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Strg C: Warum Kopieren besser ist als sein Ruf
In der vergangenen Woche ist er zwanzig Jahre alt geworden: Lionel Andrés Messi, genannt der Floh („La Pulga“), gilt als eines der größten Talente des internationalen Fußballs. Schon oft wurde der Spieler vom FC Barcelona mit Diego Maradona verglichen. Doch seit zwei legendären Toren in der spanischen Liga in dieser Saison gilt Messi als legitimer Nachfolger des Jahrhundert-Fußballers Maradonna: Am 18. April erzielte Messi im Spiel gegen den Madrider Vorort-Club Getafe ein Tor, das exakt jenem Treffer glich, für den Maradonna die Auszeichung „WM-Tor des Jahrhunderts“ erhielt. Spanische Zeitungen gaben Messi anschließend den Spitznamen Messidona. (Hier geht es zum jetztticker mit allen YouTube-Verweisen).
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Spätestens als der junge Maradona-Nachfolger zwei Monate später im Stadtduell gegen Espanyol Barcelona auch das legendäre „Hand-Gottes“-Tores des großen Maradona nachspielte, lieferte Messidona den Beweis: Eine Kopie kann etwas sehr Wunderbares sein. Wer auf YouTube die Sequenzen aus dem Jahr 1986 und jene aus der abgelaufenen Saison anschaut, spürt (auch ohne Fußball-Fan zu sein) die Magie, die von der Kopie ausgeht – sie besteht etwa zu gleichen Teile aus einer historischen Verneigung vor Maradona und einer Bewunderung für die geniale Kopier-Leistung Messis. Das Beispiel des Fußballers Messi eignet sich deshalb für eine Homage an die Kopie, weil ihm niemand sein fußballerisches Können absprechen wird, nur weil er Maradona nachgeahmt hat. Im Gegenteil: Messis Ruhm hat sich gemehrt durch die Kopien, sein Ansehen ist gestiegen und er hat – so absurd es klingt – durch die Kopierkunst seine eigene Originalität bewiesen. Der 20-Jährige – darin ist man sich einig – ist ein Künstler. Niemand würde behaupten: Lionel Messi ist ein Raubkopierer, weil er Diego Maradona bestohlen habe. Dass im Fall Messidonnas der Kopist nicht als Plagiator beschimpft, sondern als Genie gelobt wird, sollte nicht verwundern, sondern Maßstab sein, für die Art wie wir Kultur (und dazu zähle ich auch Fußball) wahrnehmen. Girl Talk mit Messidona Lionel Messi schweigt zu den Tor-Kopien. Diego Maradona hatte sein Handspiel metaphysisch zu rechtfertigen versucht („Hand Gottes“), Lionel Messi hat seine überirdische Kopierleistung bisher nicht beurteilt oder gar als seine eigene Idee auszugeben versucht. Das wäre auch nicht möglich, die Kopie ist so offensichtlich, dass die TV-Kommentatoren keine zwei Sekunden brauchten, um voller Begeisterung Maradonnas Namen zu rufen. Jeder weiß, dass Messi sich auf Maradonna bezieht. Es ist aber unbestritten: Messidonna ist schöpferisch tätig geworden, er hat – aufbaund auf Maradonas Leistung – ein Produkt, eine eigene Idee, eben zwei eigenen Tore erschaffen. Geht man von der Wortbedeutung aus, sind Messis Tore wiederum ein eigenes Origin, der eigenständige Ursprung für eine neue Leistung – in der Kopie hat Messi ein Original erschaffen. Das alles ist geschehen, ohne dass Lionel Messi seinem Vorbild Schaden zugefügt hat. Das Original wurde durch die Imitation geehrt. Geschadet hat Messi also einzig dem Torhüter des FC Getafe und jenem von Espanyol Barcelona – aber die hätten sich auch über stinknormale Treffer geärgert. Stellen wir uns jetzt für einen Moment vor, Linoel Messi sei Musiker und nicht Fußballer. Seine Tore seien Songs und sein Vorbild nicht Diego Maradona, sondern Elton John, Notorious B.I.G. oder Destiny's Child. Diese Vorstellung ist nicht sonderlich unrealistisch, auf Gregg Gillis trifft sie nämlich zu. Er ist fünf Jahre älter als Messidona und macht mit so genannter Mashup-Musik, was jener mit dem Fußball macht. Für sein Album „Night Ripper“ hat Gregg, der unter dem Namen Girl Talk bekannt ist, Kopien von 167 Künstlern angefertigt und aus den Samples neue Songs geschaffen – eine sehr hörenswerte Reise durch die vergangenen zwanzig Jahre Popmusik. Der Rechtsanwalt Lawrence Lessig hat Gregg unlängst als Beispiel gewählt, als er erklären wollte, warum wir unser Bild von Kopien ändern müssen. Ein einengendes Urheberrecht sorge dafür, dass wir Kopien per se für schlecht halten. Das führe dazu, dass unter dem Vorwand, Urheber schützen zu wollen, vor allem eins erreicht wird: Die Kunst wird eingeschränkt. „Das bestehende System“, erklärt Lessig, „macht es unmöglich, kreativ zu sein.“ Der Mönch auf dem Fußball-Platz Schuld daran ist ein übersteigerter Genie-Gedanke, dem wir anhängen. Eine Leistung gilt uns dann als künstlerisch oder wertvoll, wenn sie unter dem Mantel der Originalität und Einzigartigkeit daher kommt. Dabei blenden wir aus, dass beispielsweise Brecht seine genialen Texte auch nicht allein und außerhalb jeglicher Vorbildung und Inspiration verfasst hat. Kreatives Schaffen bezog seine Grundlagen schon immer aus einem kulturellen Vorbild, aus Gedanken, die sich andere davor schon gemacht hatten, aus Forschungsergebnissen, auf denen man aufbauen konnte. Die Digitalisierung hat das Verständnis von Kopien zudem erweitert: Da es möglich ist, digitale Kopien ohne jeglichen Qualitätsverlust zu erstellen, wird „Strg C, Strg V“ zu einer eigenen Kulturtechnik. Kopieren wird einerseits notwendig und andererseits virtuos eingesetzt, auch zu einer eigenen Kunstform. Dabei ist das Lob der Kopie übrigens an sich überhaupt nicht an die digitale Welt gebunden: In einigen asiatischen Kulturen wird der Gedanke genialistischer Originalität beispielsweise weit weniger geschätzt als bei uns. Hier lobt man vor allem jene Schüler, die ihrem Meister besonders nahe kommen, seine Bewegungen und Einstellungen imitieren, ja kopieren können. Ganz ähnliches lässt sich auch in der abendländischen Kultur feststellen: So galten vor der Erfindung des Buchdrucks jene Mönche als besonders künstlerisch, die gut kopieren, also sehr nah am Original abschreiben und zeichnen konnten. Eine Fähigkeit, die Linoel Messi in der abgelaufenen Saison in der spanischen Liga, Weltruhm einbrachte. Wobei übrigens nicht unerwähnt bleiben sollte: Der Mann hat auch zwölf Tore geschossen, bei denen man nicht auf Anhieb erkennen konnte, wer ihn dazu inspiriert hat.