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Mies aufgelegt: Heiliger Marvin, Don Schmocko beim Soul Allnighter

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Meinen schlimmsten DJ-Abend habe ich vor zwei Wochen in München beim Soul Allnighter am zweiten Weihnachtsfeiertag erlebt. Gewöhnlicherweise bestücke ich als DJ meine Koffer erst in der letzten Minute. Stopfe hektisch ein paar Platten hinein und schere mich kaum darum, wie alles zusammenpassen könnte. Diesmal aber hatte ich alles gründlich vorbereitet: Schließlich ist es etwas Besonderes, zum jährlichen Allnighter geladen zu werden. Seit Wochen war ich zum Second-Hand-Händler meines Vertrauens gepilgert, um mir gezielt Soulraritäten für mein DJ-Set zuzulegen. Noch einen Tag vor Weihnachten gelang mir ein besonderes Schnäppchen: Ich hatte es schon lange auf die eigentlich unverkäufliche „Marvin Gaye & His Girls“ LP abgesehen und nun war der Händler - nach meinem vierten Besuch – endlich bereit, sie mir für 50 Euro zu überlassen. Zusammen mit einem Schwung Singles, die nur bei einem Allnighter funktionieren würden. Immer wieder war ich mein Set im Kopf durchgegangen - und freute mich auf den Überraschungseffekt meiner neuen Platten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine Stunde vor Beginn der Party bin ich bestens vorbereitet: Der Koffer gepackt, die Frisur gerichtet, meine Ausgehklamotten griffbereit auf dem Bett. Zwar stecken mir noch die letzten zwei Nachtschichten als Barmann in den Knochen. Aber die Euphorie hält mich wach. Jetzt nur noch in der Gaststätte um die Ecke einen kleinen Imbiss zu mir nehmen. Nein, das würde zu lange dauern. Es ist schon neun, und um halb zehn muss ich spätestens los. Lieber daheim ein paar Würstel braten. Das geht in nullkommanix. Bleiben vielleicht noch zehn Minuten zum Hinlegen, bevor ich ein Taxi rufe? Gute Idee. Gute Idee?.... Ich wache auf, das Licht brennt, ich liege angezogen auf dem Bett, ein Stapel frischer Wäsche zu meinen Füßen. Ein Blick auf den Wecker: Halb sechs. Halb sechs. Halb sechs! In meinem Kopf vollkommene Leere – bis auf ein Dröhnen aus der Ferne. Als ob ein voller Plattenkoffer auf meiner Stirn gelandet wäre. Heiliger Marvin, gebenedeite Aretha, lasst es bitte nicht wahr sein. Unerbittlich frisst sich die Realität in mein Bewusstsein: Ich habe mein DJ-Set verpennt. Wie soll ich das nur meinen Kollegen erklären? Um halb acht ruft mich ein guter Freund an: Die ganze Nacht hätte er auf mich gewartet – sein Zungenschlag lässt darauf schließen, dass dabei reichlich Bier geflossen war. Irgendwann habe er meine Lieblingsnummer „Too Late“ von Mandrill einem anderen DJ zum Abspielen gegeben. Salz in meine Wunden! Dann nuschelt er noch etwas von „absolut eingeschlagen“ und „volle Tanzfläche...“. Wo die Platte - ich hatte sie erst vor kurzem für ein Heidengeld ersteigert – denn jetzt wäre? Daheim, äh, nein, weiß nicht....Von Panik erfasst springe ich aus dem Bett und bin eine halbe Stunde später in der Wohnung meines Freundes. Gemeinsam stellen wir das ganze Mobiliar auf den Kopf. Nichts zu finden. Ich rufe den Club und das Fundbüro des öffentlichen Nahverkehrs an: Keine Spur von meiner Mandrill-LP. Too Late! Eine Woche später: Post von meinen DJ-Kollegen. „Trostpreis“ steht auf dem Paket: Darin eine Platte von Tyrone Davis, der sich im Zifferblatt einer übermannshohen Uhr fläzt. Albumtitel? „Turn Back The Hands Of Time“. Foto: Jonathan Fischer

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