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Und irgendwann ist keiner mehr da

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Gerade seinen allerletzten Schultag zu haben ist ein richtig geiles Gefühl: Alles scheint machbar, man ist verliebt in die große neue Freiheit. Doch so sehr man auch will, dass jetzt alles anders wird, so sehr fürchten man sich davor, dass es mit den Freundschaften aus der Schule auch so gehen wird. Dass einem die bisher allerbeste Freundin in ein paar Jahren nicht mehr die Haare beim Kotzen hält, sondern einer neuen allerbesten Freundin, die sie beim Studieren in einer hunderte Kilometer weit entfernten Stadt kennengelernt hat und mit der sie sich nun eine Wohnung und auch sonst alles teilt. Man selbst ist dann raus. Bis man das okay findet, muss einige Zeit vergehen, die man in vier Phasen einteilen kann:

Phase 1: Das Hoch

Auf der Abifeier schwelgt man noch einmal in gemeinsamen Erinnerungen, sieht sich die alten Jahrbücher an und lacht über die lustige Frisur, die man selber in der fünften Klasse hatte oder erinnert sich noch mal an den Referendar, den alle Mädchen so toll fanden. Die Gefühle springen umher zwischen Melancholie und Euphorie. Jemand am Tisch hebt sein Sektglas und alle stoßen an. Darauf, dass man sich niemals aus den Augen verlieren wird. Darauf, dass es vielleicht allen anderen so geht, aber niemals dem eigenen Freundeskreis. Man schwört sich ein, fühlt sich als Gemeinschaft. Die Melancholie rückt in den Hintergrund und den restlichen Tag und Abend verbringt man gemeinsam in einem Hoch, beflügelt durch Freiheit und Alkohol.

Phase 2: Der Sommer

Die Zeit nach dem Abi wird vollgestopft mit Partys, Festivals und Urlauben. Man ist kaum noch zu Hause, will kaum noch zu Hause sein. Die ganze Zeit ist man damit beschäftigt, Pläne zu schmieden und noch beschäftigter damit, alle in die Tat umzusetzen. Der Druck ist groß: Dieser Sommer muss einfach der beste des Lebens werden! Man will all die tollen Sachen machen, die man aus Teenie-Filmen kennt: noch mal am Lagerfeuer sitzen, unter freiem Himmel schlafen, einen Roadtrip machen. Der Facebook-Feed ist gefüllt mit Urlaubsfotos und Meldungen, auf welcher Party man schon wieder war. Man hat eine gute Zeit miteinander, feiert sich selbst und versucht, Erinnerungen für die Ewigkeit zu schaffen. DVD-Abende oder einfach gemeinsam am See rumliegen gehört auch zum Programm, man will sich einfach so oft sehen, wie es nur geht.

Doch irgendwann wird der Terminkalender wieder leerer. Die ersten Freunde fangen an zu jobben, werden Au-Pair in Australien oder backpacken durch Südostasien. Die ersten Anzeichen sind da, dass es auch noch ein Leben nach Abitur und Selbstzelebrierung gibt.

Phase 3: Das Tief

Und irgendwann ist einfach keiner mehr da. Spätestens Anfang Oktober sind fast alle zerstreut in Deutschland oder auf der ganzen Welt. Die Menschen, die man vorher täglich oder zumindest wöchentlich getroffen hat, sind nicht mehr greifbar.

In der Schulzeit musste man sich nie viel darum kümmern, sich nicht aus den Augen zu verlieren: man hat sich ja eh jeden Tag gesehen, saß nebeneinander in Mathe und ging in der Pause immer zusammen zum Bäcker. Doch jetzt sieht man viele nur noch am Wochenende oder sogar nur einmal im Monat. Und wenn man es mal schafft, sich zu treffen oder sich zufällig in der Bahn über den Weg läuft, dann erzählen die anderen von tollen Erlebnissen mit den neuen Leuten, die sie beim Studieren kennen gelernt haben. Es ist ein schleichender Prozess: Zuerst hat man noch das Gefühl, über alles informiert zu sein, was der andere gerade so treibt. Doch irgendwann driftet jeder in seine eigene neue Lebenswelt ab. Es gibt da diese eine Freundin, mit der man sich früher immer lustige Bilder auf Whats App hin und her geschickt hat. Jetzt ist das letzte Bild schon Wochen her. Man ging immer mit der Clique in der Mittagspause zusammen zum Döner Essen und sprach dabei über alles, was einen beschäftigte. Jetzt hat man keine tägliche Gelegenheit mehr dazu, sich alles sofort von der Seele zu reden. Auf das, was vorher selbstverständlich schien, kann man sich nun nicht mehr verlassen: Man merkt, dass das Pflegen einer Freundschaft Arbeit erfordert. Man muss sich nun Platz im Kalender für ihn freihalten und ein Zugticket kaufen, um den anderen sehen zu können.

Phase 4: Die Akzeptanz

Es sind kleine Momente, die dabei helfen, sich mit der veränderten Situation anzufreunden. Vielleicht schafft man es dann doch mal an Weihnachten oder so, wenn der gesamte Schulfreundeskreis wieder in der Heimatstadt versammelt ist, sich zu treffen. Oder man läuft sich zufällig in der Bar über den Weg, in der man zu Schulzeiten jeden Freitagabend war. Der eine Freund, der früher schon immer so schnell betrunken war, sitzt auch an diesem Abend schon nach zwei Bier schlafend irgendwo rum. Es gibt immer noch die gleichen Nicht-Tanzen-Könner, Sprücheklopfer und die, die immer erst drei Stunden nach allen anderen auftauchen. Man redet über neue und alte Geschichten, doch die Melancholie, die sich vorher bei solchen Gesprächen immer breit gemacht hat, ist verschwunden. Man lacht gemeinsam über die alten Sachen, ist interessiert an den Neuigkeiten und kann vielleicht auch selbst etwas Neues erzählen.

Bei so einem Zusammentreffen realisiert man, dass sich irgendwie doch nicht so viel verändert hat, wie man dachte. Gleichzeitig weiß man, dass sich eigentlich alles verändert hat. Es muss nicht mehr alles so sein wie zu Schulzeiten und doch ist es eben manchmal noch genauso. Natürlich sieht man die meisten nicht mehr so oft wie früher oder hat mit manchen auch gar keinen Kontakt mehr. Vielleicht hat man sich mit manchen ein bisschen mehr aus den Augen verloren, als man sich am Tag der Abifeier noch geschworen hat, aber mittlerweile ist das okay. Viel wichtiger sind einem jetzt die Freundschaften, die durch alle Veränderungen hindurch gehalten haben. Es bedeutet einem nun viel, dass man immer noch in Kontakt steht und sich immer noch gut versteht. Und vielleicht erhebt man bei solchen Treffen wieder die Gläser.

Text: mona-steininger

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