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Mode braucht keine Magermodels
Ich war noch nie ein Salatmädchen. Ich habe immer schon lieber den Braten bestellt und die Restportion meiner Begleitung auch noch vom Teller geputzt, Nachtisch inklusive. Ich liebe Essen. Ich war nie wirklich dick, und ich würde behaupten, nicht einmal ,pummelig‘ gewesen zu sein. Auch habe ich keine ausladenen Hüften oder eine mächtige Oberweite. Bloß einen Bauch, den hatte ich schon immer. Mal klein, mal mittel, zeitweise auch mal ein bisschen mehr mittel. ,Süß‘ nannten den meine Freunde, meine Freundinnen und meine Familie. Sie wollten mich so vor einer Essstörung schützen. Vor Schlimmerem hat mich das tatsächlich bewahrt, nicht aber davor, meinen Körper trotzdem zu verachten. Ich fand mich fett, obwohl meine Figur in Ordnung war. Denn meine Freundinnen und ich waren eine Clique heranwachsender Hipster und unsere körperlichen Idealvorstellungen wurden still und heimlich anhand schwedischer VICE-Models und medial omnipräsenter Hungerhaken definiert. Wir hätten das nie offen zugegeben, weil wir genau wussten, wie erbärmlich das war. Diese dürren Mädchen waren schließlich bemitleidenswert. Doch genau das war Teil des Problems: Abgefucktheit war ja irgendwie cool – und besser bekannt unter dem Begriff des „Heroin-Chic“.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Meine Schulzeit ist mittlerweile vorbei, und obwohl ich mich mit meinem Bauch angefreundet habe, ertappe ich mich jeden Sommer wieder bei unzufriedenen Vergleichsblicken von meinem auf die Körper zierlichster Modelmädchen. Natürlich würde ich das nie sagen - aber das Gefühl, zu dick zu sein, ist immer noch in Ansätzen vorhanden.
Doch zur Zeit sieht es aus, als könnte der Magerschick tatsächlich in Gefahr geraten. Nachdem das Schönheitsideal Mitte der Neunziger steilen Kurs auf dürre Kate Moss Maße nahm und sich von dort immer weiter herunterhungerte, wird die Medienlandschaft nun zum ersten Mal wieder mit selbstbewussten und dickeren Frauen bestückt. Auf der diesjährigen New York Fashion Week fand zum ersten Mal eine sogenannte ,Plus-Size‘ Show mit ausschließlich fülligeren Models statt, inszeniert von dem Modelabel ,OneStopPlus‘. Die Models wurden angeführt von Lizzie Miller. Jene ist vor gut einem Jahr durch ein Shooting mit der amerikanischen Glamour berühmt geworden, für das sie sich nackt hat ablichten lassen. Ungeschönt, in ihrer Größe 42 tragenden Normalfigur. Die Arme drall und Speckröllchen am Bauch – als ich die Bilder sah, fand sie zuerst abschreckend. Nach dem „Oh je, wie sieht die denn aus?“-Schreck folgte gleich der nächste: So weit ist es mit meinen Vorstellungen von einem normalen Körper also schon gekommen - ich finde alles, was nicht glatt und seidig aussieht, hässlich. Doch dann freute ich mich urplötzlich. Herrlich, dachte ich, wenn sie solche Speckröllchen hat, dann sind meine ja gar nicht so schlimm. Ihr Bild gab mir ein gutes Gefühl.
Dass diese Strategie funktioniert, scheint die Branche zu merken. Denn mittlerweile, so sagte Miller in einem Interview mit dem Observer, wird sie von Labels gebucht, die sich noch vor einiger Zeit eher die Hand abgehackt hätten, als dicke Frauen vor die Linse zu holen. Und auch auf der Pariser Modewoche war die neue Weiblichkeit dieses Jahr ein großes Thema. Den zweiten Tag der Pariser Fashion Week bezeichnete ein Autor des Guardians als „ersten Tag des ,Post-Size Zero‘ Zeitalters“. Mehrere Designer hatten bereits ungewöhnliche Models über ihre Laufstege geschickt: 40-jährige Exmodels, vollschlanke Frauen und ganz normale Mädchen von der Straße. Der Designer Zac Posen erklärte das seinerseits backstage damit, Mode für Frauen machen zu wollen, ,die das Leben lieben - mit all seinen besten Seiten: Sex, Freundschaft, Essen!“.
