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Nachruf auf das bayerische Abitur

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Es ist die Nachricht hinter der Nachricht. Und für die, die sie trauernd aufnehmen, muss die Einmütigkeit, mit der sie verkündet wurde, wie Hohn klingen: In dieser Woche ist das bayerische Abitur zu Grabe getragen worden. Nicht, dass man im Freistaat nicht mehr die Hochschulreife erlangen könnte, das schon. Aber eben auch nur noch das. Alles andere, worauf sich das massive Selbstbewusstsein bayerischer Penäler bisher gründete, ist seit den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz ein für alle mal vorbei.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie konnte es dazu kommen, dass sich kurz nach Edmund Stoiber eine weitere Institution im Freistaat, nämlich das bayerische Abitur, verabschieden muss? Ausgerechnet eine Unions-Politikerin ist Schuld. Als sich am Mittwoch die Kultusminister der 16 deutschen Bundesländer in Bonn trafen, einigten sie sich einmütig und wohlgelaunt darauf, bundesweite Bildungsstandards für die Erlangung der allgemeinen Hochschulreife einzuführen. Weniger kompliziert: ein gleichwertiges Abitur von Kiel bis Konstanz zu schaffen. So hat es die hessische Kultusministerin Karin Wolff formuliert. Die CDU-Politikerin setzte sich mit ihrem Plan durch, das Abitur in allen Bundesländern anzugleichen. Weniger kompliziert: die vermeintliche Alleinstellung des bayerischen Abitur als schwerste Hürde auf dem Weg zur Hochschulreife abzuschaffen. Dieser Schlag trifft die Schüler südlich des Mains hart. Diejenigen also, die am Fuß der Alpen ihr Abitur gemacht haben, gebärdeten sich bisher, als sei die Erlangung der Hochschulreife im Freistaat mindestens so anstrengend wie eine Alpenüberquerung – barfuss und ohne Proviant in 24 Stunden. Während das Abitur überall sonst (von Bayern wert- und ahnungsfrei als „im Norden“ bezeichnet) lediglich mit dem Weg zum Briefkasten um die Ecke zu vergleichen sei – wohlgemerkt getragen auf den Wollpulli-Schultern eines vollbärtigen Vertrauenslehrers, der während des Weges noch Getränke reicht und Tipps für Abkürzungen gibt. In Studentenkneipen und WG-Küchen überall im Land verbreiteten die gestählten bayerischen Schlauköpfe ihren Mythos: den der geistigen Vorherrschaft in Deutschland. Sie glichen dabei Rekruten, die ihre Grundausbildung gerade hinter sich gebracht haben und abfällig auf die noch dummen Neuankömmlinge schauen. Dabei verwendeten die Mitglieder der bayerischen Lernarmee in einer Art Geheimsprache Begriffe wie „Facharbeit“ und „Exen“, mit denen besonders schwere Foltermethoden bezeichnet werden. Damit wollten sie den Novizen, (also jenen Deppen ohne „echtes“ Abitur) Angst machen und ihrem eigenen Leid im nach hinein einen Sinn geben. Aus der Psychologie weiß man: Solche Versuche sind selten von Erfolg gekrönt. Doch das störte die bayerischen Abiturienten nicht. Sie waren so von der Strahlkraft des bayerischen Abiturs überzeugt, dass sie selbst auf Erasmus-Partys in Barcelona oder Dublin auf Englisch (mit charmantem bayerischen Akzent) das Loblied auf die harten, aber gerechten Prüfungs-Qualen im Freistaat sangen. Dass man sich dort noch weniger für diese vermeintliche regionale Spezialität interessierte als in Marburg oder Leipzig, war den Selbst-Bejublern natürlich egal. Damit ist jetzt also Schluß. Starnberger Studentinnen, die im Cabrio zum Seminar fahren, suchen auf einmal nicht mehr nur einen Parkplatz, sondern auch Protzplatz. Schul-Absolventen, die ihrer ohnehin fragwürdigen Existenz bei StudiVZ mit dem Gruppennamen „Kniet nieder - Wir haben in Bayern Abitur gemacht” einen Sinn zu geben versuchten, stehen plötzlich vor dem Identitäts-Nichts. Und Fans des 1.FC Nürnberger sehen auf einmal nicht mehr nur ihren Club, sondern auch sich selber auf dem Weg in die Zweite Liga. An dieser Stelle braucht Deutschland den von einem bayerischen Abiturienten bereits geforderten Ruck: Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog (Abi-Schnitt 1,0) war sich vermutlich nicht bewusst, wie wichtig seine so genannte Ruck-Rede mal für das angeschlagenen Selbstbewusstein der bayerischen Schüler sein würde. Jetzt zahlt sie sich aus. Denn ich bin mir sicher: Die Abiturienten aus dem Freistaat können sich eine Welle der Sympathie und Zuneigung gefasst machen. Lichterketten werden entzündet und Mahnwachen werden abgehalten. Aus dem ganzen Norden (also dem Rest Deutschland) werden sie Unterstützung und Solidarität erfahren, die sie durch die schweren Stunden trägt, die ihnen die Kultusminister-Konferenz beschert hat. Gott mit dir, du Land der Abiturienten! Der Autor dieses Textes hat – natürlich – lediglich ein wertloses Abitur aus einem merkwürdigen Bundesland.

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