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Kommentare über Kommentare: Eine Frage der Diskussions-Kultur
Wir müssen uns das Internet als schönen Ort vorstellen. Genau wie Albert Camus in seinem "Mythos von Sisyphos" den Held der griechischen Mythologie als glücklichen Menschen vorstellt. Sisyphos ist die Bürde auferlegt, immer wieder einen Stein einen Berg hinaufzurollen. Immer wenn er den Gipfel fast erreicht hat, entgleitet ihm der Stein und rollt zurück ins Tal. Er muss von vorne beginnen. Es gibt nicht wenige Menschen, die die Debatte um die Qualität von Leser-Kommentaren für eine Sisyphos-Arbeit halten, für ein immer aufs Neue beginnende Heraufrollen eines Steins, der am Ende doch zurück ins Tal rollt. Ich kann verstehen, wie man zu dieser Einschätzung kommt. Ich halte sie aber für falsch. Auch wenn es nach Stuhlkreis und "Wir müssen mal reden" klingt: Diskussionen über den richtigen Umgang miteinander im Netz sind notwendig - und keineswegs sinnlos. Auf jetzt.de pflegen wir diesen Diskurs - aktuell zum Beispiel mit einem Chat zu der Frage: Wie können die Selbstreinigungskräfte des jetzt-Kosmos so gestärkt werden, dass die gute Debattenkultur auf jetzt.de erhalten bleibt. Zusätzlich haben wir einigen ausgewählten jetzt-Usern einen Fragebogen geschickt - mit der Bitte, diesen auszufüllen. Die Antworten, die anonymisiert auf den nächsten Seiten zu lesen sind, dienen meines Erachtens als Erinnerung daran: Kommentare im Netz richten sich immer an echten Menschen, auch wenn diese nur als Nutzernamen sichtbar sind. Wenn man diesen Gedanken der echten Kommunikation nicht vergisst und nur kommentiert, was man auch im persönlichen Gespräch sagen würde, bleibt das Internet - und vor allem der jetzt-Kosmos - tatsächlich ein sehr schöner Ort. Für alle darüberhinaus gehenden Fragen gibt die jetzt.de-Netiquette Antwort. Auf den nächsten Seiten: Antworten von jetzt-Usern zu ihrem Umgang mit Kommentaren im Netz.
Mit welchen Gefühlen liest du die Kommentare unter deinen Texten? Neugier und meist Vorfreude. Mit Interesse, Vorfreude, je nach Thema mit ein bisschen Nervosität, und bisweilen mit einem Anflug von Angst, dass das Thema zu kontrovers sein könnte und ein Kampf oder eine Schlammschlacht ausgebrochen sein könnte, während man nicht da war. Mit gemischten, so, wie es sein soll. Ich mache mir natürlich vor Abfassung eines Textes bewusst, welche Bandbreite an Kommentaren mich erreichen könnte. Bei meinen Texten gibt es eigentlich nie blöde Kommentare, daher freue ich mich fast immer, wenn ich neue Kommentare zu meinen Texten bekomme. Prinzipiell freue ich mich, wenn ich Kommentare bekomme, denn das heißt ja immer auch, dass man gelesen wird. Sonst bin ich da recht emotionslos, klar freut man sich über positive Kommentare, aber auch die negativen nehme ich recht gelassen hin. Kommentare, die fröhlich machen. Gibt es die? Ja klar. Auf der nächsten Seite.
