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Protokolle mit Vermietern
Manuela, 35, vermietet mit ihren Geschwistern ein geerbtes Mietshaus
Zigarettenstummel ausgedrückt in halb aufgegessenen Sardinenbüchsen, in alten Pizzakartons, auf CD-Hüllen, Tellern, der Couchlehne und sogar auf dem Boden. Das Aquariumwasser trüb, die Fische schwimmen auf den Bauch, unfassbarer Gestank. Und das alles in einer Wohnung mit Fenster Richtung Südseite. Im August. Nur noch getoppt vom Badezimmer: Herr M. hatte in die Badewanne geschissen, offenbar sehr oft. Wahrscheinlich weil das Klo verstopft war.
Nein, ich beschreibe keine Fernsehsendung, die man mit einer Mischung aus Ekel und Faszination schaut und dabei denkt: „Leute gibt`s! Aber die übertreiben da doch bestimmt auf diesem Privatsender.“ Dieser Anblick und vor allem dieser Geruch erwartete mich und meinen Anwalt, als wir die Wohnung von Herrn M. öffneten, der schon ziemlich lange keine Miete mehr gezahlt und sich offenbar aus dem Staub gemacht hatte. Vorangegangen waren viele Briefe und Aufforderungen zur Zahlung, die ignoriert wurden. Insgesamt war Herr M. fast zwei Jahre Miete schuldig, deshalb konnte eine sogenannte „Berliner Räumung“ durchgeführt werden. Dabei wird nur das Schloss ausgewechselt, der Vermieter muss die Sachen des säumigen Mieters nicht lagern, sondern kann die Bude räumen und das Inventar veräußern oder — wie in unserem Fall — wegwerfen (das ist jetzt die verkürzte Erklärung von sehr kompliziertem Anwaltsgedöns).
Nun fragt man sich natürlich, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass man sich so in einem Menschen irrt und einen Messi einziehen lässt. Das Drei-Parteien-Haus gehörte eigentlich unserer Großtante. Ich erbte das Haus zusammen mit meinen Geschwistern, und wir wollten es gern modernisieren. Die Bäder waren noch von vor dem Krieg. Wir sprechen also nicht von Luxussanierung, sondern von überfälligen Reparaturen und Modernisierungen. Herr M. war ungefähr ein Jahr, bevor unsere Großtante starb, in die mittlere Wohnung eingezogen. In der Zeit nach ihrem Tod und während Vollstreckung des Testamentes achtete keiner von uns darauf, was Herr M. so trieb. Und bis wir Zugriff auf die Konten hatten und sahen, dass jemand nicht zahlte, verging wieder eine Weile.
Für die Renovierung nahmen wir einen ziemlich hohen Kredit auf. Bäder sind ziemlich teuer, habe ich gelernt. Aber erst einmal mussten wir dieses Drecksloch halbwegs sauber bekommen. Dafür kann man natürlich Firmen beauftragen, das hätte uns über 10000 Euro gekostet. So viel Geld hatten wir nicht. Und noch mehr Darlehen hätte uns die Bank auch nicht gegeben. Also rückten wir mit Mundschutz, Ganzkörperanzug und dicken Handschuhen an, vier Tage lang von morgens um acht Uhr bis fast Mitternacht, und warfen Sachen in einen gemieteten Container. Bei täglich 30 Grad Außentemperatur. Den Würgereiz kriegt man nicht in den Griff. Als wir das Aquarium mit den toten Fischen auseinandernahmen, haben wir uns vorher Kaffeeöl in den Mundschutz geträufelt. Das half.
Einstimmig schworen wir uns damals, dass der nächste potenzielle Mieter mit Einkommensnachweis, Schufa-Auszug und Empfehlung seines vorherigen Vermieters schon zum Besichtigungstermin kommen muss. Total spießig, aber aus Schaden wird man eben klug. Keiner von uns hätte gedacht, dass wir mal so pedantisch werden würden. Heute wohnt dort eine alleinerziehende Mutter, Krankenschwester, mittleres Alter, mit ihrem Teenagersohn. Probleme gab es bisher keine mehr. Ja, man wird wirklich ein bisschen argwöhnisch.
