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Die Schlacht um die Lautstärke
Meinen peinlichsten DJ-Auftritt hatte ich im Jahr 1977 in der Bronx in New York: Ich nannte mich damals noch DJ Casanova und brachte jedes Wochenende mit meinem Partner Disco Wiz die B-Boys und die Partygirls zum Tanzen. Manchmal musste ich mir den Strom für mein Soundsystem von einem Laternenmasten zapfen. Manchmal kam die Polizei, um den vermeintlichen Aufruhr aufzulösen. Doch das konnte die Party bestenfalls verzögern. Denn sobald das Boom Boom der Bässe aus dem Park dröhnte, pilgerten die Leute Dutzende von Blocks weit heran, um meinen DJ-Mix zu hören. Wir nannten es zwar noch nicht HipHop: Aber zu meiner Popularität trug bei, dass ich als erster DJ eigene Reime über die Platten rappte – später sollte die Sugar Hill Gang einen meiner Verse für „Rappers’ Delight“, den ersten HipHop-Hit der Geschichte, klauen. Damals glaubte noch keiner daran, mit dieser Musik Platten zu verkaufen: Es ging allein um die DJ-Ehre. 1974 hatte ich DJ Kool Herc bei einer Party in der Bronx gehört und mir am nächsten Tag die Ausrüstung zugelegt, um es ihm nachzumachen: die Breaks, also die intensivsten Momente der Songs mit Hilfe von zwei Plattenspielern aneinander zu reihen. Drei Jahre später fühlte ich mich gerüstet, um den amtierenden DJ-König zum Battle herauszufordern: „DJ Casanova Fly & Disco Wiz vs Afrika Bambaataa“ verkündeten die Plakate.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wir hatten dafür eine Turnhalle in der 131sten Straße, Ecke Webster Avenue angemietet: Jeder von uns Kontrahenten war mit seinen Anhängern angerückt, die ganzen B-Boys und B-Girls hatten sich in Schale geworfen und die Luft knisterte wie vor einem Boxkampf um den Schwergewichtsgürtel. Keine Frage: HipHop bedeutete von Anfang an Wettbewerb. Eine Fortsetzung der Gang-Kämpfe mit friedlichen Mitteln. Und am Ende würde es einen Gewinner und einen Verlierer geben: In der Tat konnte ein verlorenes DJ-Battle eine Karriere für immer besiegeln. Am einen Ende der Halle hatten Disco Wiz und ich unser Soundsystem aufgebaut: Plattenspieler, Mischpult, Kabel und ein Turm aus Boxen. Am gegenüberliegenden Ende das gleiche Bild mit Bambaataas Crew. Wir würden abwechselnd auflegen – bis das Publikum mit Händen und Füßen über das bessere Soundsystem abgestimmt hatte. Erste Runde: Afrika Bambaataa ließ mir als Herausforderer den Vortritt. Und ich ging sofort aus der Deckung. Anstatt etwas von meinen DJ-Künsten zu zeigen, hievte ich eine brachiale Kampfansage auf den Plattenteller: „We will, we will rock you . . .“ Der Queen-Song bellte überlaut durch die Halle. Riss die Leute aus dem Sitz. Und ich fühlte mich mit jedem Beat um zwei Inches wachsen: Dieser Song war für mich geschrieben worden! Spätestens nach der Zeile „You got mud on your face, you big disgrace“ aber ergriff Afrikas MC das Mikrophon: „Wir können dich nicht hören!“ Okay, noch mal am Lautstärkeregler drehen. „We will, we will rock you“. Die Fensterscheiben zitterten. Wer eine Kapuze hatte, zog sie sich fester über die Ohren. Aber von Afrikas MC kam der Ruf: „Hey Casanova, wir können dich immer noch nicht hören.“ Verdammt, ich war schon auf Anschlag. Dann ließ Afrika sein Soundsystem hochfahren: mit der exakt selben Nummer. Nur drei mal so laut: „We will, we will rock you“. Der Boden bebte. Und meine Nerven begannen zu flattern: Bambaataa hatte die pure Gewalt auf seiner Seite. Und ich war dumm genug gewesen, mich auf ein Kräftemessen nach Lautstärke einzulassen. Wen würden jetzt noch meine Mix-Kunststücke, meine Breaks und improvisierten Reime interessieren? Ich legte keine Platte mehr nach – und begann, mit möglichst unbeteiligter Miene mein Soundsystem abzubauen. Die B-Boys pfiffen und lachten über mich: „Casanova wirft nach der ersten Runde das Handtuch.“ Jetzt bloß die Schultern hoch pressen! Stoisch die Kabel zusammenrollen und nicht mehr zur anderen Seite gucken! Ich sollte es überleben: Spätestens als ich mit den Cold Crush Brothers den Titelsong für den Film „Wildstyle“ rappte, scharten sich alle wieder um meine Boxen. Nicht wegen der Lautstärke. Sondern weil ich gelernt hatte, mit eigenen Worten zu kämpfen.