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Studieren ist super! Nie wieder wird Geld so unwichtig sein

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Auf der Website des UniSPIEGEL erschien am Dienstag der Text einer 25-jährigen Berliner Studentin, „ein zorniger Zwischenruf“ mit dem Titel „Meine Armut kotzt mich an“. Julia, so ihr Name, berichtet dort von ihrem Studentenleben, das für sie manchmal einer Qual gleicht, weil das Geld fehlt, um sorgenfrei dabei sein zu können. Ihre familiäre Situation verhindert einen Bafög-Anspruch, der wohl berechtigt gewesen wäre. Sie arbeitet nebenher in zwei Jobs und das Kindergeld überlässt sie ihrer Mutter, die Arbeitslosengeld II bezieht. Julia verzichtet auf jede Verallgemeinerung ihrer Lage. Aber weil ihr Einzelschicksal in einem journalistischen Kontext auftaucht, raunt es den Leser aus dem Zwischenraum der Zeilen zu: Schaut her und schließt von diesem einen Fall auf das große Ganze! Aber stimmt es denn, dass Julia in ihrer Wut ausspricht, was viele empfinden? Dass Studenten (vor allem seit Einführung der Studiengebühren) zu viel nebenbei arbeiten müssen und deswegen nicht mehr in Ruhe studieren können: Ja, das ist möglicherweise wahr. Dass es immer wieder Fälle gibt, in denen das BAföG-System nicht greift: Auch das ist ein Problem. Aber Julia operiert in ihrem Zwischenruf kaum mit hard facts. Es scheint ihr eher um ein Gefühl zu gehen, um ein Gefühl des Nichtdazugehörens. Vergangenes Jahr wurde die 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks veröffentlicht, in der die Finanzlage der Studenten empirisch ausgeleuchtet wird. Widerlegen die Zahlen und Daten Julias Gefühl? Bestätigen sie es?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Arme Schlucker oder eine glücklicher Raum vergleichbar mit Vorschulkindern? Wie ist die finanzielle Situation von Studierenden, Foto: dpa „Studierende des Jahres 2006 verfügen über monatliche Einnahmen in durchschnittlicher Höhe von 770 Euro“, heißt es dort. Elf Prozent der Studenten hatten allerdings 500 Euro oder weniger, drei Prozent sogar 400 Euro oder weniger. Ein Fazit der Sozialerhebung: „Nach dem BAföG wird für Studierende, die nicht im Elternhaus wohnen, ein Förderungshöchstsatz von 585 Euro für angemessen gehalten. Die Rechtsprechung geht hingegen von einem Bedarfssatz für solche Studierende von 640 Euro aus. Gemessen an diesen Bedarfssätzen liegt der Anteil der finanziell nicht adäquat ausgestatteten Studierenden bei 22 % bzw. 33 %.“ Und: Nur 60 Prozent der befragten Studenten gingen davon aus, dass die Finanzierung ihres Lebensunterhalts während des Studiums sichergestellt ist. Nie mehr wird der soziale Druck so klein sein Julia ist also nicht ganz alleine, wenn sie sich Sorgen macht. Die Sozialerhebung stützt ihre Sicht der Dinge, denn vielen Studenten mangelt es tatsächlich an Geld. Aber was ist mit ihrem Gefühl des Nichtdazugehörens? Vielleicht sollte man diesem Gefühl keine Zahlen, sondern ein anderes Gefühl entgegensetzen. Eine gegenläufige Einschätzung, die sich in diesen Worten zusammenfassen lässt: Geld und das Haben oder Nicht-Haben dessen ist in der Zeit des Studiums so unwichtig, wie es vielleicht nie mehr sein wird. Julia erzählt von teuren Clubs und Markenkleidung, die sie sich nicht leisten kann – aber wenn es irgendwo keinen sozialen Druck in diese Richtung gibt, dann doch unter Studenten! Studenten trinken billigen Wein und nutzen jeden Trick und jede Mogelei, um umsonst irgendwo reinzukommen. Das Leben von Studenten ist, Zahnmediziner einmal außen vorgelassen, ausgesprochen kulturell bestimmt und kaum materiell. Irgendwohin nicht mitzugehen, weil diesen Monat das Geld ziemlich knapp ist, gehört fast zum guten Umgangston. Der studentische Lebensstil, sei er Klischee oder nicht, entspringt in vielen Dingen auch dem Geldmangel: schlechtes Essen, Jacken aus dem Second-Hand-Shop, Möbel vom Sperrmüll. Von kinderreichen Familien mit geringem Einkommen hört man oft die Klage, dass sie sich seit Jahren keinen Urlaub mehr leisten konnten. Viele Studenten hingegen reisen gerne und oft, weil sie die Möglichkeit haben, das auch ohne großes Geld zu tun, dafür mit Rucksack und Übernachtung bei Freunden aus aller Welt. Ähnliche finanzielle Beschränkungen, unter denen Langzeitarbeitslose leiden, stellen für die meisten jungen Menschen an Universitäten kein psychologisches Problem dar, zumindest kein dauerhaftes. Es gibt diese Momente, in denen Zukunftsängste einen einholen, und in diesen Momenten unterscheiden sich die Kinder reicher Eltern von den Kindern armer Eltern radikal. Aber die meiste Zeit wird dieser Unterschied überdeckt von einer Sorglosigkeit gegenüber der Zukunft. Eine Sorglosigkeit, die nicht ganz zu unrecht über den WG-Partys und Fachschaftsfeten schwebt: Wenig Geld ist nicht gleichbedeutend mit wenig Vergnügen Die studentische Armut ist eine zeitlich begrenzte. Oder soll es zumindest sein. Sie gehört dazu. Darin liegt der Unterschied zwischen einem Studenten mit wenigen hundert Euro im Monat und einem fünfzigjährigen Arbeitslosengeldempfänger. Deswegen werden auch andere Maßstäbe angesetzt, wenn über die Armut von Studenten gesprochen wird. Deswegen ist Geld unter Studenten auch immer ein Thema, aber nie das entscheidende. Weil sie jung sind und eine Perspektive haben, verfallen sie nicht jenem schrecklichen Übel, das manche als das eigentliche Problem der Armen in Deutschland diagnostizieren: dem subjektiven Verlust der eigenen Würde. Gewiss: Vieles liegt auch unter Studenten im Argen, keine Zustände sollte man romantisieren. Trotzdem bilden sie einen von finanziellen Statusgedanken befreiten Raum, wie man ihn ansonsten vielleicht nur unter Vorschulkindern und in Künstlerkolonien findet. Das ist ein schöner Umstand und er gibt den Studenten genügend Gründe zum Feiern, auch mit billigem Wein und ohne Eintritt. Man darf diese Feststellung bloß nicht mit der falschen Aussage verwechseln, Studenten hätten immer genug Geld. Oder gar zu viel. Es ist nicht das übliche Gewäsch, mit dem die FDP-Hochschulgruppe den linken Studierendenvertretern entgegentritt. Es ist vielleicht sogar das Gegenteil: Denn man erinnert daran, dass zumindest in einem bestimmten Lebensabschnitt junger Menschen die Möglichkeit einer Gegenkultur besteht, in der wenig Geld nicht automatisch wenig Vergnügen am Leben bedeutet. Julias Zwischenruf lässt einen anderen Eindruck entstehen. In ihrem Fall ist er sicherlich berechtigt. Aber damit scheint sie eher die Ausnahme zu sein als die Regel.

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