Über welche Kommentare freust du dich am meisten? Über jene Kommentare, die zeigen, dass sie inhaltlich Bezug nehmen. Irgendetwas über die Person gibt ja jeder Kommentar Preis. Das ist auch etwas. Beginnen mit "Hab’ den Text nicht gelesen" oder sind ewig lang (laber laber was laber ich schön). Am allermeisten über solche, die vom Thema oder Text ablenken. Schlachtplatte anyone? Wenn die Kommentare selber eine Geschichte erzählen und nicht nur Lob oder "* geb" beinhalten. Als erstes Mal über positive, klar. Also, mich freut natürlich ein "schön geschrieben" sehr. Aber ich freue mich auch, wenn es zu Diskussionen kommt unter meinen Texten, wenn ich ein Thema erwischt habe, das die Leute beschäftigt. Eine gute Diskussion freut mich defintiv mehr als Punkte! Kommt auf den Text an. Lustige. Oder gehaltvolle, anregende. Nicht so: * Über sachliche Kommentare, die sich auf den Inhalt und die Qualität des Textes beziehen. Dann gerne auch negative, sofern das "Scheiß Text!" auch sachlich begründet ist. Es gibt auch ärgerliche Kommentare. Mehr dazu auf der nächsten Seite.
Über welche Kommentare ärgerst du dich am meisten? Das sinnbefreite Gebashe, was zur jetzigen Diskussion geführt hat, fand ich ziemlich ärgerlich. Dazu Kommentare, die noch nicht ganz den Tatbestand des "Trollens" erfüllen, aber trotzdem nur den Zweck der Provokation haben. "Ärgern macht häßlich", sagt mein Pa immer. Das lohnt gar nicht. Pseudogeile Pornokommentare. Da kommt mir die Galle hoch. Solche Kommentare reißen die Qualität eines Textes hundert Mal stärker runter, als Zänkereien und Grobheiten zum Textinhalt. Und der rote Knopf schlechthin für mich: die „Ralifraktion“, die sogar zum Wetter ihre Raubstaatsgebetsmühle anschalten. Diese Versuche der Gehirnwäsche lassen mir die Halsschlagader schwellen. Aber andere können da elegant drüber hinweglesen - also eher ein persönliches Reizthema. Unsachliche Kommentare, persönliche Angriffe ("Die Eltern des Autors haben wohl früher keine Zeit für ihn gehabt" und Ähnliches); weniger Ärger als eher innerliches Seufzen kommt hoch bei "*", "toll" und ähnlichen Kommentaren, die nichts begründen. Undifferenziertes Rumgenöle nervt mich manchmal. Also wenn man weiß, dass eine Person einen eh nicht leiden kann oder einer von den notorischen Nörglern ist und die Person schreibt einem dann "langweilig" oder so unter den Text. Das ärgert mich zwar nicht - soviel Emotionen hab ich da nicht - aber es ist halt albern. Letztendlich führen sich diese Kommentierer aber auch selber vor, deswegen braucht man sich da auch nicht zu streiten oder so. Wer Kommentare liest, wird schlauer. Denn sie regen zum Nachdenken an - auf der nächsten Seite.
Gibt es Kommentare, die dich zum Nachdenken angeregt haben? Ja klar, immer wenn die Kommentare eine eigene Position oder Erfahrung des Kommentierenden spiegeln. Oh ja. Seltsamerweise waren das genau die Kommentare, die mich wütend gemacht haben. Das Nachdenken bezog sich daher dann weniger auf den Inhalt des Textes, als vielmehr auf Bereiche, die hier eigentlich gar nix verloren haben. Klar, wenn es gute Diskussionen gab oder Fragen zum Text. Interessierte Kommentierer sind Gold wert, mehr wert als die notorischen Sternchenverteiler. Gereimte Kommentare. Die beste Erfahrung mit Kommentaren - darum geht es auf der nächsten Seite.
Deine beste Erfahrung mit Kommentaren? Wenn sie freundlich geblieben sind, Kritik begründet war, andere Meinungen akzeptiert worden sind. Wie man eben auch selbst am wildesten Stammtisch nicht gleich auf sich einprügelt. Das Tickerkollektiv. Da findet schon einiges an Selbstkontrolle dadurch statt, dass man "sich kennt" und man Persönlichkeiten hinter den Kommentaren wahrnimmt und so mancher Kommentar anders lesen kann, als wenn der Kommentar eine einmalige Aktion wäre. Da kann man auch mal sagen, dagny, halt die Fresse, das gehört nicht zum Thema und nervt gerade. Aufrichtige konstruktive Kritik von Menschen, die wissen, wovon sie reden, hilft einem dabei, sich hier auch weiterzuentwickeln und mal "was Anderes" auszuprobieren. Auf der nächsten Seite: Deine schlechteste Erfahrung mit Kommentaren.
