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Verbieten, was man nicht versteht: Ein "Killerspiel-Verbot" hilft bei der Aufarbeitung des Amoklaufs überhaupt nicht
Wir sind ratlos. Wir haben nicht für möglich gehalten, dass so etwas bei uns geschieht. Wir sollten unsere Ratlosigkeit nicht zu überspielen versuchen mit scheinbar naheliegenden Erklärungen. Wir sollten uns eingestehen: Wir verstehen diese Tat nicht. Diese Worte stammen von Johannes Rau. Der damalige Bundespräsident sprach sie während der Trauerfeier zum Gedenken an die Opfer des Mordanschlages in einem Erfurter Gymnasium im Frühling 2002. Es tut gut, Raus Worte heute wieder zu lesen, weil er etwas ausspricht, was die Politiker nach dem Mordanschlang von Winnenden sich nicht auszusprechen trauen: Wir verstehen es nicht, sagt Johannes Rau. Wir sind ratlos. Statt mit diesen Sätzen vor die Presse zu treten, lassen sich Politiker mit anderen Worten zitieren. Sie fordern schnelle Konsequenzen und hartes Durchgreifen. Sie verdammen so genannte Killerspiele und geben dem Internet eine Mitschuld. Die Trauer lindern sie damit nicht und auch nicht das Entsetzen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Um ihrer Trauer und ihrem Entsetzen Ausdruck zu verleihen, haben die Menschen in Winnenden Kerzen und Blumen vor der Realschule niedergelegt, in der am Mittwoch der Amoklauf begann. Foto: ddp Johannes Rau sagte vor sieben Jahren im Erfurter Dom: "Gewiss, wir möchten verstehen, was den Täter angetrieben, was ihn verführt, was ihn jeden menschlichen Maßstab hat verlieren lassen. Wir suchen nach Ursachen und nach Verantwortung." Man sollte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) unterstellen, dass es diese Suche nach Ursachen ist, die ihn Sätze sagen lässt, wie: "Killerspiele sind schlicht abartig und sollten komplett verboten werden." Auch die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) hat vermutlich die Aufarbeitung der schrecklichen Tat im Sinn, wenn sie rhetorisch fragt: "Braucht unsere Gesellschaft aggressive Gewaltspiele und exzessive Gewalt im Fernsehen?" Und dann antwortet: "Auf diesen menschenverachtenden Schund können wir verzichten." Doch in Wahrheit tragen Schünemann und Merk und all die anderen, die jetzt nach einem Killerspiel-Verbot rufen, keineswegs zur Ursachenforschung bei. Sie zeigen vielmehr nur ihre eigene Ratlosigkeit. Weil sie nicht wissen, wie man angemessen reagiert, greifen sie das an, was sie nicht kennen. Sie inszenieren eine Kampagne gegen die dunkle, vemeintlich gefährliche Welt der Computerspiele und übersehen dabei: Es ist die Welt ihrer Kinder, die sie damit pauschal in Verbindung bringen mit einem psychisch kranken Einzeltäter. Warum tun sie das? Die Verbindung, die man vom Amokläufer von Winnenden zu Computerspielen herstellen kann, ist äußerst vage. "Tischtennis war seine Leidenschaft", zitiert die Frankfurter Rundschau einen Bekannten von Tim K.: "Mit Computern hatte Tim nicht viel am Hut. Für das Internet habe er sich auch nicht begeistert." Wofür er sich offenbar begeistern konnte, waren Waffen. Er war im Schützenverein und in seinem Zimmer fand die Polizei mehrere Softair-Waffen. In seinem Elternhaus hatte er - warum auch immer - Zugang zu einer Beretta und zu Munition. Egal, wie man sich in der Debatte über die Wirkung von Computerspielen positioniert, eins ist unbestreitbar: Dass Tim K. Zugang zu der Waffe und der Munition hatte, hat den Amoklauf erst möglich gemacht. Ohne die Waffen wäre es nicht zu dem Amoklauf gekommen, ohne Computerspiele vermutlich schon. Dennoch sagt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), man dürfe nicht glauben, der Grund für das "schreckliche Geschehen" sei privater Waffenbesitz." Warum man aber glauben soll, dass Computerspiele der Grund seien, sagt der Innenminister nicht. Keiner der Politiker, die sich jetzt zu Wort melden, kann das sagen. Es ist vielmehr populistischer Aktionismus, der die Politik treibt: Man will verbieten, was man nicht versteht. Vermutlich kennen Merk, Schünnemann und Schäuble zahlreiche Menschen, die in deutschen Schützenvereinen aktiv sind. Sie würden es zurecht zurückweisen, diesen eine Verbindung zu dem Amoklauf zu unterstellen. Weil sie aber vermutlich in ihrem Bekanntenkreis keine Menschen haben, die regelmäßig Counterstrike spielen (oder es zumindest nicht zugeben), konstruieren Merk und Schünnemann hier eine Verbindung, die genauso falsch ist und stellen Computerspieler an den Pranger. Es sind diese naheliegenden Erklärungsversuche, die Johannes Rau in seiner Erfurter Rede kritisierte, die jetzt eine Öffentlichkeit bekommen. Weil es doch so gut passen würde, hat man zum Beispiel am Donnerstag gerne geglaubt, dass Tim K. seine Tat im Internet angekündigt habe. Baden-Württembergs Innenminister Rech hat vor der Presse sogar aus dem gefälschten Post vorgelesen und ein Polizeisprecher lies mit Blick auf die Tat verlauten: „Das Motiv hängt mit dem Internet zusammen.“ Selbst wenn Tim K. seine Tat im Netz angekündigt haben sollte, bleibt dieser Satz falsch und dumm. Denn: Hätte der Polizeisprecher auch verkündet, das Motiv hänge mit Papier zusammen, wenn Tim K. seinen Amoklauf auf einem Zettel angekündigt hätte? Vermutlich nicht. Weil man mit einem Stück Papier nicht die Konotation des Fremden, Verbotenen und Kriminellen verbinden kann. Mit der abstrakten und völlig unklaren Begrifflichkeit "das Internet" oder "die Killerspiele" kann man aber ein Feindbild konstruieren, aus dem man naheliegende Erklärungen ableitet. Der Aufarbeitung des Unfassbaren dient dies sicher nicht, höchstens der Selbstinszenierung eines vermeintlich durchgreifenden Politikers. Dass es darum jetzt aber nicht gehen sollte, merkt man spätestens wenn man Raus Erfurter Rede liest. Darin kommt er mit Blick auf die unfassbare Tat zu dem Schluss: "Wir werden sie - letzten Endes - auch nie völlig erklären können." Weitere Berichte zum Amoklauf von Winnenden auf jetzt.de