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Warum die Studiengebührenboykotts scheitern? Ihnen fehlt Sexappeal
Das Wort Sabotage entstand während der industriellen Revolution, als französische Arbeiter ihre Holzschuhe, sabot genannt, in die Maschinen warfen, um sie funktionsuntüchtig zu machen. Das wissen wir, wie so vieles, aus "Star Trek VI: Das unentdeckte Land". Leider nicht erzählt wird dort die Geschichte des englischen Gutsverwalters Charles Cunningham Boycott, dem im 19. Jahrhundert Ländereien in Irland anvertraut waren. Aufgrund ihrer miserablen Situation und Boycotts ausbeuterischer Amtsführung weigerten sich die Bauern, für den Gutsverwalter zu arbeiten oder Geschäfte mit ihm abzuschließen. Bis es ihnen unter Führung der irischen Landliga sogar gelang, den Mann zu vertreiben. Im Geiste dieser Idee haben sich seit der Einführung von Studiengebühren an verschiedenen Universitäten Studenten zusammengefunden. Das Prinzip ihres Vorgehens ist mittlerweile fast allen Studenten bekannt: Man möchte eine große Anzahl an Studenten dazu bewegen, die Gebühren auf ein Treuhandkonto zu überreichen und nur falls dabei ein festgelegtes Quroum erreicht wird, tritt der Boykott in Kraft. Andernfalls wird das Geld an die Universitätskasse weitergegeben. In Köln ist dieser Versuch nun - man möchte fast sagen: grandios - gescheitert. 10 000 Studenten hatte man als kritische Masse angepeilt, die notwendig ist, um den Boykott durchzuführen. 180 haben ihr Geld auf das Konto überwiesen. Woran liegt es? Am Einverständnis mit den Studiengebühren? Nur teilweise. Die Hoffnung ist hier ein Gegner des Protests: die Hoffnung darauf, dass sich die Zustände an den Instituten durch die Gebühren tatsächlich bessern. Aber längst nicht alle denken so. Liegt es an mangelnder Risikobereitschaft? Womöglich. Doch leben wir in Zeiten, in denen dem Großteil der Magister-Studenten bewusst ist, dass ihre akademische Ausbildung einen geringen wirtschaftlichen Wert hat; sie hätten also, so könnte man denken, fast nichts zu verlieren gehabt bei der Sache. Hinzu kommt: Protest ist unstreitbar sexy. Es wäre - angenommen der Boykott käme zustande - kein unpathetisches Gefühl, als Mitstreiter darauf zu warten, wie die Hochschulleitung sich entscheidet. Es wäre ein bewegender Tag, an dem 10 000 Studenten vor der Rektorat ihre Exmatrikulationen verbrennen. Da muss also etwas gewesen sein, dass die Attraktion des Rebellierens - die aller Unkenrufe zum Trotz noch vorhanden ist - zerstört hat. Der Boykott wirkte bürokratisch. Und es fehlte ihm ein entzündender Anlass. Kurz: Er war unsexy. Das ist natürlich alles andere als eine rationale Rechtfertigung dafür, den Boykott zu boykottieren. Aber vielleicht eine Erklärung, warum er so wenig Anklang fand.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der Landesschülerverband Rheinland-Pfalz protestierte einmal gegen das "ungerechte Notensystem", indem er Schüler dazu aufrief, ihre Zeugnisse vor dem Bildungsministerium in Mainz zu verbrennen. Jedoch, so hieß es, sollen aus praktikablen und anderen Gründen bitte nur Kopien der Zeugnisse mitgebracht werden. Mit solcherlei Vorsichtsmaßnahmen unterminiert man eine symbolische Aktion, indem man sie auf ihren Symbolcharakter reduziert. Einen ähnlichen Fehler beging vielleicht auch der für den Studiengebührenboykott zuständige Arbeitskreis, als man dem Sicherheitsbedürfnis der Studenten zu sehr entgegenkam. Womit man den Boykott attraktiver machen wollte, zerstörte man seine Attraktivität. Quoren und AGB, Haftungsausschluss und Salvatorische Klausel: Das passt nicht so recht zum Geiste des Protests. Man ist in einem Dilemma. Darin kann man einen der Gründe sehen, warum die Studenten der Hamburger Hochschule für bildende Künste und der Theaterakademie die einzigen sind, die den Boykott bisher tatsächlich begonnen haben: Der enge Zusammenhalt, die übersichtliche, wenig anonyme Menge der Studenten an kleinen Instituten kann das Loch stopfen, das das beamtenhafte Treuhandkontentsystem im Selbstverständnis des Protests hinterlässt. Die Theaterstudenten setzten erst gar nicht auf dieses Prinzip und boykottieren „wild“, wie es heißt. Also in der einzigen dem Protest angemessenen Form.
