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Kein Nobelpreis für die Jugend
Eines vorab: Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen hat den Friedensnobelpreis verdient. Ihre Inspektoren sind derzeit auch in Syrien im Einsatz, ihre Arbeit dort ist wichtig und bekommt durch den Preis ein enormes Gewicht verliehen. Das muss man gut heißen. Aber: Es wäre ein starkes Zeichen gewesen, Malala Yousafzai den Preis zu verleihen. Denn es wäre in vierlerlei Hinsicht eine Entscheidung für die Zukunft gewesen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
1. Ein Preis für Malala wäre ein Preis für die Bildung gewesen.
Malalas großes Thema ist der Zugang zu Bildung. Dafür setzt sie sich ein, seit sie elf Jahre alt ist. Ja, richtig: elf Jahre. Nachdem damals die Taliban in ihrer Heimat im pakistanischen Swat-Tal die Macht an sich gerissen hatten, verbannten sie Frauen aus dem Alltag – und damit auch Mädchen aus der Schule. Malala widersetzte sich, lernte weiter und versteckte sich nicht dabei, ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen. Konsequenzen wie die, die sie vor einem Jahr, am 9. Oktober 2012, zu spüren bekam. Taliban hielten ihren Schulbus an und schossen sie gezielt in den Kopf. Sie überlebte nur durch einen glücklichen Zufall. Ein Nobelpreis für sie hätte ihrem Kampf für Bildung und Gleichberechtigung enorm geholfen. Mädchen (und Frauen) haben auch außerhalb von Pakistan nicht überall Zugang zu Bildung daran gehindert werden, sich zu bilden. 250 Millionen Mädchen in aller Welt haben keinen freien Zugang zu einer Schule.
2. Ein Preis für Malala wäre ein Preis für das Internet gewesen.
Die wichtigsten und meist beachteten politischen Ereignisse der vergangenen Jahre haben alle eines gemeinsam. Das Netz spielte eine enorme Rolle. Ob die Revolutionen in der arabischen Welt oder die Wahlen in den USA – immer hieß es: Ohne das Internet wäre das alles anders verlaufen. Nun kann man dem Internet keinen Nobelpreis verleihen. Malala aber ist ein Paradebeispiel eines Digital Natives in einer Region, in der Unterdrückung Alltag ist. Sie wählte das Netz als Protestform. Sie bloggte schon mit 11 Jahren für die BBC.
3. Ein Preis für Malala hätte noch lange wirken können.
Lange Zeit war es üblich, den Nobelpreis an ältere Staatsmänner zu verleihen, die viel geleistet hatten für den Frieden, aber längst ihre politische Karriere beendet hatten. Die Preise seien ihnen vergönnt. Malala hingegen ist 16. Sie hat ihr Leben noch vor sich, und wahrscheinlich eine ziemlich steile politische Karriere. Sie hätte den Preis noch jahrelang mit Inhalt und Bedeutung aufladen können. Er hätte ihr viele Türen geöffnet. Kritiker sagten schon vorher: Er wäre ihr eher eine Last gewesen. Natürlich, die wohl angesehenste Auszeichnung der Welt wiegt schwer, zumal für eine 16-Jährige. Aber wer die Rede gehört oder gelesen hat, die Malala an ihrem 16. (!) Geburtstag vor den UN gehalten hat, ahnt, dass sie damit schon ziemlich gut klarkommen wird. Sie ist bescheiden, willensstark und enorm gebildet. Und sie hat schon ganz andere Lasten getragen.
4. Ein Preis für Malala wäre ein Aufruf an die Jugend gewesen.
Hätte eine 16-Jährige den Nobelpreis bekommen, hätte das weltweit junge Menschen aufgerüttelt. Es wäre ein Zeichen gewesen, dass sich Engagement lohnt, auch wenn man eigentlich ein Niemand ist, verglichen mit den Mächtigen dieser Welt. Ein Zeichen gegen Politikverdrossenheit bei jungen Menschen, ein Zeichen, für seine Rechte einzustehen. Ein Zeichen, sich vielleicht auch mal ernsthaft gegen die Welt der Erwachsenen aufzulehnen.
5. Ein Preis für Malala hätte den Nobelpreis gestärkt.
Eine Entscheidung für Malala hätte die Institution Friedensnobelpreis noch mehr gestärkt als die Entscheidung für die Chemiewaffenjäger. Denn mal ehrlich: In den vergangenen Jahren haben die Entscheidungen des norwegischen Komitees mehr Kopfschütteln als Applaus hervorgerufen. Obama hat sich nicht als der große Versöhner entpuppt. Was den meisten Menschen von seinen zwei Amtszeiten in Erinnerung bleiben wird, sind Drohnenangriffe, zögerliches Verhalten in Konflikten und ein gnadenloser Kampf gegen Whistleblower. Die EU hat Europa Frieden und Wohlstand gebracht, aber sie ist nicht in der Lage, Antworten auf viele drängende Fragen zu finden – nicht zuletzt die aktuelle Debatte um die Flüchtlings-Katastrophe der vergangenen Tage macht das deutlich. Der Nobelpreis ist angeknackst. Malala war nicht umsonst bei vielen Experten die Favoritin. Auf sie hätte man sich einigen können, und sie hätte dem Preis gleichzeitig ein Gesicht gegeben, ein junges Gesicht noch dazu, hinter dem ein sehr kluges und reifes Gehirn arbeitet. An ihrem 16. Geburtstag hat Malala Yousafzai eine Rede vor der UN-Vollversammlung gehalten. Sie sagte: „Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern.“ Was für ein Satz.
Text: christian-helten - Foto: Getty