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Wider den Grönemeyerismus
Es wurde Zeit: ein Tatort im Ruhrgebiet, dem größten Ballungsgebiet Deutschlands. Dass die Wahl auf Dortmund fiel, ist nachvollziehbar: Essen und Duisburg hatten wir schon. Hattingen, Sprockhövel, Marl, Lünen und Gladbeck kennt keine Sau. Und Tatort in Bottrop, Wanne-Eickel, Gelsenkirchen oder Castrop Rauxel klingt nach einem Sketch aus der TV-Reihe „Switch“. Da blieb nur noch wenig Auswahl. Bei den teilweise vor Lokalkolorit triefenden Darstellungen diverser Tatort-Regionen muss man das Schlimmste befürchten, und nach der Kulturhauptstadt 2010 sind die Klischees noch allzu präsent.
Die Ergebnisse des Kulturhauptstadtjahrs „zwanzigzehn“ (wie man es im schönsten Gerhard Schröder-Deutsch nannte) lassen sich schnell zusammenfassen: ein paar Millionen Euro versackt, ein bisschen Industrieromantik, heimlich dauerhafte Kürzungen im Kultursektor beschlossen, einmal Menschen- statt Autostau auf der A40, unzählige schlechte Wortspiele und eine Erkenntnis: die Menschen im Ruhrgebiet sind zum Knochenkotzen. Also, nicht wirklich. Eigentlich sind wir hier nicht schlimmer als im Rest Deutschlands, aber das Image ...
Als Bochumer kann ich glaubhaft versichern, egal was Grönemeyer da nuschelt und gröhlt: Bochum (und das Ruhrgebiet an sich) ist keine „ehrliche Haut“, hier „verstaubt die Sonne“ nicht einmal metaphorisch, „Pulsschlag aus Stahl“ haben hier nur die Metalfans und auch Grönemeyer hängt nur so fest an der Region, dass er es sich außerhalb der Tourneen in England gut gehen lassen kann. Nein, das Ruhrgebiet ist nicht romantisch (nebenbei: Paris auch nicht). Und die Menschen, die hier leben, sind nicht ehrlicher, bodenständiger, rauer, härter im Nehmen oder liebenswerter als der Rest der Republik.
Aber wir reden so lustig. Das wusste schon Jürgen von Manger, alias Adolf Tegtmeier, mit seiner Ruhrdeutsch-Fälschung, die man nicht einmal am Strand an gutgläubige Touristen verkaufen könnte. Und heute weiß das Frank Goosen: Man muss nur aus dem hochdeutschen „Opa“ einen Ruhrdeutschen „Oppa“ machen und schon lachen alle wie pawlowsche Hunde. „Hömma Jaqueline, mach dat Wau da ma ei“ oder „komm, geh mich wech damit“: Das ist die Sprache des Volkes, des Arbeiters, des einfachen Mannes, des gesunden Menschenverstands oder wie Wolfgang Petry reimt: „Zwischen Rhein und Weser das Herz der Welt / hier bist du keine Nummer / keiner sieht auf dein Geld“. Diesen Unsinn kann und will doch keiner mehr hören, geschweige denn glauben.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der WDR sieht das anders, zumindest Intendantin Monika Piel. Die sagt zum neuen Tatort: „Und wir erfahren viel über das Temperament der Leute, die dort leben. Hier nimmt man das Leben bei den Hörnern und jammert nicht. Ebenso wie die Menschen selbst im und mit dem Wandel dieser Region leben...“. Endlich erfährt der deutsche Zuschauer etwas über unser Temperament. Wie der heißblütige Süd-Europäer, der trockene Brite, der brummige Bayer und der „Neger“, der so gern „schnackselt“ – auch beim Ruhrmensch weiß man, wo man dran ist. Darunter falle dann wohl oder übel auch ich – und meine fünf Millionen Mitbürger in der Gegend: alles eine Soße.
Und wir jammern nicht. Burnout, das ist für uns scheinbar nur Schickimicki. Hier herrscht kapitalistische Tugend: Arbeiten und Schnauze halten (oder wenigstens mit lustigem Dialekt reden). Die Pressemitteilung des WDR setzt noch einen drauf: „Der neue Tatort Dortmund zeigt die Kommissare als Menschen wie wir, die ihrer täglichen Arbeit nachgehen. Zwar ist es eine raue Gegend, doch niemand beklagt sich darüber“. Die Kommunen sind pleite, der Sozialabbau schreitet voran, die Städte verfallen und die Arbeitslosenquote liegt teilweise über 14 Prozent. Es gehört schon einiges an Zynismus dazu, die Situation im Ruhrgebiet als „raue Gegend“, als harten Lifestyle für echte Cowboys und Working Class Heroes zu verkaufen. Wer einmal mit offenen Augen und Ohren durch die Region geht, hört, wie die Leute sich beklagen: in den Kneipen, auf der Straße, in den Geschäften und auch im Stadion. Kein noch so lustiger Dialekt der Welt kann darüber hinwegtäuschen, dass es den Menschen hier dreckig geht; und das hat rein gar nichts mit Romantik zu tun. Abgesehen davon sollte allein mein Gejammer in diesem Text reichen, um dieses Klischee endgültig zu beseitigen.
Zynisch wirkt auch Piels Aussage über den Wandel in der Region: Stadtbüchereien und Schwimmbäder werden geschlossen. Kleine, interessantere Kulturprojekte bekommen keine oder kaum noch Zuschüsse und die Schulen und Unis werden buchstäblich kaputt gespart. Aber in den neu aufbereiteten Industrieparks kann man mit etwas Glück von weitem sehen, wie Til Schweiger und Veronica Ferres zu teuren und exklusiven Veranstaltungen pilgern, um dort über die ehrlichen Menschen hier zu reden – die aber zum Glück nicht rein dürfen. Und Gott sei Dank reicht das Geld auch noch, um Armin Rohde oder Dietmar Bär ins Schauspielhaus zu bringen. Da dürfen sie dann bei Klassikern auch mal „Pott“ reden. So wird der sonst offenbar unzumutbare Cyrano zu „ehrlicher“, „bodenständiger“ Comedy.
Einziger Lichtblick beim Dortmunder Tatort ist bis jetzt die Wahl von Aylin Tezel. Noch will man die Hoffnung nicht aufgeben, dass hier nicht nur die Rolle der Quotentürkin geschrieben wurde, um auch den dümmsten Zuschauer auf die wahnsinnige „Vielfalt“ hinzuweisen, die jeder Bürger in ganz Deutschland live sehen und erleben kann, sofern er nicht bei jedem deutsch-libanesischen Kulturverein hysterisch wird. Eine Vielfalt, die natürlich auch hier nur bis zu den Grenzen der Stadtteile reicht, wohin ausländische Mieter ausgelagert werden, oder zu den Wohlstandsdörfern außerhalb der großen Städte – von den Erfolgen kleiner, aber effektiver Neo-Nazi Gruppierungen, gerade in Dortmund, ganz zu schweigen.
Das Ruhrgebiet ist auf keinen Fall der schlechteste Ort zum Leben, hat bestimmt Krimi-Potential und vielleicht gibt es hier charmante Eigenheiten, die man als Bewohner selbst gar nicht wahrnimmt. Leider gibt es nur wenig Anlass zur Hoffnung, dass im neuen Tatort zwischen „dat“ und „wat“, zwischen Currywurst und stillgelegten Zechen nicht wieder das Ruhrgebiet als der Ort erscheint, wo die Leute den Kakao, durch den man sie zieht, auch noch trinken müssen.
Text: lars-banhold - Illustration: Katharina Bitzl