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Mies aufgelegt. Laurent Garnier auf einem Horrortrip nach NYC
Mein schlimmstes Erlebnis als DJ? Soll ich davon erzählen, wie ich nach einer Arbeitsnacht in einem Club in Chicago meine Gage abholen wollte, und mich der Manager stattdessen in den Lauf seiner Pistole starren ließ? Oder wie auf einer Pyjama-Party in Detroit plötzlich von allen Seiten Schüsse fielen, und ich mit sämtlichen Gästen zehn Minuten platt auf dem Boden lag, bis endlich die Polizei eintraf? Aber es geht noch tragischer. Es war ungefähr 1993, ich hatte gerade meine ersten Auswärts-Gigs, und legte als Resident in einem kleinen Schwulen-Club in Paris auf, dem einzigen Ort, an dem man meine Sorte House-Musik spielen konnte. Dort sprach mich ein jovialer Typ an, der sich als Promoter ausgab: Ob er mich nicht für ein paar Auftritte in New York buchen könne? Hey, New York: Davon hatte ich wie jeder DJ schon lange geträumt: „D’accord“, rief ich begeistert aus, „das wäre doch das Allergrößte“. Er erzählte mir etwas von einem Club für 2000 Leute, von Champagner-Mädchen und High-Society-Gästen. Der endgültige Aufstieg in die Jetset-DJ-Liga! Vertrag? An so etwas dachte ich nicht. Und meinen Flug? Könnte ich schon vorstrecken, wenn es nicht anders ging.
Am Tag als ich am Flughafen in Newark ankam, war Maurice, der angebliche Promoter nirgends zu sehen. „Oh, ist es schon heute?“ Mehrere Anrufe und vier Stunden später hatte er mich endlich abgeholt. Etwas sei mit der Hotelbuchung schief gelaufen, erklärte er. Aber ich könnte doch bei ihm übernachten: Ich war auf Limousinen und Champagner gefasst, nun lernte ich New York von unten kennen. Eine fleckige Matratze auf dem Boden eines verwahrlosten und vor allem von Kakerlaken bewohnten Ein-Zimmer-Apartements. In der Spüle stapelte sich das Drecksgeschirr. Überall Müll. Egal. Ich war so gejetlagged, dass ich selbst in einer Badewanne hätte schlafen können. Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschug, kniete Maurice gerade über meinem geöffneten Koffer und stammelte etwas von einer Packung Zigaretten, die er verloren habe. Verdammt, ob er mir wenigstens das Flugticket ersetzen könnte? Heute abend, heute abend, vertröstete er mich. Dann würden die Eintrittsgelder für alles aufkommen. Zumindest was die Größe des Clubs Red Zone betraf, hatte Maurice nicht gelogen: Hier war Platz für mehrere tausend Besucher. Und während ich mein in Paris enthusiastisch gefeiertes House-Set hinlegte, bemühte ich mich, die ersten Gäste in der schummrigen Halle zu erkennen. Wann kamen die endlich? Wurde es immer so spät in New York? Um drei Uhr nachts hatten sich genau sechs zahlende Besucher an der Bar verloren. Über die Tanzfläche schlurfte ein schlechtgelaunter Kellner. Es war eine Szene aus einem DJ-Alptraum. Da Maurice verschwunden war, ließen die Angestellten ihren Unmut an mir – seinem angeblich besten Freund- aus: „Raus!“ bellte der Manager, der Abend war beendet. Wohin jetzt? Während ich vor der Tür allein auf meinem Plattenkoffer saß, wurde mir die Aussichtslosigkeit meiner Lage bewusst: Ohne Hotelzimmer, Gage, Kreditkarte, Rückflugticket, in einer Stadt, in der ich – bis auf Maurice – niemanden kannte. Ich müsste hier sitzen bleiben, meine Platten auf der Straße verkaufen, vielleicht das Champagner-Club-Publikum mit einem leeren Becher anbetteln: „Hey, ich bin doch Laurent Garnier aus Paris, habt Ihr noch nie von mir gehört?“ Es war einer der sechs Besucher, der mich schließlich aus meinen Grübeleien riß – und mich am nächsten Tag mit einem ausgelegten Ticket zum Flughafen brachte. Maurice aber sollte ich erst fünf Jahre später wieder sehen. Auf meiner DJ-Kanzel in Paris, ein unschuldiges Lächeln auf dem Gesicht: „Hey wie steht’s Kumpel? Ich habe damals deine erste Party in New York organisiert…“