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Meine Theorie: Wir leben in einer Nachhilfegesellschaft. Das ist nicht gut

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Es gibt Eltern, die den Lehrern ihrer Kinder schon im zweiten Schuljahr ihre nackte Angst beichten: Ob der Nachwuchs denn wohl den Übertritt aufs Gymnasium schafft? Zur Sicherheit werden die Kleinen schon in der Grundschule in den Nachhilfeunterricht verräumt. In einigen Nachhilfeinstituten machen Grundschüler ein Viertel der Klientel aus. Wir sind zu einer Nachhilfe-Gesellschaft geworden. Verschiedenen Studien zufolge investieren Eltern jedes Jahr zwischen einer und zwei Milliarden Euro in die Nachhilfe ihrer Kinder. In der Shell-Jugendstudie von 2006 steht, dass sich der Anteil der Jugendlichen, die noch zur Schule gehen und Nachhilfe bekommen größer geworden ist. Jeder vierte Schüler in den alten Bundesländern bekommt demnach Nachhilfeunterricht. Dass es sich schon beinahe um ein Massenphänomen handelt, zeigte nicht zuletzt die Gutschein-Aktion des Kaffee-Händlers Tchibo: Dort waren Gutscheine für Nachhilfestunden zu erstehen. Die Nachhilfestunde ist also schon so selbstverständlich wie Röstkaffee zum Frühstück, 49,90 Euro für einen Monat, einzulösen bei einer der Studienkreis-Filialen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

(Foto: ap) Die Nachfrage war dem Vernehmen nach gigantisch und ein Tchibo-Sprecher sprach in einem Interview gar vom „Zeitgeist, den wir getroffen haben“. Vor allem sind die Eltern die Ehrgeizlinge. „Wenn auf dem Zeugnis eine Vier steht, schrillen sämtliche Alarmglocken. Bei manchen Eltern auch schon bei einer Drei“, sagt Anja Ziegon vom Bundeselternbeirat. Kein Viert- bis Neuntklässer käme ja ohne elterlichen Hinweis auf die Idee, sich in Mathe endlich von der drei minus auf die zwei verbessern zu müssen. Wenn er denn nicht eine Hürde, eine Bedingung erfüllen müsste. Unser Schulsystem funktioniert ja immer noch wie eine Eier-Sortiermaschine. An bestimmten Punkten gibt es eine nur unter zähem Einsatz umzukehrende Entscheidung für einen Bildungsweg. Es geht um das Überqueren einer Hürde. Aber was ist das für eine Bildung, die allein der Bewältigung von Hürden dient? Neben dem veralteten Schulsystem steht eine Gesellschaft, die effizienter geworden ist, in der Arbeiter Humankapital heißen, in der von Arbeitsäquivalenten gesprochen wird. Vermeintlich wohlmeinende Eltern münzen diese Effizienz-Idee auch auf das Leben ihrer Kinder. Insofern kommt ihnen das Drin-oder-Draus-System der Schulen recht gelegen: Drin oder Draus, so wird eben Erfolg gemessen. Aber Moment: Es gibt auch die ehrliche Nachhilfe, in der sich ein Schüler schlicht einen vernünftigen Abschluss sichert. Wo Nachhilfe die Reaktion auf einen kleinen Bildungsnotstand ist, der sich an der Schule durch Lehrermangel und ausgefallene Stunden en Masse zeigt. In diesem Falle sind die Nachhilfeinstitute oder dann eben die Eltern die letzten Bildungsinstanzen. Problem dabei: Man muss schon Glück haben, dass einem die Eltern in diesem Fall a) die Nachhilfe finanzieren können oder b) tatsächlich selbst in der Lage sind, einem bei den binomischen Formeln auf die Sprünge zu helfen. Nicht von ungefähr steckt in den neuen Bundesländern nur jeder neunte Schüler in der Nachhilfe – die Eltern können sie sich oft nicht leisten. Was bleibt? Die Erkenntnis, dass Nachhilfeunterricht das bleiben muss, was er einst sein sollte: Eine vorübergehende Angelegenheit, eine Zeit, in der man ein bisschen Stütze bekommt, sein Potential zur Entfaltung zu bringen. Schlimm wird´s, wenn der Nachhilfeunterricht zur Institution wird, neben der Schule. Jörg Russer arbeitet bei der Schülerhilfe in Erding bei München und sagt nüchtern: „Man merkt relativ schnell, welches Potential ein Schüler hat.“ Vermutlich wäre es dann an den Eltern, ihre Kinder mit dem Potential zu akzeptieren, das sie haben.

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