Dabei ist der sogenannte ‚Plus Size’ Trend ist eigentlich nichts Neues. Um das Jahr 2006 spitzte sich die Kritik an menschenverachtenden Magerwahnverhältnissen zu, überall tauchten Reportagen über an Magersucht gestorbene Models auf, eine große Schlankheitsdebatte entfachte. Und es geriet ein Mädchen namens Crystal Renn ins Licht der Öffentlichkeit. Ein 20-jähriges Model, das nach einer modelkarrierenbedingten Magersucht andere Saiten aufzog und sich als plötzlich wieder normal essendes Mädchen gegen den vorherrschenden Magerwahn stark machte. Mit Kleidergröße 42 lief sie als ,Plus-Size‘ Model sogar für Jean-Paul Gaultier und wurde nach und nach zu dem Sinnbild eines neuen Selbstbewusstseins unter Models. Geschichten dieser Art mehren sich seitdem, nicht nur im Modelbusiness. Die Musikerin Lily Allen hat sich bekanntlich noch nie für ihre Kurven geschämt, Scarlett Johannssons Reize bestehen in ihrer sinnlichen Ausstrahlung und auch die ehemals barbiehafte Jessica Simpson hat sich mittlerweile eine authentische Gemütlichkeit angegessen. Bilderstrecken zu attraktiven Frauen mit schönen Kurven gibt es mittlerweile in jedem Frauenmagazin zu bewundern.
So lebensbejahend diese Entwicklung im ersten Moment klingt – richtig glaubwürdig ist sie nicht. Der Diätwahn der Mittneunziger und der Nullerjahre dominiert unseren Alltag noch viel zu sehr. Versuche, größere Größen zu etablieren wirken eher wie der Abschnitt für laktosefreie Gerichte auf der Speisekarte: ein Versuch, die Außenseiter gnädigerweise auch mit herein zu nehmen. Ein von Mitgefühl geprägter Akt der Behindertenhilfe. Und dass sich Modedesigner, so wie ihr riesiges Klientel, tatsächlich für eine Invasion der Dicken dauerhaft begeistern können, ist abwegig. Um den Trend fruchtbar zu machen, fehlt es noch an einem griffigen Wort für das, was eigentlich gemeint ist. Denn nur weil jemand nicht mager ist, macht ist sie oder er deshalb ja noch nicht übergewichtig.
Man möchte dem derzeitigen Trend also noch nicht recht trauen. Dass er durch zahlreiche Magerwahn-Debatten der Medien erzwungen worden ist, liegt auf der Hand. Große Magazine und Designer fühlten sich durch menschenverachtende Vorwürfe bedroht und fürchteten um ihren Ruf und ihre Umsätze. Das Zurückrudern kann also auch als kurzweilige Notwehr PR-Maßnahme betrachtet werden, die bloß der Abpufferung der medialen Angriffe dient und mit wahrhaftiger Überzeugung nichts zu tun hat. Dass nach einem prätentiösen Gelobnis auf Besserung alles weiter geht, wie zuvor, bestätigt auch die Annahme, dass die ‚Size Zero’ vor allem deshalb so groß geworden ist, weil die Designer durch kleinere Vorführmodelle auch eine Menge Materialkosten sparen. Es wäre ein immens großer Betrag an Mehrkosten für sie, ihre Kleider den Models plötzlich auf den Leib zu schneidern. Günstiger ist es, die Models einfach in die Kleider hinein hungern zu lassen.
