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Potsdam soll wieder barock werden - Katharina Isaak wehrt sich dagegen
Hinweis zur Autorin: Katharina Isaak ist Mitglied des SprecherInnenrates von Freundliche Übernahme Rechenzentrum FÜR e. V. , einem Verein, der sich für den dauerhaften Erhalt des Rechenzentrums in Potsdam einsetzt - einer DDR-Platte, in der 250 Kunst- und Kreativschaffende arbeiten.
Es ist einfach, sich in Potsdam winzig und ohnmächtig zu fühlen. Bezahlbar wohnen in der Innenstadt? Wenn du ein paar Jahre Zeit zum Suchen hast, vielleicht. Zusammen mit knapp 15.000 Anderen ein Bürgerbegehren gegen den Ausverkauf der Mitte unterschreiben? Kannste machen, wird vom Rathaus nur kurzerhand für ungültig erklärt.
Seit Jahren schon passiert hier etwas, das man in der Stadtverwaltung „behutsame Wiederannäherung an das charakteristische, gewachsene historische Stadtbild“ nennt. In der Konsequenz werden die letzten städtischen Flächen an private Investoren verschachert und alles rigoros abgerissen, was nach DDR riecht – zugunsten von historisierenden Rekonstruktionen. Früher war einfach alles besser – also, ganz früher, so spätestens bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Und so wird der Stadt nach und nach die Ost-Moderne ausgetrieben, um ein preußisches Disneyland aus ihr zu machen. Barock statt Platte, so die Devise.
„Nix zu machen“, seufzte ich lethargisch, wenn mal wieder irgendwas in der Stadt in die Hose gegangen war. „Die machen doch eh, was sie wollen. Die da oben.“ Bis ich ein Ermächtigungs-Wunder erlebte, das schließlich zu meinem eigenen wurde.
Mal wieder war ein Kreativspot der Entmietung zum Opfer gefallen. Dutzende Künstler und Musiker standen ohne Atelier oder Proberaum da. In öffentlichkeitswirksamen Aktionen besetzten sie die Fußgängerzone und den Vorplatz des Landtags, gründeten die Initiative Kulturlobby und machten sich daran, Gespräche mit der Politik zu führen und Forderungen zu stellen. Ich selbst beobachtete den Prozess aus der Ferne. „Viel Spaß!“, dachte ich, „wenn ihr sonst nix zu tun habt ...“
Doch nach einem Jahr passierte tatsächlich etwas: Das Rechenzentrum, eine dem Abriss geweihte DDR-Verwaltungsplatte, deren Weiterexistenz niemand ernsthaft erwogen hatte, wurde von der Stadt nach harten Verhandlungen als Kunst- und Kreativhaus zur Verfügung gestellt. Nur zur Zwischennutzung, nur für drei Jahre, also bis September 2018, aber: 5000 Quadratmehter für Kreative! Zum Selbstkostenpreis von warmen 7 Euro/Quadratmeter! In der Innenstadt!
Irgendwann begriff ich: Ob das Rechenzentrum bleibt oder nicht, liegt auch an mir
Noch etwas ungläubig, dass das hier wirklich passierte, kündigte ich mein dunkles Souterrain-Büro. Inzwischen blicke ich über die Dächer der Stadt – und fließe über vor Dankbarkeit denjenigen gegenüber, die sich dafür ins Zeug gelegt haben, während ich mich noch in meiner Ohnmacht suhlte.
Über 250 Menschen aus allen Kreativsparten arbeiten mit mir in diesem Haus, haupt- oder nebenberuflich, in ihren Ateliers, Büros, Studios oder Werkstätten. Hier entstehen Netzwerke, werden Brötchen verdient, Aufträge vergeben und Kunden beeindruckt. Und das Beste: Das Haus selbst hat sich innerhalb kürzester Zeit mit seinen Ausstellungen, Offenen Ateliers, Workshops und Partys zu einem Zentrum der Potsdamer Kulturszene entwickelt.
Das Rechenzentrum bietet damit sowohl der Kreativwirtschaft als auch der Stadtbevölkerung einen deutlichen Mehrwert. Und trotzdem ist seine Zukunft äußerst ungewiss. Irgendwann begriff ich: Ob das Rechenzentrum bleibt oder nicht, liegt auch an mir.