Herr M. ist übrigens wieder aufgetaucht, in einem Gefängnis in Dubai. Dort sitzt er wegen irgendeinem illegalen Internetdeal. Als Deutscher hat er seine Auslieferung beantragt, nur so hat das unser Anwalt überhaupt spitzgekriegt. Ehrlich gesagt hoffe ich, dass er noch eine ganze Weile da schmort. Ich bin weniger sauer wegen des Drecks, den er hinterlassen hat, oder der Miete, die er nicht gezahlt hat. Vielmehr macht es mich immer noch rasend, dass er das gute Herz meiner Großtante ausgenutzt und ihr Andenken so mit Füßen getreten hat.
Annette Brühl (Name geändert), verwaltet seit 15 Jahren ein Mietshaus in Neukölln
Man darf nichts persönlich nehmen. Ich sehe es als Tennisspiel, bei dem man versucht, den Ball möglichst elegant wieder übers Netz zu bekommen. Wenn es jemand auf die Spitze treibt mit dem Beschweren, sage ich ganz zuckersüß: Also, wenn das so wirklich so schlimm ist für Sie, wieso ziehen Sie nicht aus?
Manche Mieter sagen: „Der böse Vermieter hat schon wieder neues Auto“ – und sehen dabei nicht, dass sie selbst erst einen neuen Flur bekommen haben. Das Wichtigste ist, dass sich beide nicht als potentielle Feinde begreifen, sondern als Vertragspartner auf Augenhöhe. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass es Horror-Vermieter gibt. Wenn ich bei unserem Genossenschaftstreffen in die Runde schaue, sehe ich schon manchmal ein paar potenzielle Kandidaten.
Bei der Mieterauswahl sind vollständige Dokumente für mich die Grundvoraussetzung, dann erst zählen Soft Skills wie Pünktlichkeit. Einen guten Mieter erkenne ich daran, dass er höflich ist und alle Dokumente parat hat. Ich finde es wichtig, dass Mieter Danke und Bitte sagen, nie fordernd auftreten. Bei der Wohnungssuche hilft es, auf nette Art hartnäckig zu sein. Sie müssen mir liebevoll auf die Nerven gehen. Das zeigt mir, dass sie eine Konstanz im Leben haben, nur so erreicht man was. Schlecht ist, wenn sie schon bei der Besichtigung unpünktlich sind. Bei der Auswahl verlasse ich mich aber auch auf mein Bauchgefühl. Mittlerweile nehme ich fast nur noch Freunde von Mietern. Wenn ein Mieter einmal drin ist, ist er drin.
Ich hatte schon schwierige Zeiten, um das Jahr 2000 herum. Das Haus war in einem schlechten Zustand, die Wohnungen hatten keine Bäder. Ich habe jeden Cent in die Sanierung gesteckt. Da kam mir der Berlin-Hype sehr zu pass. Mittlerweile habe ich so viele nette Mieter. Viele sind junge Europäer, die wären hier früher gar nicht hingezogen.
Damals musste ich nehmen, wer kam, und war froh, wenn vom Jobcenter die Miete überwiesen wurde. Ich habe das Haus nach dem Tod meines Vaters mit einem hohen Mietrückstand übernommen. Was da alles in den Wohnungen gewohnt hat! Viele haben sich dem Alkohol ergeben und sind auch daran gestorben. Oft ist das eine traurige Erfahrung, aber ich darf mich nicht von Gefühlen leiten lassen. Absagen zu erteilen, ist für mich kein Problem.
Ich vermittle oft, wenn es Streit zwischen zwei Parteien gibt – mit allen Mitteln. Ich hatte auch schon Leute zum Kaffee bei mir im Büro. Bevor sie rübergehen und beim anderen klingeln, beschweren sie sich bei mir: „Der da drüben...!“ Ich sage dann immer: „Wissen Sie überhaupt, wie der heißt? Sie wohnen seit so vielen Jahren zusammen und haben sich noch nie unterhalten.“
Es ist schon ein absurdes Theater. Meine Freunde sagen immer: „Dreh ‘ne Serie darüber: Hilfe, ich vermiete!“ Ich hatte mal einen deutschen Mieter, der kurz vor seinem Tod eine Frau vom Balkan geheiratet hat – die Frau war in Ordnung, aber danach zogen ihre zwei Söhne ein und machten in der Wohnung ein Bordell auf. Zum Glück sind sie bald ausgezogen. Kurze Zeit später rief mich ein Richter an, der mich für eine Aussage gegen die zwei vorladen wollte. Ich sagte nur: „Wenn Sie mir versprechen können, dass mir danach nichts passiert?“ Ich habe nie wieder von ihm gehört.
