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Ich bin kein Berliner

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Ich bin in Bayreuth aufgewachsen. Das ist eine schöne Kleinstadt voller Kopfsteinpflaster und Bratwurstbüdchen. Eine heile Welt, die eine schöne Kindheit verspricht. Und die hatte ich. Aber nach dem Ende meiner Schulzeit war ich übersättigt von der immergleichen harmonischen Blase: Ich wollte weg, träumte von einem Studium in Köln, Hamburg oder Berlin. Von Orten, in denen Supermärkte länger geöffnet haben und S-Bahnen fahren. Wo es nicht nach Bratwurst riecht und wo mir nicht das Muster des Bordsteinpflasters vertraut ist.

Als ich mich nach dem Abitur durch die Internetseiten der Großstadtunis klickte, fühlte ich mich, als hätte mir jemand einen großen Eisbecher mit Schokosoße weggenommen. Nichts dabei. Als ich dann doch einen interessanten Studiengang entdeckte, fühlte es sich an, als wären auf einen Schlag alle Eisdielen geschlossen worden: Das interdisziplinäre Studiengedöhns meiner Träume gab es nur an der Universität Passau, nirgendwo sonst.

Passau! Dieses Städtchen im tiefsten Niederbayern. Mit dem schlimmen Dialekt. Mürrisch packte ich die Umzugskartons. Drei Jahre und einen Bachelorabschluss später weiß ich: Kleinstadt ist pures Glück. Und wenn mich diese Aussage zum Spießer macht, schreibe ich mir das gerne mit Edding auf meinen Kaffeebecher.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine meiner Lieblingsgassen in der Passauer Altstadt. Auch wenn mich das Pflaster fast an die Bayreuther Innenstadt erinnert.

Vom ersten Moment an fühlte sich Passau heimelig an. Wenn ich aus den Fenstern meines WG-Zimmers schaute, blickte ich auf sanfte Hügel und ein Schloss, das aussah wie das Hogwarts meiner Kinderträume. Für meine zwei WG-Zimmer mit Balkon und allerlei Pipapo bezahlte ich 250 Euro. Jede Strecke konnte ich laufen oder radeln, zum Audimax brauchte ich drei Minuten zu Fuß, zur Bibliothek vier. Heute fahre ich in München fast eine Stunde S-Bahn, bis ich bei der Arbeit bin.

Gleich in der ersten Woche fand ich Freunde, die über die Jahre zu meiner Großfamilie wurden. Wir kamen aus den unterschiedlichsten Ecken Deutschlands, die neuen Erfahrungen in der niederbayerischen Provinz hatten ihre eigene Ironie, schweißten zusammen. Auch wenn ich nicht mit meinen Freunden verabredet war, konnte ich sie immer treffen. Dafür musste ich nur in die Cafete gehen, wo sich sowieso jeder zwischen seinen Vorlesungen einen Kaffee holte. Natürlich begegnet man sich auch in Großstädten, aber Kleinstädte erhöhen die Zusammenstoßquote. Je weniger Clubs es gibt, desto sicherer steht man am Ende des Abends mit all seinen Freunden gemeinsam auf der Tanzfläche. Sieht alle Gesichter, die man gerne sieht.

Die fehlende Anonymität der Kleinstadt, die mich in meiner Jugend genervt hatte, begeisterte mich plötzlich, machte mich sogar zu einer leidenschaftlichen Bibgängerin. Weil im Lesesaal die immergleichen Menschen saßen, fühlten sie sich wie gute Bekannte an, deren Verhalten eine anhaltende Quelle guter Unterhaltung war. Zum Beispiel die fünf Studenten, die auch im Sommer immer Mützen trugen und sich jede halbe Stunde zum Kaffee vor der Bibliothek trafen. Oder die Doktorandin, die immer eine Isokanne in den Lesesaal schmuggelte. Zwischen ihnen verteilt saßen meine wirklichen Freunde. Oder zumindest in der Cafete.

Wenn ich heute an Passau denke, sehe ich kein Kleinstadtnest mehr. Sondern schmale Altstadtgassen mit schiefen Häuserwänden und den dicken weißen Turm am Inn, an den ich mich in Lernpausen so gerne angelehnt habe. Momentaufnahmen von den Radeltouren zum Badesee, immer entlang der grünen Ilz, vorbei an verfallenen Burgruinen. Diese Lieblingsorte sind für mich so beruhigend wie eine schnurrende Katze auf dem Schoß. Weil sie so verschlafen sind und nichts mit lauten Straßen und vielen Menschen zu tun haben. Das verträumte Lebensgefühl, dass ich früher noch abgelehnt habe, macht mich heute glücklich. Gerade suche ich nach dem passenden Masterstudiengang. Wenn ich den in einer Kleinstadt finde, kann ich die Umzugskartons dieses Mal mit einem Lächeln zukleben.

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