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Mies aufgelegt. Heute: Martin Eyerer steht im Urwald.
Jeder DJ kennt den abendlichen Hindernislauf, um rechtzeitig auf der Kanzel zu stehen: Da fallen einem partout in letzter Minute noch die wichtigsten Ergänzungen für den Plattenkoffer ein, der Kopfhörer ist unauffindbar, der Flieger hat Verspätung, das Taxi steckt im Stau, ja und verdammt – hat man die Adresse dieses Clubs vielleicht falsch notiert? Dass es manchmal aber noch viel schwerer ist, vom Arbeitsort wieder weg zu kommen, das lehrte mich vor drei Jahren ein Gastspiel in Brasilien: Ich war auf einem Gig außerhalb von Sao Paulo gebucht. Für Transport und Unterkunft, so hieß es im DJ-Vertrag, sorge der Veranstalter und: Die Anfahrt dauere eineinhalb Stunden. Tatsächlich warteten mein Berliner Kollege Chopstick und ich schon einen Nachmittag lang auf unserem DJ-Gepäck, als endlich ein klappriger und hustender VW-Bus-Oldtimer vorfuhr: unser Taxi! Nach zwei Stunden Fahrt erklärte der Fahrer, wir wären gleich da. Die letzten Vororte von Sao Paulo hatten wir längst hinter uns, aus den Häusern waren Hütten geworden, aus der Teerstraße eine Staubpiste. Dann passierten wir im Dunkeln nur noch Blätterwände links und rechts: Regenwald. Der Bus zuckelte zwischen den Schlaglöchern hindurch. Zwei weitere Stunden vergingen, in denen wir keiner Behausung, keinem Auto, ja nicht einem einzigen Menschen im Scheinwerferlicht begegneten. Brütendes Schweigen: Wir waren, soviel war klar, unseren Gastgebern vollkommen ausgeliefert. In der Ferne kündigte dunkles Gewummer unser Ziel an: Eine Schneise im Urwald, wo ein paar tausend Feierwütige ihre dreitägige Goa-Trance-Party zelebrierten. Vergeblich spähten wir nach Unterkünften, Zeltstädten oder mobilen Küchen. Nein, alles hier war improvisiert. Und nur die erbarmungslosen Rhythmen aus den Boxentürmen hielten hier ein paar tausend Menschen mit tellergroßen Augen und wirrem bis entzücktem Gesichtsausdruck auf den Füßen. Wir fühlten uns wie nüchterne Frühaufsteher auf einer After-Hour-Party. Unser Publikum jedenfalls hatte schon die Nacht davor durchgetanzt. Uff, warum haben die uns gebucht? Unser Techhouse-Scheiben waren doch viel zu langsam für Goa-Parties. Wir pitchten und mixten, beschleunigten und manipulierten. Und hielten mit viel Mühe die kollektive Ekstase am Laufen. Der Veranstalter allerdings schien beim Anblick zweier unbezahlter DJs ziemlich miese Flashes durchzumachen: Hotel? Achselzucken. Unser DJ-Gehalt? Dauergrinsen. Wenn wir die dazugehörigen Grimassen richtig deuteten, dann galten wir als Meuterer auf dem Party-Schiff. Die aggressive Stimmung war mit Händen zu greifen. Jetzt bloß weg hier, solange noch Gelegenheit war. Doch der VW-Bus war verschwunden. Und wie bitte in den frühen Morgenstunden mitten im Urwald ein Taxi finden? Uns blieb nichts übrig, als aufs Geratewohl Besucher anzusprechen. Diejenigen mit dem aufrechtesten Gang zuerst. „Hey, kannst du noch fahren? Wir müssen dringend zurück in die Stadt! Sofort!“ Uns trafen verständnislose Blicke. Verstanden die nicht, dass DJs sich nicht mit ihren Platten ins Gras legen? Dass wir Dienstleister nach getaner Arbeit waren? Und nur noch weg wollten? Weg, weg, weg! Für hundert Euro fand sich dann doch noch irgendwo ein Freiwilliger. Chopstick und ich blieben die ganze Strecke wach – um den Fahrer durch Schultertippen am Einschlafen zu hindern. Um 11 Uhr kamen wir am Flughafen an. Durchgeschwitzt, desorientiert, dankbar ins Delirium geschüttelt: Urwald-Trance - und das ganz ohne Drogen!