Es gibt aber auch viele schöne Momente – wenn Mieter Babys bekommen oder der ganze Hof von Kindern mit Kreide bemalt ist. Ich kriege auch Weihnachtskarten. Viele Beziehungen sind über die Jahre gewachsen. Einmal kam ein Mieter an einem kalten Wintertag vorbei und brachte mir eine Suppe. Ein anderes Mal fiel ein Mieter vor mir auf die Knie, weil er einen Keller wollte, ein riesiger Kerl. Geklappt hat es trotzdem nicht.
Derselbe Mieter hatte einen furchtbaren Kampfhund. Er war einmal mit dem Hund bei mir und hat ihn im Nebenzimmer angebunden. Dort kläffte er und jaulte er, weil er dachte, dem Herrchen passiert was. Er machte sich los und kam zu ihm angeschossen. Da habe ich verstanden: Die zwei sind sich sehr ähnlich. Sie sehen furchterregend aus, aber sind eigentlich zwei Seelchen.
Toni, 30 Jahre, vermietet eine Wohnung
Wenn ich einen Mieter suche, stelle ich abends für zehn Euro eine Anzeige mit ein paar Fotos ins Netz. Am nächsten Morgen habe ich 200 Mails. Da kommt von der offensichtlich massenhaft verschickten anonymen Mail bis zur Autobiographie über mehrere Seiten eigentlich alles.
Einmal haben welche meine private Adresse rausgefunden und standen plötzlich bei mir vor der Tür. „Meine Frau braucht unbedingt eine Wohnung“, hieß es dann. Aber es geht auch nicht schneller, wenn man mich nervt, im Gegenteil. Und ich weiß ja dann auch, dass der vielleicht wieder bei mir auf der Matte steht, wenn die Heizung mal kaputt ist. Wer so eine Grenze überschreitet, den finde ich eher nicht sympathisch. Und danach wähle ich hauptsächlich aus.
Wer aber ein paar nette Zeilen schreibt, hat gute Chancen. Am besten ist es, wenn ich nachvollziehen kann, warum jemand genau diese Wohnung haben will, die ich vor zehn Jahren von einem Erbe gekauft habe. Mein jetziger Mieter arbeitet um die Ecke, radelt da jeden Morgen hin. Der verdient vielleicht nicht viel Geld, aber ist ein netter, unkomplizierter Typ. Er hat einen Job, ist nicht doof und repariert auch selber mal was. Er wohnt seit sechs Jahren da. Den habe ich vermittelt bekommen von dem Pärchen davor, die meinten plötzlich: „Wir ziehen jetzt sofort aus“. Also habe ich gesagt: „Okay, aber dann müsst ihr mir schon jemanden bringen, der sofort übernimmt.“ Sie haben drei Leute vorgeschlagen, und der sympathischste hat sofort den Vertrag übernommen. Das tut mir dann schon immer leid, den anderen absagen zu müssen, aber so ist es eben.
Einkommen ist mir also nicht so wichtig. Wobei ich da auch vorsichtiger geworden bin. Einmal habe ich die Wohnung einem Mädchen gegeben, obwohl sie keinen festen Job hatte. Die hat in der Gastronomie gejobbt, ich fand die irgendwie süß und freundlich. Nach drei Monaten kam die Miete nicht mehr, also habe ich nachgefragt, was los ist. Leider hat sie mir nicht erklärt, dass es eben grade knapp ist, obwohl ich das auch verstanden hätte, ich bin selbst Freiberufler.
Stattdessen kamen die Klassiker: Falsche Kontonummer, vertippt, komische Geschichten halt. Bis rauskam, dass sie einfach keinen Job mehr hatte. Das hätte sie mir gleich sagen sollen. So war es ein nerviger Scheiß. Immerhin hatte ich die Kaution. Sie ist dann auch ausgezogen. Das war ihr natürlich unangenehm. Und mir hat es leidgetan, aber was soll ich machen? Sie wird schon wieder was gefunden haben. Da kann ich mir dann auch nicht den Kopf für die Mieter machen.
Vielleicht bin ich auch sehr locker, aber viele Vermieter übertreiben auch in ihrem Kontrollwahn. Haustiere? Zuverlässig? Leise? Sauber? Finde ich Quatsch, sich da so Sorgen zu machen. Ich hatte früher Studenten drin, die haben sicher mal gefeiert, aber ich hatte deswegen nie Ärger. Die allermeisten Leute führen ein normales Leben, wohnen nicht, um zu randalieren, sind eh selten zu Hause, und wieso sollten sie ihre eigene Wohnung kaputt machen?
