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Mies aufgelegt. Heute: Grandmaster Flash und die schwere Geburt des HipHop
Ich lege seit über drei Jahrzehnten Platten auf. Aber so übel wie 1975 in dem Park an der Tinton Avenue ist es mir nie wieder ergangen. Ich war gerade 17 Jahre alt und hatte Wochen und Monate in einem dunklen Keller unseres Wohnblocks in der Bronx verbracht: Mit zwei Plattenspielern, einem selbstgebauten Mixer und dem brennenden Ehrgeiz, die „Breaks“, also die kurzen spannenden Stellen, bei denen die Tänzer gewöhnlich ausrasteten, endlich in den Griff zu kriegen. Sie zu isolieren und so aneinander zu reihen, dass aus ihnen ein Non-Stop-Rhythmus entsteht. Kein DJ hatte das bisher geschafft. Ältere HipHop-Kollegen wie Kool Herc versuchten es nicht einmal, spielten einfach eine Platte nach der anderen aus. Ich aber wollte die Intensität eines DJ-Sets steigern: Dazu musste ich ein paar Tabus brechen. So war es damals unter DJs total verpönt, eine Platte anzufassen. Fingerabdrücke auf dem Vinyl hinterlassen? Eine Todsünde. Ich aber hatte herausgefunden, wie man die Platte mit den Fingern anhält, während sich der Plattenteller weiterdreht. Jetzt konnte ich genau mit dem richtigen Beat starten. Ich brauchte drei Tage, bis ich in der Lage war auf diese Weise zwei Breaks nahtlos zusammenzufügen. Ein Cut. Zehn Sekunden perfekte Musik. Als mir das gelang, legte ich einen Freudentanz hin. Aber ob ich das Ganze auf eine Minute, eine Stunde, mehrere Stunden ausdehnen könnte? Dazu musste ich mit einem Stift die Stelle auf dem Plattenlabel markieren, wo der gewünschte Break anfing und aufhörte. Jetzt konnte ich während auf dem einen Plattenspieler die Musik spielte, die Platte auf dem anderen bis zur markierten Stelle zurückdrehen. Nachdem das Stück auf der einen Seite zu Ende war, schaltete ich rüber zur anderen Seite und ließ die Platte dort anlaufen – ohne einen Beat auszulassen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ich musste das unbedingt dem Rest der Welt vorführen. Meine Euphorie mit den Tänzern draußen teilen. Der Tag als ich das erste mal den Übungskeller verlassen sollte, war ein herrlicher Samstag-Morgen im Juli. Meine Freunde hatten bereits das Gerücht verbreitet, ich könnte an den Plattenspielern zaubern. Wir fuhren mit unserem Soundsystem 20 Blocks nach Norden, hatten bis mittags alles aufgebaut und bereits um zwei eine Menge von gut 500 Leuten um uns versammelt. Um drei Uhr trat mein Kumpel ans Mikrophon: „Freak freak y’all! To the beat y’all! Everybody give it up for my boy DJ Flash!”. Ich wusste: Jetzt oder nie. Nestelte mit feuchten Fingerkuppen “Apache” auf den Plattenteller. Jede Handbewegung war tausendmal geübt. Mit einer zweiten Kopie der Platte auf dem anderen Plattenspieler verlängerte ich die spannenden Stellen. Wiederholte ich die Breaks. Nahm die Gitarren, die Bläser auseinander. Setzte alles neu zusammen. Schob für ein paar Takte „N.T.“ von den Commodores ein. Mixte das Schlagzeug von James Browns „Funky Drummer“ unter. Alles im kontinuierlichen Rhythmus-Bett. Wie aus einem Guss. Ich schaute auf. Und blickte in wohl tausend verständnislose Gesichter. Warum tanzte niemand? Warum klatschte niemand? Warum machte niemand auch nur eine anerkennende Geste? Sie wollten ihre Lieblingssongs einfach zu Ende hören. Ich aber verstand nicht was los war. Spürte, wie mir flau im Magen wurde. Und bemerkte, dass die schweigende Menge immer näher ans Absperrseil rückte, um zu sehen, was ich da oben eigentlich trieb. Mit versteinerter Mine floh ich schließlich vom DJ-Pult. Erbrach mich als ich außer Sichtweite war. Und lief ohne auch nur noch ein Wort zu verlieren nach Hause. Dort ließ ich meinen Tränen freien Lauf: Ich habe wohl eine Woche lang immer wieder geheult. Mich gefragt, was ich falsch gemacht hatte. Warum mein Publikum nicht wie erwartet ausgeflippt war. Ich wollte mit dem DJ-en ganz und gar aufhören. Nie wieder diese Schande! Zumal meine Mutter auch noch auf mich einredete, diesen „Musik-Quatsch“ sein zu lassen und meine Ausbildung zum Elektrotechniker zum Abschluss zu bringen. Jahre später sollte mein Freund Cowboy eine Methode finden, rhythmisch über dem Beat zu rappen, die Aufmerksamkeit von mir abzuziehen, und mich in Ruhe an den Beats werkeln zu lassen: Als Grandmaster Flash & The Furious Five. Aber das ist schon eine andere Geschichte…