Bei den Studiengebühren geht es um’s Prinzip – um ein durchaus richtiges Prinzip: Für Bildung sollte man nicht zahlen müssen. Aber reine Prinzipienfragen lassen sich genauso wenig wie Bürokratie mit dem Sexappeal des Protests vereinbaren. Im Gegensatz zur Situation von Boykotts Landarbeitern, im Gegensatz zu so vielen Situationen, die erfolgreichen Protesten vorausgingen, kann man an der Universität Köln kaum jemanden sehen, der unter Studiengebühren qualvoll leidet. Das hat das System gut eingerichtet, es sorgt für die Seinen, würde Kritiker sagen. Mit Hilfe der Kredite können die meisten die Gebühren aufbringen – erst einmal. Das soll nicht heißen, dass es keine Härtefälle gibt, eine allgemeine akute Notlage sieht aber anders aus. Deswegen bleibt den Gegnern der Gebühren nur, sich auf die prinzipielle Richtigkeit ihres Protests und die prinzipielle Verwerflichkeit der Gebühren zu berufen. Hinter jedem funktionierenden Protest steht so ein Prinzip, aber im Vordergrund auch ein aufrührender Anlass, den es vielen Studenten schwer fällt zu sehen. Weil es beispielsweise schwer ist, Geld zu vermissen, das man nie besessen hat. Jede missliebige Schulkleiderordnung zu boykottieren wäre einfacher, als gegen diese unliebsamen Gebühren vorzugehen.
Das heißt nicht, dass sich die Jugend für Prinzipienfragen ohne aufrührende Anlässe nicht interessieren würde – sie ist nur geneigt, sie anders zu lösen, beim nächsten Wahlgang zum Beispiel. Viele Formen des Protestierens funktionieren nicht rational, sondern weil sie ihre ganz eigene Anziehungskraft besitzen. Deswegen kann auch ein vernünftiger Boykott scheitern, wenn die Umstände es nicht anders zulassen. Vielleicht ändern sich die Umstände sich eines Tages. Möglicherweise dann, wenn die Studenten ihre Kredite zurückbezahlen sollen. Dann sind sie arm, aber ihr Protest ist sexy.
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REDAKTIONSBLOG
Exmatrikuliert: Neues vom Gebührenboykott in Hamburg
Nur in Hamburg werden derzeit die Studiengebühren tatsächlich boykottiert, und zwar an der Theaterakademie und an der Hochschule für bildende Künste (HfBK). An der HfBK spitzte sich die Situation in dieser Woche zu: 269 von 442 gebührenpflichtigen Studenten verweigern die Zahlung der Studiengebühr von 500 Euro je Semester. Laut taz wurden am Montag die Bescheide über die Zwangsexmatrikulation verschickt. Während der Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger das Recht auf seiner Seite sieht, ist HfBK-Präsident Martin Köttering zwiegespalten. Er fürchtet einen "großen kulturellen Verlust" für die Stadt Hamburg und machte seinen Studenten eine Art Friedensangebot: Keine Exmatrikulation wird vollzogen, wenn die Boykotteure doch noch bis zum 30. September 2007 das Geld überweisen. Köttering gilt als Kritiker von Studiengebühren, weil er seine Hochschule gegenüber ähnlichen Einrichtungen in Düsseldorf oder Berlin im Nachteil sieht - dort werden keine Gebühren erhoben.
Der sofortigen Exmatrikulation sind die Studenten im Moment also entgangen. Fraglich ist nun, ob die Protestfront auch während der Sommermonate hält.
Text: lars-weisbrod - Illustration: Katharina Bitzl