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Kater, Nuss und Mandelkern

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Am 23. Dezember treffen wir uns immer im „Reiche des Wassers“. Dann kommen Philipp aus München und Kai aus Frankfurt und Sebastian, ist er jetzt eigentlich immer noch in den USA oder mittlerweile in Dortmund? Und irgendwann setzen sich auch Vivi dazu und der ewige Laumi, der schon in der Grundschule mein Banknachbar war. Und zehntausend andere kommen und bringen Bier und Schnaps und stoßen an und gehen oder bleiben und alte Feinde werden zu neuen Freunden. Und man kommt eigentlich gar nicht dazu, ein einziges langes Gespräch zu führen, stattdessen sind es unzählige Gesprächsfragmente, die am Ende ein Mosaik aus Sentimentalitäten ergeben, oder auch zwei, weil sich die Dinge ab einem gewissen Pegel verdoppeln.  

Wenn ich dann am nächsten Morgen von der allgemeinen Aufgeregtheit viel zu früh geweckt werde und versuche, in Weihnachtsvorbereitungsstimmung zu kommen, es muss ja noch dies und das gemacht werden (und es fehlt auch immer noch ein Geschenk), dann bleibe ich stets eine halbe Stunde länger im Bad. Der heilige Abend beginnt mit einem Kater.  Bei meinem Kumpel Artur aus Gießen ist es seit 15 Jahren das traditionelle Schnitzelessen im erweiterten Freundeskreis, dass dem Weihnachtsfest den eigentlichen – und nicht nur den vorläufigen – Höhepunkt verleiht. „Wann sehen wir uns denn schon? Weihnachten muss man ja bei der Familie sein. Deswegen feiere ich am 23. mit meiner anderen Familie.“ Dafür gehen sie stets in das gleiche Lokal, obwohl sie dort unter normalen Umständen keinen Fuß reinsetzen würden. Aber die Kneipen in der kleinen Heimatstadt sind eh selten wirklich gut, sondern bestenfalls „kultig“, und es ist der Hunger nach der alten Zeit, der einen hineintreibt.  

Apropos Hunger: Die Schnitzel dienen auch dem Artur nur als Grundlage. Das Trinken ist nur die Begleiterscheinung der Wiedersehensfreude, und die dauert auch recht lange an, denn viele Leute sehe ich ausschließlich an diesem einen Abend, das muss ausgekostet werden. Und ganz selten nur pflege ich meine Nächsten und Lieben so intensiv wie am Abend bevor das Christkind kommt. Es ist ein übersprudelndes Quell der Freude. Wohingegen Weihnachten selbst nicht so sprudelt, es ist viel förmlicher, mit den feinen Klamotten und dem guten Besteck und dem teuren Wein, und der Enthusiasmus ist eher medium, auch weil ich weiß, wie sich Weihnachten als Kind angefühlt hat – und da fällt die Rückbesinnung dann ernüchternd aus, weil es einer dieser Momente ist, in denen ich merke, dass ich erwachsen bin.  

So oder ähnlich ist es sicherlich bei vielen von uns. Wir wohnen nicht mehr da, wo wir herkommen, haben aber oft noch keine eigene Familie. Wir verlassen früh das Elternhaus und kriegen selbst spät eigene Kinder. Und wir teilen und zelebrieren diesen vorübergehenden Status Quo so lange es geht. Eines Tages feiern wir dann wieder Weihnachten nach Protokoll und steigen am Morgen des 24. Dezember gut erholt aus dem Bett. Insgeheim werden wir uns dann aber einen kleinen Kater wünschen.

Text: tim-rittmann - Foto: Saimen./photocase

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