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“Manchmal schlafen sie in Löffelchenstellung ein”

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Letztens in der Kneipe, das war wieder so ein Moment: Freundin A bekommt einen Weisheitszahn, glaubt sie. Sie jammert ein bisschen und macht ein paar merkwürdige Verrenkungen mit der Zunge - und dann steckt Freundin B ihr einfach so einen Finger in den Mund, um nachzufühlen, wie weit der Zahn denn schon heraussteht.  

Das ist so eine Sache mit den beiden. Die kennen sich lange, sehr lange, aber das ist es nicht. Es ist vielmehr so, dass sie nie über die zwillingsschwesterartige Beziehung hinausgekommen sind, die sie seit ihrer Pubertät führen. Vielleicht braucht es ein Beispiel, um das verständlich zu machen: Wenn die eine ihr Kaugummi nicht weiterkauen mag, dann übernimmt es die andere. Ja, wirklich. Wie teeniemäßig! Wie furchtbar!, denke ich dann. Da kann man ja gleich Fußkettchen mit den Initialen des anderen tragen. Und außerdem ist das immer so schrecklich unangenehm für alle Außenstehenden. Die nippen dann befangen an ihren Bierflaschen, während Freundin B die Finger im Mund von Freundin A hat.  

Furchtbar kindisch finde ich das. Meistens. Aber manchmal, da will ich plötzlich auch ganz dringend so eine Freundschaft. Jemanden, bei dem ich jederzeit vorbeischauen kann, ohne mich vorher anzukündigen - und der mich dann reinlässt, ohne weiter nachzufragen.  Dabei ist das eigentlich gar nicht mein Ding. Ich bin nach einem gemeinsamen Abend am Küchentisch froh, wenn meine Freunde irgendwann nach Hause in ihre eigenen Betten gehen. Freundin A übernachtet dann oft noch bei Freundin B. Ich glaube, manchmal schlafen sie in Löffelchenstellung ein.  

Wie gesagt: Alles gar nicht meins, im Grunde. Und trotzdem reizt mich diese Distanzlosigkeit. Denn das ist alles auf eine gute, ehrliche Art distanzlos. Die beiden kämen nie auf die Idee, zusammen brunchen zu gehen und ich wüsste nicht, dass eine von ihnen jemals das Wort Mädelsabend in den Mund genommen hätte. Aber sie sind füreinander da, um sich gegenseitig Pickel auf dem Rücken auszudrücken.  

Es gibt da diese Szene in der Serie “Girls”: Da steigt die eine zur anderen in die Badewanne und muss aus irgendeinem Grund plötzlich weinen. Danach putzt sie sich die Nase mit den Fingern. Und macht die dann im Badewasser sauber. Genau das, was ich meine: Da sind sich zwei so nah, dass nicht einmal die Rotze des anderen daran etwas ändern könnte. So nah, dass es nichts Außergewöhnliches ist, sich eine Badewanne zu teilen. Es gibt bestimmt viele Freundinnen, die schon mal zusammen gebadet haben; aber für die meisten ist das etwas Besonderes, der ultimative Beweis ihrer Freundschaft also. Einen besonderen Reiz hat das nur, wenn das nichts Bemerkenswertes mehr für beide ist.  

So eine distanzlose Freundschaft ist vor allem eines: herrlich unerwachsen. Eine Verbindung, die so gar nicht zum restlichen Leben passt und die Erinnerungen an früher konserviert, als noch niemand mit seinen Mädels für ein Saunawochenende nach Holland fuhr. Irgendwie wird man schneller erwachsen, als man es vorhatte - und Freundschaften altern mit, normalerweise. Bewundernswert, wer es über die Jahre geschafft hat, etwas von damals festzuhalten. Wer so eine symbiotische Freundschaft führt, ist also entweder vierzehn Jahre alt oder hat sich sehr erfolgreich gegen die Veränderungen der Zeit gewehrt. Nicht kindisch ist das, sondern wirklich klug. Es gibt keinen besseren Ausgleich zum Erwachsenwerden.  

Das ist natürlich trotzdem oft genug irgendwie merkwürdig. Und man muss das mögen, klar. Ich könnte das nicht in der Form, wie Freundin A und B das gewohnt sind. Aber ein Scheibchen davon würde ich mir tatsächlich gerne abschneiden. Ich brauche das alles nicht so häufig, und es muss ja nicht in der Kneipe sein. Aber vielleicht sollte ich einfach öfter nachfühlen, wie es den Weisheitszähnen meiner Freunde so geht.

Text: linn-reuss - photocase.de/ september morning

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