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Mies aufgelegt: DJ Pari
Meinen schwärzesten DJ-Abend erlebte ich vor zehn Jahren in Los Angeles: Der Rare-Groove-Boom war mit einiger Verspätung aus Europa und New York auch an die amerikanische Westküste geschwappt. In meinem eigenen Club legte ich regelmäßig für die örtliche College-Szene auf: weiße Hipster, die die afroamerikanischen Moden der 70er Jahre als Lebenshaltung adoptiert hatten. 1996 lud mich ein Promoter zu einem Gastspiel in den piekfeinen Beverly Club in Beverly Hills ein. Ich fühlte mich mehr als geehrt. Nicht nur, weil dem Beverly Club der Ruf vorauseilte, unter anderem Denzel Washington, Lawrence Fishburne und Will Smith zu seinen Stammgästen zu zählen. Sondern weil ich hier endlich einmal vor schwarzem Publikum auflegen würde. Menschen, aus deren Mitte einst meine musikalischen Helden wie Curtis Mayfield, Leroy Hutson und Marvin Gaye gekommen waren. Klar, dass ich meine 70er Jahre Funk- und Soul-Scheiben für diesen Abend mit ganz besonderer Andacht sortierte. Eine Feuertaufe, so dachte ich: Der Soul-Faktor meiner Plattensammlung würde alle überzeugen, und sie über meine Hautfarbe hinwegsehen lassen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Doch erst beim Betreten des Clubs wurde mir klar, wie sehr ich hier aus dem Rahmen fiel. Abgesehen davon, dass ich der einzige Weiße war, wirkte ich mit Ziegenbärtchen, Bell-Bottom-Jeans und abgewetzten Sneakers wie ein verirrter Acid Jazz-Freak auf einer Hollywood-Party. Im Beverly trugen die Männer alle Anzug, die Frauen hatten sich in die neuesten Kreationen von Gucci und Versace gehüllt. Der Laden füllte sich zusehends. Nur auf der Tanzfläche gähnte ein schwarzes Loch. Als ob sie mit Tretminen ausgelegt wäre – und alle das wüssten, außer dem DJ. Ich arbeitete mich von den exotischsten Rare Grooves a la Alvin Cash, The Gaturs und Wet Willie zu Otis Redding und Marvin Gaye vor. Doch keine Wirkung. Außer einem leeren Quadrat vor dem DJ-Pult. So war es um zehn Uhr. Um elf Uhr. Und auch um Mitternacht. Die Leute standen jetzt dicht gedrängt. Beäugten mich misstrauisch. Eine junge Frau in atemberaubenden Abendkleid beugte sich über das DJ-Pult: Ich wäre gerade im Begriff ihre Party zu ihrem 21. Geburtstag zu verderben. Ob ich jetzt endlich einmal Funk spielen könnte. Es lief gerade „The Boss“ von James Brown. Funk? War das, was ich auflegte, etwa kein Funk? Sie zählte etwas entnervt ihre Lieblingstitel von Boyz II Men, Babyface und Bobby Brown auf – und ich musste passen. Habe ich nicht. Tut mir leid. Passt nicht in mein Set. Wenn ich gedacht hatte, die Party noch mal mit Disco-Klassikern wie Rose Royces „Car Wash“ oder „Dancing Machine“ von den Jackson 5 herumzureißen, hatte ich mich gründlich geirrt. Die Schönheit im Abendkleid jedenfalls schickte ihre Freunde, um mir Druck zu machen. Langsam kam ich ins Schwitzen. Immer mehr Leute beschwerten sich. Von der Bar drangen Wortfetzen wie „warum legt so ein Idiot auf“ und „keine vernünftige Musik im Laden“ herüber. Einige Gäste fauchten es mir sogar geradewegs ins Gesicht: „Go home, white boy“. Warum griff niemand der Verantwortlichen ein? Ziemlich mutlos verließ ich das DJ-Pult und bat den Manager, mir doch eine Ablösung zu besorgen - dann wäre der Abend womöglich noch zu retten. Doch der klopfte mir nur auf die Schulter: „Mach weiter so. Wir haben zwei Gäste im Club, denen deine Musik gut gefällt“. Als ich um zwei Uhr nachts meinen ersten DJ-Abend ohne eine einzige Bewegung auf der Tanzfläche beendete, führte mich der Manager in eine dunkle Ecke des Clubs zu zwei Herren mit Sonnenbrillen: Quincy Jones und Stevie Wonder. Quincy rückte mir einen Stuhl zurecht und reichte mir ein Glas Champagner: „Man muss die Leute eben erziehen – nur nicht nachlassen!“ Worauf Stevie in sein unverwechselbares Stevie-Wonder-Lachen ausbrach. Er ergriff meine Hand: „Danke für den Abend.“ Und: „Willst Du mich nicht morgen in den Gottesdienst begleiten?“ Mir fehlten vor Aufregung die Worte. Gerade noch in der DJ-Hölle. Und nun im Soul-Himmel. So musste sich ein Penner fühlen, der versucht, seine letzte Münze aus dem Gulli zu fischen und dabei auf ein Bündel Hundert-Dollar-Scheine stößt. Halleluja. Foto: soulbrotherpari.com Protokoll: