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Überraschende Nachricht aus Oslo: Friedensnobelpreis fürs Internet

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Es geht um eine schöne Medaille, eine persönliche Urkunde und die nicht unerhebliche Summe von 10 Millionen schwedischen Kronen (umgerechnet fast eine Million Euro). Doch in Wahrheit geht es beim Friedensnobelpreis um viel mehr: Der Wert dieser vielleicht wichtigsten Auszeichnung der Welt besteht in der politischen Bedeutung, die von der Entscheidung der vier Damen und des einen Herren aus dem Nobel-Komitee ausgeht. Als Ågot Valle, Inger-Marie Ytterhorn, Sissel Marie Rønbeck, Kaci Kullmann Five sowie der Vorsitzende Thorbjørn Jagland in diesem Jahr Barack Obama zum Träger des Friedensnobelpreises machten, wollten sie damit vor allem ein politisches Zeichen setzen. Wenn Obama am kommenden Donnerstag in Oslo Medaille, Urkunde und Geld entgegen nimmt, soll die Welt sehen: Hier wird die Hoffnung ausgezeichnet, die von Obama ausgeht. Die Hoffnung auf eine friedlichere Welt, die Möglichkeit der Verbrüderung, die Chance auf eine Welt mit weniger Krieg, die – so die Einschätzung des Komitees – durch Obamas Politik gewachsen ist. Man kann über diese Entscheidung streiten, worüber man nicht streiten kann ist die Wirkung, die die Meldung aus Oslo Anfang Oktober erzielt hat. Diese Wirkung müssen die Chefredakteure des Technik-Magazins Wired im Sinn gehabt haben, als sie vor ein paar Tagen die Seite internetforpeace.org ins Netz stellten. Sie schlagen dort etwas Absurdes und auch deshalb Großartiges vor; sie möchten, dass die Welt sich im kommenden Herbst erneut verwirrt die Augen reibt, weil man in Oslo entschieden hat: Das Internet wird mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

„Das Netz hat eine neue Stufe erreicht“, erklärt Chris Anderson, Chefredakteur der amerikanischen Wired-Ausgabe und einer der Erfinder dieser Idee, „es umgeht sogar große Medienmogule und versetzt die Menschen in die Lage, sich direkt zu vernetzen. Und wenn sie das tun, erwächst daraus eine anregende Reflektion über unsere Spezies.“ Anderson, der bekannt ist für seine zugespitzten und kontroversen Thesen, hält diese Möglichkeiten der Vernetzung für eine Hoffnung auf Besseres, eine Chance für den Frieden. „Die Menschen wollen Frieden“, sagt er, „und wenn sie eine Stimme bekommen, werden sie unermüdlich dafür arbeiten. Kurzfristig wird ein Twitter-Account eine AK-47 nicht zum Schweigen bringen, aber auf lange Sicht ist eine Tastatur gewaltiger als ein Schwert.“ Anderson weiß, was er da sagt und warum er es auf diese Weise betont. Denn der Preis, für den er das Internet vorschlägt, hat das Ziel, diejenige oder denjenigen zu ehren, die oder der „am meisten oder am besten für die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere“ gearbeitet hat und auf diese Weise, „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ hat. Und wenn man das Netz, diese Verbindung von Computern überall auf der Welt, so versteht wie Anderson es beschreibt (und eben nicht bloß als Zusammenschluss von Rechnern), gewinnt die Idee einen übers erste Schmunzeln hinausgehenden Charme. Abseits aller organisatorischer Zweifel (Wer nimmt den Preis entgegen? Wo landet das Preisgeld?) und der Frage, ob diese Aktion nicht nur eine geschickte Werbeaktion für Condé Nasts Technik-Magazin ist, bleibt ein überaus wohltuender Gedanke: Nehmen wir für einen Moment an, das Internet erhält tatsächlich den Friedensnobelpreis, es würde wenig noch so sein wie vorher. Nicht, dass all der Hass und der Schmutz verschwinden würde, den es ohne Zweifel im Netz gibt. Doch die Perspektive würde sich verändern. Das Internet wäre fortan nicht mehr der merkwürdige, schmutzige und ungeheuerliche Ort, an dem sich nerdige Jugendliche treffen. Von einem Moment auf den anderen würde das Netz in der öffentlichen Wahrnehmung zu dem, was es für viele Menschen heute in der Realität bereits ist: Ein Ort des Austauschs, der Verständigung und der Debatte. Ein Ort, der es durch seine selbstverständliche Vernetzung unmöglich macht, ernsthaft zu glauben, jemand anderer sei wegen seiner Rasse, Hautfarbe, Orientierung oder Nationalität weniger wert als man selbst. Schließlich gilt fürs Internet (im Prinzip) was für die hohe See und das Gericht schon immer galt: Hier sind (technisch gesehen) alle gleich. Natürlich, die Realität sieht anders aus. Und es ist leicht, innerhalb weniger Suchanfragen-Sekunden Beispiele aus dem Netz zu fischen, die beweisen: Das Netz ist ein Ort, an dem zu Hass und Gewalt aufgerufen wird, ein böser Platz voller Gewalt. Das Bestechende an dem Vorschlag, eben diesen Ort für den Friedensnobelpreis zu nominieren, erschließt sich quasi indirekt. Denn dass wir innerhalb weniger Suchanfragen-Sekunden Dinge aus dem Netz fischen können, ist ja eben der unschätzbare Wert dieses besonderen Ortes. Das Prinzip des Web basiert auf dem freien Fluss von Daten und Informationen, das Netz setzt technisch um, was die Demokratie zu ihrem theoretischen Prinzip gemacht hat: den Austausch, die Debatte und ja, auch die Verständigung. Wie wichtig das ist, sieht man immer dann, wenn politische oder geschäftliche Interessen genau dies unterbinden wollen. Die Macher von „Internet for peace“ zitieren Beispiele aus Iran, wo die Verbreitung der Information über die Demonstrationen in Teheran „mit einem Tempo von 220.000 Tweets in der Stunde viel zu überwältigend war, um zu glauben, dies sei ohne das Internet möglich gewesen“, wie es die iranische Menschenrechtlern Schirin Ebadi formuliert, die das Projekt ebenso unterstützt wie der Designer Giorgio Amani und der italienische Wissenschaftler Umberto Veronesi. Doch man muss gar nicht bis nach Teheran oder nach China gehen, um die Bedrohung für den freien Datenaustausch zu benennen. Nicht nur politischer Wille in der Ferne, sondern auch geschäftliche Interessen direkt vor unserer Haustüre können diesen Fluss bedrohen: Was passiert, wenn Facebook plötzlich Links nach außen sperrt? Oder wenn Google darüber entscheidet, was online sein darf und was nicht? Oder wenn Amazon beschließt, dass nur noch eine begrenzte Anzahl Klicks täglich kostenfrei sind? Gibt es eine Organisation oder eine Partei, die dann unsere Interessen als Internet-Nutzer vertritt? Warum eigentlich nicht, denn diese Bedrohung ist weitaus weniger fiktiv als die obigen Fragen scheinen. Dafür ein Gespür zu entwickeln und das Netz nicht mehr ausschließlich als Bedrohung für die bestehende Kultur zu sehen, wäre einer der entscheidenden Effekte, die von der Nominierung für den Friedensnobelpreis ausgehen sollten. Das Internet, sagt dieser Vorschlag und meint damit jeden vor uns, ist eine kulturelle Errungenschaft, die wir auch verteidigen müssen. Allein für diesen Hinweis hat internetforpeace.org jede Unterstützung verdient – selbst wenn es im kommenden Herbst nicht für eine überraschende Nachricht aus Oslo reicht.

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