Deine schlechteste Erfahrung mit Kommentaren? Als gar nicht kommentiert wurde. Ich Egomane. Angeblich sind wir hier ja was Besseres, denken manche. Aber sobald sich jemand denkt, ey, das drück ich dem/der jetzt rein, das würd ich ihm/ihr zwar wenn ich ihm/ihr gegenüber steh nicht sagen, aber hier ist das ja egal, dann läuft immer was schief. Der Scientology-Thread war meiner Ansicht nach einer der jetzt.de-Tiefpunkte. Derart bösartige persönliche Beleidigungen, dass mir der "Identität löschen"-Button immer sympathischer erschien. Nicht, um wegzulaufen, sondern aufgrund der Tatsache, dass man sich hier nicht richtig verteidigen kann, da so was nur im Rahmen einer sachlichen Diskussion geht, die hier eher selten zustande kommt, wenn einer persönlich beleidigend geworden ist. Hab ich eigentlich nicht. Ich hab einmal was löschen lassen, das war unter einem Text, in dem es um einen Toten ging und da hatte jemand sehr unpassend und pietätlos kommentiert. Das fand ich einfach geschmacklos und Sebastian sah das zum Glück auch so. Wer hier einen Text online stellt, der muss damit rechnen, dass der auch mal jemandem nicht gefällt. Ja, er muss sogar damit rechnen, dass es Leute gibt, die letztendlich alle Texte doof finden, die ganze Art. Und dann muss man auch damit leben können, dass das mal jemand schreibt. komischerweise ist es zu 99% so, dass ausgerechnet die Leute, die im Punkteregen bald ertrinken, die eine feste Fangemeinde haben, meist die sind, die sofort tödlich beleidigt sind, wenn nur einer mal unter einen Text von ihnen schreibt, dass er den zum Beispiel "belanglos" findet. Ich bin ganz klar der Meinung, dass es da weniger Befindlichkeiten geben darf. Natürlich ist das was anderes bei wirklichen Beschimpfungen. Und selbst wenn mir mal jemand unter meinen Text schreibt, dass ich eine blöde Kuh bin - so what? Wer sich hier öffentlich exponiert, muss damit rechnen, dass nicht alle geil finden, was man macht. Aber, wichtig: Dies gilt vor allem jetzt.de-intern. Kolletives Über-das-Klamottenpaar-Herfallen oder das, was im aktuellen Fall geschehen ist, finde ich nicht richtig. Die Leute wissen gar nicht, was sie hier erwartet und auch nicht, was für eine Eigendymnamik der Kosmos entwickeln kann! Wie wirst du selber im Netz aktiv? Antworten zum eigenen Kommentieren - auf der nächsten Seite.
Wann kommentierst du selber? Wenn mich ein Text interessiert und auf irgendeine positive/negative etc. Art und Weise anspricht. Wenn ich merke, dass in der Diskussion darunter Menschen dabei sind, an deren Meinung ich mich reibe. Oft sind Kommentare (ich denke, bei den meisten Menschen) recht impulsiv und spontan und gleichzeitig aus einer gewissen Distanz heraus, was an der Art des Mediums liegt, dessen wir uns bedienen. Wenn mir etwas besonders gefällt oder wenn ich was beizutragen habe. Wenn mich ein Text begeistert, berührt oder mir gar nicht gefällt. Wenn mir ein Text eher egal ist, schreib ich nichts drunter. Wenn mich etwas berührt, egal wie. Also wenn es mir gefällt, wenn ich etwas zum Thema zu sagen habe. Hin und wieder auch, wenn ich einen Text belanglos oder geschmacklos finde. Oder auch, wenn mich eine Omnipräsenz nervt. Wenn jemand hier täglich Belanglosigkeien rein stellt, dann frage ich auch mal nach, was das soll. Da ich aber quasi nur noch Texte aus meinen Abos oder Empfehlungen lese, stolpere ich selten über Sachen, die mich nerven oder mir nicht gefallen. Wie verändert sich das Kommenterieren? Antworten auf der nächsten Seite.
