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Mies Aufgelegt: DJ Muallem im Schneesturm
Meinen schlimmsten DJ-Abend habe ich im Januar 2005 in New York erlebt: Ich war im Avalon gebucht, einem legendären Club in einer ehemaligen Kirche in Manhattan. Früher hatte der Laden mal Limelight geheißen und schon so ziemlich alle berühmten House-DJs dieser Welt beherbergt. Entsprechend groß war meine Vorfreude: Hier wartete der Hype auf mich, der meine Karriere anschieben würde .
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der Abend verlief dann auch ganz nach Plan: Meine Mischung aus Chicago House, Detroit Techno und Paradise Garage-Klassikern traf offensichtlich den Nerv der Gäste, ich brauchte nicht lang anzuschieben und auf der Tanzfläche drehte sich ein Wirbel aus strahlenden Gesichtern und schwitzenden Leibern. So fühlte es sich also auf dem Gipfel des DJ-Olymps an. Nach der Durchquerung der Steilwand in Rekordgeschwindigkeit. Der erste Ernüchterungsschub kam nach dem Packen des Plattenkoffers um sechs Uhr früh: Wo war meine Jacke mit dem Fotoapparat? Jemand hatte sie offensichtlich aus dem Backstage-Bereich geklaut. Aber von den Clubmanagern war niemand mehr aufzufinden, nur noch das Putzpersonal schob die leeren Flaschen zusammen. Egal, jetzt nichts wie heim. Als ich, lediglich ein verschwitztes Sweatshirt am Körper vor die Tür trete, erkenne ich die Stadt kaum wieder: Weiße Schneeberge soweit das Auge reicht. Gedämpfte Stille über Manhattan. Während ich aufgelegt hatte, war offensichtlich ein Blizzard über New York hinweggefegt und hatte in einer Stunde eine zwei Meter dicke Schneedecke hinterlassen. Hallo Taxi! Ich musste doch auf die andere Seite des East River nach Brooklyn, wo ich bei einem Freund wohnte. Aber nach wem winken? Kein Mensch, kein Auto, kein Fahrzeug auf den Straßen. Selbst die sonst allgegenwärtigen Yellow Cabs hatten offensichtlich vor der Naturgewalt kapituliert. Nur ich stehe wie ein unbeschneiter Fremdkörper inmitten der weißen Pracht. Die Kälte schneidet mir durch die Kleider. Kann ich nicht einfach zurück zur Wärme des Clubs? Vergeblich. Alles schon dicht. Auch die U-Bahnen sind geschlossen. Mich treibt nur ein Gedanke: Nach Hause. So schnell wie möglich ins warme Bett. Wenn es sein muss, eben zu Fuß. Der Alkohol im Blut und die Resteuphorie des Abends schieben alle Zweifel an diesem Plan beiseite. Also schultere ich meinen Plattenkoffer und stapfe durch kniehohen Schnee in Richtung Brooklyn Bridge. Ein Fuß vor den anderen. Natürlich ist die Brücke nicht geräumt. Ein eisiger Wind weht über die Reling. Und ich bewege ich mich mechanisch vorwärts wie ein Bergsteiger, der auf dem Weg zum Gipel eben ein Schneefeld durchkämpfen muss. Ein Fuß vor den anderen. Längst ist der Schnee in meine Schuhe gekrochen, meine Hosenbeine sind vollkommen durchnässt. Hätte ich noch den Kopf dafür gehabt, vielleicht hätte ich einen Blick auf das wunderbare Panorama der weiß gezuckerten Stadt verschwendet. Aber Schönheit zählt jetzt nicht mehr. Das Avalon kommt mir vor wie ein fernes Basislager. Und ich mir wie ein Gipfelstürmer, den alle Sherpas im Stich gelassen haben. Wie lächerlich leicht dagegen der Aufstieg auf den DJ-Olymp gewesen war. Hier aber gab es kein Publikum, das mich mit seiner Euphorie nach vorne getragen hätte. Keine Stroboskope. Keinen Schampus. Nur einen Fuß vor den anderen. Nach einer knappen Stunde klopft ein Extrem-Bergsteiger mit vereistem Bart und einer merkwürdigen Kiste auf der Schulter an eine Haustür in Brooklyn. „Wie war der Abend?“, fragte mein Kumpel. Ich hatte eine Woche lang Zeit, ihm aus dem Fieberbett heraus den Auf- und Abstieg zum DJ-Olymp zu schildern. Hier kannst du ein Porträt über DJ Muallem lesen.