Die Gemengelage ist kompliziert: Die Stadt hat Fördermittel kassiert, um das Ding abzureißen. Weil an seiner Stelle eigentlich die Garnisonkirche wiederaufgebaut werden soll – der Ort, an dem man sich zu Friedrichs Zeiten Gottes Segen abholte, bevor man in den Krieg zog. Und der Ort, an dem sich am „Tag von Potsdam“ Hitler und Hindenburg symbolträchtig die Hände schüttelten. Aber hey, das ist jetzt echt lang her und die Kirche war halt echt schön. Nennen wir das Ganze doch einfach „Versöhnungszentrum“, dann passt das schon.
Es ist absurd: An Stelle eines Hauses mit Inhalt soll ein Gebäude ohne Funktion entstehen
Zu den Befürwortern der Kirche gehört das Gros der Potsdamer Prominenz. So sprang zum Beispiel Günther Jauch mit 1,5 Millionen ein, als die Spendengelder für den Turm knapp wurden. Der Großteil ist mit öffentlichen Geldern – also mit Geld von uns! – finanziert, trotz anfänglicher Bekundungen, das Ganze über Spenden laufen zu lassen. Das Kirchenschiff zumindest hat noch keine Baugenehmigung. Sollte es nicht gebaut werden, könnte das Rechenzentrum stehenbleiben. Dem müsste aber erst die Stiftung Garnisonkirche zustimmen – was im Moment, nun ja, eher unwahrscheinlich ist.
Es ist absurd: An Stelle eines Hauses mit Inhalt, von und für viele Menschen, soll ein Gebäude ohne Funktion entstehen. Dafür aber mit einer historischen Fassade. Doch entschieden ist das noch lange nicht.
Inzwischen bleiben dem Rechenzentrum noch anderthalb Jahre – und die anfängliche Euphorie ist dem Bewusstsein der Endlichkeit gewichen. Also fingen wir an, uns zu organisieren: Riefen regelmäßige Vollversammlungen ein. Wählten einen Sprecher*innenrat, der uns nach Außen vertritt. Gründeten den Verein Freundliche Übernahme Rechenzentrum FÜR e. V., der sich für den langfristigen Erhalt des Hauses einsetzt. Teilten uns in Arbeitsgruppen ein, um die Dinge konzentriert vorantreiben zu können. Wurden strategisch, bewusst und politisch.
Inzwischen wende ich drei bis zehn Stunden meiner wöchentlichen Arbeitszeit für das Haus auf. Klingt nach einem Haufen unbezahlter Arbeit – ist es auch. Klar, manchmal denke ich, ich sollte in dieser Zeit lieber Geld verdienen und schon mal beiseite legen, für in anderthalb Jahren. Wenn ich in Ermangelung eines dunklen Souterrains in eins dieser überteuerten Co-Working-Spaces ziehen muss. Ich habe keine Ahnung, ob mein Engagement letztendlich irgendetwas nützt.
Was ich hingegen sehr genau weiß, sind diese fünf Dinge:
1. Wenn ich es nicht versuche, werde ich es nicht herausfinden. Und wenn ich es nicht mache, macht es vielleicht niemand.
2. Vor mir haben sich Menschen ihre Ärsche aufgerissen, um das Rechenzentrum möglich zu machen. Und sie haben es geschafft. Manchmal geht eben viel mehr, als wir uns vorstellen können!
3. Ich mache das nicht für mich allein. Ich mache das nicht mal für die anderen, deren Arbeitsplatz zusammen mit meinem auf der Kippe steht. Diese Sache hat Symbolkraft. Sie ist größer als wir alle.
4. Es geht um nichts weniger als den Beweis, dass nicht nur die männliche Anzug- und Geldelite Dinge bewegen kann. Dass wir den Stadtdiskurs mitbestimmen können. Dass es sich lohnt, sich zusammenzuschließen.
5. Es macht Spaß! Zugegeben, jetzt kommt ein kleines bisschen Romantik ins Spiel (ach, scheiß drauf): Zusammen mit anderen an einem Strang zu ziehen, von dem man weiß: jetzt reißen wir wirklich was Bedeutsames – das ist ein Gefühl, das ich zuletzt hatte, als ich in der Siebten mit ein paar anderen ganz hinten auf dem Schulhof an meiner ersten Kippe saugte (und wie unbedeutsam das im Vergleich war, muss ich keinem erzählen).
Und darum mache ich weiter. Denn inzwischen weiß ich: Wir alle sind Experten für unsere Belange. Es lohnt sich, hartnäckig zu bleiben. Wir können was bewegen. Wir müssen uns nur dazu entschließen.