Aber egal ob Zac Posen’s Gerede von Frauen, die das Leben lieben, nun aufgesetzt ist, oder nicht: die Richtung stimmt schon einmal. Das wahrscheinlich prominenteste Beispiel dafür ist der Erfolg der charmanten No-Models Kampagne in der Brigitte, die Anfang des Jahres mit der Nachricht, keine Models mehr abzulichten, für Aufruhr gesorgt hat. Auch Zeitschriften wie die Elle, die Vogue und das V-Magazin haben ,Plus-Size‘ Editorials geschossen, um ein Zeichen gegen Magerwahn und für Natürlichkeit zu setzen. Doch in dem Gerede über diese neue Bewegung findet sich eben immer wieder Kritik an der Glaubwürdigkeit solcher Kampagnen. Zusätzlich wird die Frage gestellt, wieso wir in unserer heutigen Gesellschaft immer noch meinen, weibliche Rollenmodelle anhand von oberflächlichen Schönheitsidealen definieren zu müssen.
Und auch das ist eine berechtigte Frage. Doch es ist auch utopisch, ernsthaft zu glauben, Aussehen könnte in unserem Leben eines Tages keine Rolle mehr spielen. So lange wir Augen haben, urteilen wir auch über das, was wir sehen – ob es uns gefällt oder nicht. Aber wenn wir das schon tun, dann sollten wir das doch so tun, dass wir uns jedenfalls nicht ständig dafür hassen müssen, dass unsere Rippen nicht unter der Brust herausragen. Und obwohl es wirklich nervt, ist es deshalb auch irgendwie in Ordnung, dass der Übergrößentrend sich immer noch über seine Extremität definiert. Die Rede ist entweder von ,Size-Zero‘, was die Assoziation von Knochenmädchen weckt - oder aber gleich ,Plus-Size‘, ein Begriff der nach Double XXL Burgern und den Trotz übergewichtiger amerikanischer Talkshowgäste klingt.
Aber wenn diese Portion Übergewicht derzeit eben nötig ist, um das Untergewicht des letzten Jahrzehnts auszugleichen, und eines Tages in der goldenen Mitte angelangt ist – dann finde ich das einen sehr guten Deal.
Denn ich kann sie nicht mehr sehen, die blassen Salatmädchen am Nebentisch im Restaurant und die Terry Richardson-Musen in New York Citys Künstlerateliers. Der leere Blick von abgehalfterten Acne-Models, den ich vor Jahren noch spannend fand, verdirbt mir heute die Laune an den schönen Entwürfen des schwedischen Labels. Und die Versuche einschlägiger Modebloggerinnen, auf ihren Fotos eben so dürr und weggetreten wie ihre Lieblingsmodels auszusehen, rauben mir zeitweise völlig die Lust an dem Modegeschehen.
Umso glücklicher hingegen macht es mich, wenn ich inmitten dieser pseudocoolen Tristesse neuerdings plötzlich pralle Mädchen in bunten Röcken sehe, die, man glaubt es kaum, strahlend über den Laufsteg schwingen. Zum Glück habe ich mich von meinen hin und wieder auftretenden Körperkomplexen nie die Lust am Essen nehmen lassen. Aber mit dem Wissen, dass die eigenen Körperkomplexe unberechtigt sind und ein kleiner Bauch noch nie jemandem geschadet hat, macht es tatsächlich viel mehr Spaß. Und nicht nur das Essen, sondern alles.
Ich sehe Frauen wie die heißbegehrte Mad Men Darstellerin Christina Hendricks, denke an die Kurven von Marilyn Monroe und führe mir vor Augen, dass auch die Jungs, mit denen ich bisher über die weibliche Figur gesprochen habe, allesamt fanden, dass weniger in Figurangelegenheiten nie mehr ist. Dass fünf Kilo zu viel besser sind als fünf Kilo zu wenig.
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Text: mercedes-lauenstein - Foto: monarchin / photocase.com