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Mies aufgelegt. Heute DJ Soulkeeper verjagt die Diddlmaus
Mein schlimmster DJ-Abend? Definitiv vor zehn Jahren im Münchner Muffatcafé. Wir hatten zum Weihnachts-Allnighter, dem jährlichen Höhepunkt der lokalen Soulsaison, geladen, das DJ-Pult mit Lichterketten geschmückt, Discokugeln aufgehängt und eine Lichtbildshow mit den stilvollsten Plattencovern der 60er und 70er Jahren zusammengestellt. Das Kernpublikum unserer Soulparty hatte sich schon zum Warm-Up eingefunden: Stilvoll frisierte Mod-Mädels und Scooter-Jungs, deren Garderobe man ein paar lange Styling-Stunden vor dem Spiegel ansah. Hier passte alles: Von den Loafers über die Retro-Anzüge bis zum Fred-Perry-Polo. Ihre Feierlichkeit, der unbedingte Wille zur Zeremonie hatte schon immer den Zauber des Allnighters – einer bewährten englischen Mod-Institution - ausgemacht. Und auch wenn die klassisch gewandeten Soulfreunde nur einen Prozentsatz des Publikums ausmachten: Sie waren es, die den Ton angaben, die Tanzfläche mit frenetischer Begeisterung füllten, nach bestimmten Stücken Applaus klatschten und die Masse selbst bei kaum bekannten Nummern mitzogen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Nachdem der Mod unseres DJ-Teams bereits das erste Set mit raren und rarsten Soulballaden abgefeiert hatte, war es mein Turnus. Ich würde in der nächsten Stunde das Tempo anziehen. Ein paar Klassiker auf den Teller hieven. Und den Laden in Bewegung bringen. So der Plan. Ich ließ gerade Betty Everetts „Getting Mighty Crowded“- unter anderen Umständen ein sicherer Mod-Favorit – anlaufen, da erkannte ich den Grund für die allgemeine Zurückhaltung: Eine Lady im roten Wallekleid hatte die freie Fläche vor dem DJ-Pult für sich okkupiert. Breitete dramatisch ihre Arme aus. Fegte wie ein Derwisch im Kreiseltanz. Und warf ihre Beine mit Aerobic-Schwung nach oben. In einem „Befrei deinen Körper“-Seminar hätte sie damit wohl gepunktet. Nicht aber bei den Mods mit ihrer sorgfältig einstudierten Northern Soul-Choreographie. In einem Doppelring standen sie um die Tanzfläche, starrten missbilligend und mit verschränkten Armen auf den Veitstanz vor ihnen. Und wussten offensichtlich nicht, was sie schlimmer finden sollten: Den extrovertierten Bewegungsstil der Dame oder ihren Aufzug. Schließlich hatte die Ausdruckstänzerin – brauchte sie das Gewicht zur Balance? – ihren Rucksack nicht an der Garderobe abgegeben, was ihrer Darbietung eine ganz besondere Note verlieh: Auf dem Rücken hüpfte der Rucksack und an diesem wiederum eine, ja, tatsächlich: Diddlmaus.
Was konnte ich schon dagegen tun? Ich schob eine Reihe erprobter Hitsingles hinterher: Frankie Beverleys „If That’s What You Wanted“, Joe Texs “Pneumonia” und Bobby Blue Blands „Shoes“ – und brachte doch nur wieder die Diddlmaus zum Tanzen. Wollte sie uns alle verhöhnen? Als verklemmte Stil-Snobs entlarven? Oder hätte man den Türsteher gegen Rucksack-Knuddeltiere einschwören sollen? Der Allnighter drohte zum unfreiwilligen Freak-Show-Event abzurutschen. Während sich das Café mit Besuchern füllte, wagte niemand der Wallekleidträgerin auf der Tanzfläche Gesellschaft zu leisten, die ihrerseits die gedrängten Zuschauermassen offensichtlich falsch interpretierte. Inzwischen nassgeschwitzt, steigerte sie bei jeder Nummer ihren Einsatz, ließ sie ihre Haare noch wilder aus dem Stirnband fliegen. Ich erwischte mich beim ketzerischen Wunsch, ihr ein Bein zu stellen. Oder wenigstens ihr Maskottchen abzureißen. Um endlich für eine volle Tanzfläche statt ein schlenkerndes Stofftier aufzulegen. Konnte eine Diddlmaus wirklich einen ganzen Allnighter lahmlegen? Endlich die rettende Idee: Ich würde eine schrecklich traurige Ballade auflegen. Einen Tränenzieher mit schrägem Bläsersatz und Beerdigungschören. „I hear somebody crying’, crying in the streets…”
Das war selbst für die Wallekleidfrau zu viel. Ein letztes mal warf sie ihre Ärmel melodramatisch in die Höhe - dann machte sie sich samt Rucksack davon. Konnte der Allnighter endlich beginnen? Ich hatte feuchte Finger. Die ersten Takte von Mandrills „Too Late“ - und wo gerade noch eine leere Tanzfläche gähnte, schlugen die Wellen der Tänzer zusammen. Beim nächsten Allnighter hatten die Style-Guides mit bedruckten T-Shirts vorgesorgt: „Northern Soul ist kein Ausdruckstanz!“
Text: jonathan-fischer - Foto: R. Oehmann