gerade-noch-so-der Katastrophe-entkommen oder Es-war-kurz-davor-zu-scheitern-aber-puh. Und das ist in den meisten Fällen einfach nicht wahr. Denn es sind ja eigentlich immer die Wohlhabenden, die Okay-bis-besser-Verdiener, die mit deutschem Pass und Festanstellung und sauberer Schufa-Auskunft, die diesen Satz sagen. Und zwar in akzentfreiem Deutsch. Die, die am Ende immer eine Wohnung finden und zwar nicht irgendeine, sondern eine, die ihnen gefällt und in einem beliebten, zentralen Viertel liegt. Die, die sozial gut aufgestellt sind und auf jeden Fall noch irgendwo übergangsweise untergekommen wären, zähneknirschend zwar, aber halt mit Dach überm Kopf und vier Wänden, von denen aus sie hätten weiter suchen können. Die, die vielleicht sogar schon ein bis drei Wohnungen abgesagt haben. Die, die Auswahl haben. Und darum eigentlich sagen müssten: „Ich hatte Glück, dass ich am Ende eine Wohnung gefunden habe, die meinen hohen Ansprüchen einigermaßen gerecht wird.“
„Glück haben“, so steht es bei Wikipedia, bedeutet „durch ein unvorhersehbares Ereignis begünstigt zu sein.“ Hier gab es aber kein unvorhersehbares Ereignis. Eigentlich war von Anfang an klar, dass dieser Mensch unterkommen und mit der Unterkunft einigermaßen zufrieden sein wird. Er brauchte dafür kein Glück, weil er bei der Schlacht der Privilegien, die auf dem Wohnungsmarkt tobt, gute bis sehr gute Waffen ins Feld führen konnte.
Aber „Glück haben“, so steht es ebenfalls bei Wikipedia, kann auch bedeuten „schicksalhaft […] begünstigt zu sein.“ Und insofern trifft der Satz dann doch wieder zu. Der Bewohner der schönen Wohnung hatte Glück – es hat nur viel früher eingesetzt, lange, bevor er angefangen hat, Immoscout zur durchforsten und Facebook-Statusmeldungen abzusetzen. Vermutlich schon am Tag seiner Geburt. Demut und Dankbarkeit sind also völlig in Ordnung, wenn nicht sogar angebracht. Nur eben mit anderer Stoßrichtung. Allgemeiner. Grundsätzlicher.
Für manche bedeutet Wohnungssuche Stress, für andere reine Existenzangst
Das alles soll nicht bedeuten, dass Wohnungssuche nicht für jeden von uns unfassbar nervig ist. Wohnungsnot betrifft sehr viele von uns, sie ist ein umfassendes, ein gesellschaftliches Problem. Aber manche spüren davon eben mehr als andere. Für manche bedeutet Wohnungssuche wochenlangen Stress und die ein oder andere schlaflose Nacht. Für andere bedeutet sie reine Existenzangst. Das ist immer noch ein Unterschied. Oder, wie eine kluge Kollegin mal in einem Text zum Thema Mieten in München und fehlende Sozialwohnungen schrieb: „München - […] eine Stadt, in der so viele klagen, keine Wohnung zu finden, manche aber doch nur nach dem nächsten Altbau suchen, mit Flügeltüren. In der manche zu schnell vergessen, dass Wohnungsnot nicht bedeutet, dass man nicht die Wohnung findet, die man gerne hätte. Sondern überhaupt keine.“
Die Protagonisten im Text der Kollegin leben zu dritt in einem Zimmer, auf 25 Quadratmetern. Wenn sie jemals eine Wohnung finden oder zugeteilt bekommen, die ihnen genug Platz bietet und trotzdem bezahlbar ist, dann werden sie kaum sagen, dass sie Glück hatten. Sondern eher, dass es vielleicht doch noch ein bisschen Gerechtigkeit gibt.