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Immer dem Lieblingsplatz nach - über den Satz "Da musst du unbedingt hin"

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So selten und so schön ist sie, die Reise. Einmal geplant und gebucht, bereitet der Urlauber sich liebevoll darauf vor, denkt sich an diesen und jenen Ort, liest sich etwas Wissen an. Das alles tut er, damit sie schön wird, die Reise und eindrucksvoll, damit er neue Dinge entdeckt, von deren Existenz er vorher nichts ahnte. Und damit er Orte sieht, die keiner vor ihm sah, zumindest keiner, den er kennt. Er vermeidet die Marco Polo-Büchlein mit ihren „Insidertipps“, denn er möchte lieber alleine durch Gassen schlendern oder in schlechtem Einheimisch den Concierge fragen, wo er in diesem Ort wohl das beste Essen serviert bekäme. So denkt er sich das, und erzählt dann einem Freund von seinen Plänen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ab diesem Zeitpunkt verliert die Reise etwas an Glanz, es ist ein wenig, als würde dein kleine Bruder einmal quer über die Waffel lecken bevor er dir das Eis reicht. Denn ein Freund tut in dieser Situation, was ein guter Freund eben tut: Er gibt Tipps. Natürlich war er selbst schon in dieser Stadt und natürlich gibt es da jede Menge falsch zu machen. Das will der hilfsbereite Freund nicht und erzählt von sämtlichen eigenen Erfahrungen. Die solle der abreisebereite Freund bitte gleich mal mitnehmen, die würden ihm helfen. Das beste Frühstücksei zum Beispiel, das gebe es in diesem kleinen Hotel in der und der Straße im Stadtteil, von dem der Reiseplanende noch nie vorher gehört hat. Da müsse er absteigen, das ginge gar nicht anders. Der Freund redet sich in Rage, warnt vor Touristenfallen, in die der Reisende gar nicht vor hatte zu tappen und im Laufe des Gesprächs tut der Freund immer mehr, als wäre diese Stadt seine eigene, als wäre er dort aufgewachsen, kenne alle Tricks und teile sein Wissen gern. Solche Gespräche wiederholen sich vor der Abreise noch einige Male mit verschiedenen Menschen und nie sind es die gleichen Hinweise, die der Reisende bekommt. Er solle dort Pizza essen und da einkaufen gehen, unbedingt dies mal anschauen und auf keinen Fall das verpassen.

Höflich ist der Reisende und macht sich Notizen mit Adressen und Wegbeschreibungen, U-bahn-Linien und sogar Speisekartenauszügen. Er wird zunehmend verwirrter und denkt sich, dass es wohl leichter gewesen wäre, einfach einen Tag vor Abreise einen Marco Polo-Reiseführer zu kaufen. Er überlegt, wie er all die Lieblingsplätze seiner Freunde in seiner Reise unterbringen kann und wo da Platz bleibt für seine eigene Liste, die er sich in seiner touristischen Blauäugigkeit zusammengestellt hat ohne zu bedenken, dass es hier und da auch schrecklich oder langweilig oder beides sein könnte. Kurz: Der Reisende ist angespannt. Was er nicht merkt: Es geht hier mal wieder um Angeberei, wenn auch unbewusst. Die Empfehlungen seiner Freunde sind sicher alle lieb gemeint, dienen aber im Prinzip nur dazu, der eigenen Weltgewandtheit Ausdruck zu verleihen. Natürlich war mittlerweile jeder schon einmal in New York und natürlich immer in einer anderen Gegend und einem anderen Hotel und natürllich sind die Erinnerungen seitdem ein bisschen ausgeblichen oder besser aufpoliert worden. Der Freund hat sich damals gut gefühlt, er urlaubte und das auch noch in so einer tollen Stadt oder Gegend, da kam ihm Vieles supertoll vor. Natürlich hat er nicht alle Hotels, alle Clubs und alle Restaurants getestet, genauer gesagt waren es so wenige, dass der Reisende davon ausgehen kann, dass noch einige gute Orte für ihn zu entdecken sind. Immerhin liegt der Reiz am Reisen ja genau  in den kleinen Entdeckungen, die jeder selbst macht und auf die er stolz ist. Das Gefühl in solch einer eigenen Entdeckung zu sitzen ist mit euphorisch, wissend und einfach nur super zu beschreiben. An einige Orte wird sich der Reisende noch lange erinnern und genau von diesen wird er seinen Freunden erzählen, wenn er wieder zuhause ist. Er würde am liebsten immer mal wieder hinfahren, noch einmal dieses Gefühl haben und wenn er es schon nicht kann, dann wenigstens die Menschen, die ihm am Herzen liegen. Sobald der Ort erwähnt wird, freut er sich, erzählt vom Margarita in der besten Bar der Welt und schließt mit: „Da musst Du dann auch unbedingt hin!“ Er hat vergessen, was dieser Satz für ihn bedeutet hat. Und auch, dass er selbst nie dahin gegangen ist, wo seine Freunde ihn hingeschickt hatten.   

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