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Wanderlust

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Als Kind teilte ich die Welt in gut und blöd ein, dazwischen gab es keine Abstufungen. Das galt auch für die Frage, wie ich meine Nachmittage verbringen möchte. Geliebte Aktivitäten waren Löcher buddeln, meine Katze streicheln und Pfannkuchen mit Zimt und Zucker essen. Zu den blöden zählten Völkerball spielen (Angst vor schnellen Bällen), meine Haare kämmen (ziepende Knoten) und Fußboden saugen. Aber alle diese ungeliebten Tätigkeiten verblassten vor der schlimmstmöglichen Aktivität: dem Wandern. Dabei mochte ich die Natur, zum Spielen. Aber ohne erkennbaren Sinn durch den schattigen Wald laufen, wenn man auch Baumhäuser bauen könnte? Nein danke.

Alles am Wandern war mir zuwider: die klobigen Schuhe mit Goretex-Siegel, die ausgetretenen Pfade, die Gespräche („Wo geht der rosa Kringelweg weiter?“) und die regelmäßigen Pausen, um Blumen zu identifizieren. Das Käsebrot, das meine Eltern für mich eingepackt hatten, war an Wandernachmittagen der einzige Lichtblick.

Umso überraschter war ich, als ich mit 20 Jahren aus dem Fenster schaute und Lust bekam zu laufen. Also nicht zu joggen, sondern zu spazieren. Mit festem Schritt durch die Natur. Entlang an Bächen, über grüne Wiesen, mit einem Stock in der Hand und einem karierten Tuch um den Hals. In meinem Kopf spielten sich Szenen wie aus einem Heimatfilm ab. Und ich lief los. Ohne Stock und Halstuch, auch die Wiese war eher bräunlich als grün. Trotzdem erwachte an diesem Tag meine Liebe dazu, die Natur gemächlich zu durchschreiten.

Oft habe ich mich gefragt, wann ich mich erwachsen gefühlt habe. Wenn man sich überhaupt so fühlen kann, schließlich ist es ein schwammiges Gefühlskonzept. War es der Augenblick, als ich mein Abiturzeugnis überreicht bekommen habe? Als ich meine erste eigene Wohnung hatte? Oder als Menschen, die früher faltig und alt aussahen, auf einmal viel jünger auf mich wirkten? Als ich meine erste Steuererklärung einreichte?

Tatsächlich war es wohl der Moment, als ich einem Schuhverkäufer meine EC-Karte reichte. Für 160 Euro teure Wanderschuhe mit Goretex-Siegel. Die klobigen Dinger, die ich als Kind nicht an meine Füße lassen wollte, waren jetzt das Objekt meiner spießigen Begierde. Für einen Wanderurlaub in den Alpen mit meinem besten Freund. Ich dachte an die kleine Dorothea, die meine Mutter mit Gummibärchen zum Weiterlaufen überreden musste. Meine wanderhassende Kindheit war vorbei. Vielleicht sogar die Kindheit an sich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Natürlich waren viele andere Tage in meinem Leben richtungsweisender als ein Schuhkauf. Aber die Wanderschuhe, die auf reine Funktionalität zielen, waren ein klarer Bruch mit meiner unfunktionalen Vergangenheit. Mit all den Wintern, in denen ich trotz knöchelhohen Schnees mit Chucks in die Schule stapfte und behauptete, mir sei nicht kalt. Oder früher noch: als ich mir als kleines Kind Schuhe wünschte mit Flammen an der Seite.

Die Schuhe waren der erste Schritt in eine vernünftige Wanderzukunft: meinen ersten Alpenberg bestieg ich noch mit Chucks, kraxelte damit durch ausgetrocknete Flussbetten. Es waren eben meine ersten stümperhaften Wanderversuche, noch weit entfernt von den notorisch durchgeplanten Wandertouren, die ich heute unternehme. Bei denen ich um sechs Uhr aufstehe, um dann den rosa Kringelweg zu suchen und Pflanzenarten zu bestimmen. Und mir mittags einen kleinen Hügel mit Aussicht suche, wo ich mein Käsebrot essen kann. Mit Wanderschuhen an den Füßen, die sie vor Regen schützen und meine Knöchel entlasten. Für mich ist Erwachsensein guter Halt. Im Leben und in Schuhen.

Text: dorothea-wagner - Bild: 0711concept / photocase

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