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Mies aufgelegt: DJ Pierre, König des Acid House, im Trance-Gewitter

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Meinen schlimmsten DJ-Abend habe ich vor vier Jahren in Venezuela erlebt. Ich war zu einem Festival auf Margarita Island eingeflogen worden. “DJ-Sensati0n aus New York“, verkündeten die Poster, jede Menge Fernsehsender interviewten mich, sendeten Stimmungs-Berichte und versicherten, halb Südamerika werde mein Set an den Fernsehern verfolgen. Kurzum: Ich war nicht nur der Haupt-Act des Festivals – sondern wurde hofiert wie eine königliche Hoheit.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Bühne war mit Girlanden geschmückt, eine Truppe Steel Drummer trommelte die 100 000 köpfige Menge in Stimmung, und als ich das DJ-Pult betrat, gingen links und rechts von mir die Feuerwerksfontänen los. „DJ Pierre, der Erfinder des Acid House, der Wildpitch-Zauberer aus New York “ brüllte der Ansager. „Der Mann dem wir solche Meilensteine der House Musik wie „Acid Trax“, „Fantasy Girl“ und „What Is House Music?“ verdanken, das Genie hinter Phuture...“ Ich hätte mit stolzgeschwellter Brust meinen Thron betreten können. Statt dessen spürte ich ein Ziehen in der Magengegend: Meine Plattenkiste war nicht am Flughafen angekommen, ich würde also ohne das gewohnte Vinyl auflegen müssen. Ein lokaler DJ-Kollege hatte mir in letzter Minute seine Platten geliehen - angeblich alles erprobte Favoriten beim heimischen Publikum: „Mach dir keine Sorgen! Ich habe nur todsichere Hits im Koffer.“ Leider war keine Zeit mehr gewesen, vorab hineinzuhören. Aber was sollte schon schief gehen? Mir eilte ja der Ruf voraus, ein Meister der Improvisation zu sein – von meinen Anfängen in den frühen 80er Jahren, als ich auf Kassettenrekorder im Stop-and-Go-Verfahren Tracks zusammenstöpselte und mit diesen dann New Yorker Parks beschallte bis zu meinem Markenzeichen, der Spielerei mit den Effekte-Knöpfen und Mischpult-Filtern. Das erste Vinyl läuft an – und ein Trance-Gewitter bricht aus den Lautsprechern. Niemand tanzt. Die Leute brüllen. Pfeifen. Schrecklich. „Gib mir schnell eine neue Platte“, rufe ich meinem Kollegen zu. Noch schrecklicher. Die Enttäuschung des Publikums droht wie eine Welle über mich hinwegzuschwappen. Und mein Plattenverleiher mit den angeblich „todsicheren Hits“? „Okay, okay“, stammelt er, „ich gebe dir eine andere.“ Jetzt können mich auch keine Mischpult-Knöpfchen mehr retten. Weil schlechte Musik selbst mit Filter-Effekten, manipulierten Bässen und Scratch-Einlagen schlechte Musik bleibt. Soll ich wütend auf Mr. „todsichere Hits“ werden? Aber dann sehe ich seinen geknickten Gesichtsausdruck – und bekomme Mitleid. Also: Gute Miene zum bösen Trance machen. Die Hände in die Luft werfen. Lächeln. So tun als würde ich nichts lieber tun, als diesen Schrott aufzulegen. Und bloß nicht auf die Uhr schauen. Zweieinhalb Stunden lang. Es sollte mein letztes Booking in Venezuela sein. Foto: djpmuzik.com

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