Wie hat sich deine Meinung über Kommentare im Web in den vergangenen Jahren verändert? Am Anfang hatte ich überhaupt keine Meinung oder Einstellung dem gegenüber, da das Web2.0 ja noch relativ jung ist. Ich habe spärlich kommentiert, meist User-Texte die nicht irgendwas mit politischen/religiösen/ethischen oder sonst wie gearteten Einstellungen oder Fragestellungen zu tun hatten. Dann kam auch bei mir mal jemand vorbei und hat einfach so zusammenhangslos unter einen meiner Texte gepöbelt. Ich war ziemlich wütend und habe das sehr persönlich genommen. Aber mit der Zeit habe ich eine gewisse Coolness gewonnen. Solche Kommentare nehme ich zur Kenntnis, weil ich sie zwangsweise lesen muss (könnt ja was Nettes/Interessantes/Produktives sein) und dann vergesse ich sie. Gleichzeitig kommentiere ich viel mehr als früher. Auch ich war bei einigen heiklen jetzt-Diskussionen dabei und wenn auch eher selten (meine Einschätzung), habe ich auch mal unter die Gürtellinie gezielt. In der Hitze des Gefechts. Kann mir ja Face-to-Face auch passieren. Schön ist es trotzdem nicht. Ich denke Autoren, die nicht zur Community dazugehören und sich für diese Art von Artikeln zur Verfügung stellen, sollten von ausufernden Frotzeleien, sowie offenen Beleidigungen verschont bleiben . "Intern" gelten da eventuell noch mal andere Regeln, bzw. schwächere Standards. Das ist eben das Problem, ich glaube diese Standards haben sich noch nicht entwickelt im Web2.0 (ähnlich was die Privatsphäre im Netz betrifft). Da ist es auch Aufgabe der "Leitung" der Community geeignete Mittel zu entwickeln die diese Netiquette präsenter in den Köpfen der Usern macht. Ich glaube, nicht die Kommentare haben sich verändert, sondern es ist einfach die Zahl der Leute gestiegen, die sich öffentlich exponieren, auf die ein oder andere Art. Ich werde mit jedem jetzt-Tag gelassener ;) Fire and Forget wird zu häufig praktiziert: Was juckt mich mein Geplapper von vor 2 Minuten. Manchmal fragt man auch wegen einer Sache nach, aber erhält keine Antwort mehr, das ist doch schade. Und durch die Anonymität lässt sich manches freizügiger diskutieren, was auch besser so ist, nur wird die Freiheit von manchen Störenfrieden schamlos ausgenutzt. Gar nicht. Ich weiß allenfalls jetzt.de mehr zu schätzen, wenn ich mir die Kommentare in anderen Foren anschaue. Jetzt.de ist, selbst wenn es rau wird, eine Krabbelgruppe gegen das, was zum Beispiel bei Neon oder auf den Seiten einiger Nachrichtenportale abgeht. Das WWW bietet viele tolle Möglichkeiten, aber vor allem auch die, sich hinter einer Identität zu verstecken und Sachen vom Stapel zu lassen, die man niemandem ins Gesicht sagen würde. ABER: Natürlich sind all die positiven, konstruktiven Kommentare, die ich gelesen oder bekommen habe, in einem anderen Umfeld gar nicht denkbar. Wer geht im wirklichen Leben schon auf einen fremden Menschen zu und sagt ihm, was er von dem hält, was er gerade macht? Dennoch bräuchte es ein paar konkrete Leitlinien, damit im Nachhinein nicht immer dasselbe kommt: "Ich hab doch gar nichts schlimmes geschrieben, was haben sie denn auf einmal?" Vor einem Jahr hat die Redaktion einen ähnlichen Fragebogen beantwortet.