Dazu muss man sagen, dass ich nie versucht habe, das Maximale aus der Wohnung rauszuholen. Ich könnte sicher zehn oder sogar zwanzig Prozent mehr Miete verlangen. Wobei die Wohnung nicht super renoviert ist. Jemand, der mit einem alten Bad klarkommt, ist froh über den niedrigen Preis. Und ich möchte dem Wahnsinn des Mietmarktes etwas entgegensetzen. Auch wenn ich verstehe, dass manche Vermieter da anders ticken. Was soll man machen: So lange München keine Hochhäuser baut, und jedes Jahr 10000 neue Menschen kommen, muss es ja eng und teuer werden. Mit der kleinen Wohnung, habe ich deshalb nie großen Stress gehabt.
Ganz raus habe ich meine Investition zwar noch nicht. Aber dafür habe ich auch eigentlich überhaupt keine Arbeit damit. Man macht einen Vertrag, und wenn was ist, schaue ich nach. Manchmal ruft der Mieter an und hat was im Bad und repariert das dann selber. Aber ich hatte schon völlig unselbstständige Mieter, die wollten jede geschimmelte Dichtung mit Handwerkern kurieren. Meistens ist der Kontakt aber sehr menschlich und angenehm.
Hannelore, 54 aus Linz (Name von Redaktion geändert)
Ich kenne jeden meiner zehn Mieter persönlich, denn ich wohne im selben Haus wie sie. Ich bin nicht nur ihre Vermieterin, sondern auch ihre Nachbarin. Das macht einen großen Unterschied. Wenn man als Vermieter zusammen in einem Haus mit seinen Mietern wohnt, dann ist man mehr als nur Hausbesitzer. Man ist eigentlich so etwas wie ein Hausmeister. Oder eine Mutter mit vielen Kindern. Man kann sich vor keinem Problem drücken. Schließlich wissen deine Mieter, wo du wohnst. Und wann du zu Hause bist und wann nicht.
Wenn ein Wasserhahn tropft oder ein Schlüssel verloren geht, dann heißt das in diesem Fall, dass meine Mieter schon auch mal an meine Tür klopfen oder mir auf Whatsapp schreiben. Bei uns läuft alles auf einer sehr persönlichen Ebene ab. Ich zeige meinen Mietern, wie man einen Wasserhahn wieder festschraubt oder wie man eine Ceranfeld-Herdplatte richtig putzt. Manchmal kommt es mir so vor, als würden die Mieter meinen, sie leben in einem Hotel und ich bin für alles zuständig. Es wird erwartet, dass ich 24/7erreichbar bin. Viele Mieter sind wie quengelnde Kinder. Sie überlegen nicht lange, wie man selbst ein Problem lösen könnte, sondern wenden sich bei jeder Kleinigkeit sofort an mich. Oft muss ich zum Beispiel den Müll meiner Mieter wegräumen, weil sie ihn einfach neben die Tonnen schmeißen. Und dann beschweren sie sich, weil es im Hof nicht sauber ist und wollen eine zusätzliche Mülltonne.
Bei neuen Mietern achte ich darauf, dass sie ins Haus passen. Letztens hatte ich eine Anfrage einer bulgarischen Familie, der ich leider absagen musste. Wir hatten schon einmal bulgarische Mieter im Haus, die gerne grillten und laute Familienfeste am Wochenende schmissen. Ich persönlich habe damit kein Problem, aber es kam zu Beschwerden von den anderen Mietern. Natürlich fühle ich mich schlecht, wenn ich dann einer Familie mit Kindern absagen muss, vor allem, weil mir die Herkunft der Mieter eigentlich egal ist.
Die professionelle Distanz zu wahren und trotzdem da zu sein, ist dabei nicht immer leicht. Vor allem die jüngeren Mieter probieren oft, sich freundschaftlich anzunähern. Sie laden dich dann auf ihre Einweihungsparty oder zum Essen ein. Aber je enger es wird, desto schwerer wird es, auch mal nein zu sagen. Deswegen sage ich dann lieber, ich hätte keine Zeit. Und dann drehe ich manchmal auch alle Lichter aus und tue so als wäre ich nicht zu Hause.