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"Du hast das doch nicht nötig!"

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Mein Freund Graham mustert mich, als ich in die Bar komme. "Bist du fitter geworden?", fragt er. "Ja", sage ich. Und freue mich, dass er es merkt. Meine Freundin Magda sagt nichts, sie schaut mich nur an. Ein bisschen besorgt, ein bisschen skeptisch, ein bisschen fragend. Ich weiß, was ihr Blick bedeutet. "Ich hab etwas mehr Sport gemacht in letzter Zeit. Aber nicht, weil ich unbedingt abnehmen will." Magda guckt immer noch. Ich weiß, dass sie mich später noch mal darauf ansprechen wird, wenn Graham nicht dabei ist. Um sicher zu gehen, dass ich nicht doch Sport mache, um dünner zu werden.

Abnehmen gilt in einem Teil meines Freundeskreises als Qual und nicht als etwas, das man wollen kann und das einen nicht belastet. Wer Sport macht, nimmt ab – und ordnet sich angeblich einer gesellschaftlichen Schönheitsnorm unter, die in der Logik meiner Freunde bekämpft werden muss. Dabei mache ich Sport, weil es mir Spaß macht und ich es mag, länger laufen oder mehr Gewichte heben zu können. Dass ich meinen Körper auch äußerlich schöner finde, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Das war nicht immer so. Früher habe ich mich tatsächlich zu dick gefühlt und trainiert um abzunehmen – obwohl es mir ein schlechtes Gewissen machte. Denn neben dem unangenehmen Gefühl, dass ich mich mit meinem Körper nicht wohlfühlte, spürte ich ein weiteres Scheitern: Nicht stark genug zu sein, um mich dieser gesellschaftlichen Erwartung entgegen zu stellen. Sondern sie, im Gegenteil, für andere noch zu verstärken, indem auch ich Sport machte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Sport? Treiben nur Schönheitswahn-Opfer! Das zumindest behaupten die Freunde unserer Autorin.

Ungefähr ein dreiviertel Jahr lang habe ich darum niemandem davon erzählt, sondern Geschichten erfunden, wenn meine Freunde gefragt haben, was ich am vorigen Abend gemacht habe. Statt zu sagen, dass ich im Fitnessstudio beim "Body Jam"-Kurs war, statt zu erzählen, wie  viele Kilo ich mittlerweile heben kann, statt zu sagen, dass ich zwei Mal über das Tempelhofer Feld gejoggt bin, sagte ich, dass ich gelesen habe. Dass meine Schwester angerufen hat. Dass ich einkaufen war und gekocht oder einen Film geschaut habe. Gut habe ich mich dabei nicht gefühlt. Aber die Hauptsache war, mich nicht rechtfertigen zu müssen. Hauptsache, ich musste nicht absichtlich mehr essen, weil meine Freunde mich dabei beobachten. 

Sicher habe ich extrem reagiert, indem ich gar nichts mehr gesagt habe. Aber trotzdem bin es nicht nur ich, die so fühlt. Speziell bei vielen gebildeten, emanzipierten und jungen Frauen in meiner Generation und in meinem Umfeld beobachte ich das Tabu, das Zweifeln am eigenen Körper auszusprechen. Es ist paradox, weil alle wissen, dass es in ist, schlank und fit zu sein – egal wie alt man ist oder welche natürliche Körperform man hat. Und weil das verbreitete gesellschaftliche Idealbild vom menschlichen Körper alle beeinflusst.  

Doch die Konsequenz ist nicht, dass wir das anerkennen und einen entspannten Umgang mit unserem Körper finden. Dazu würde auch gehören, dass es okay ist, abnehmen zu wollen. Im Gegenteil pathologisieren wir den Wunsch, Gewicht zu verlieren. Während viele leugnen, überhaupt über das eigene Gewicht nachzudenken, bedeutet Sport zu machen, über den eigenen Körper zu reflektieren. Deshalb vermuten viele, dass jemand unzufrieden sein muss, wenn er sich mehr bewegen will. Wir sind schockiert, wenn wir erfahren, dass sich jemand zu dick fühlt und lenken davon ab oder ignorieren sein Problem, indem wir loben, was ist: "Du bist aber doch so schön und lachst so niedlich", hört man oft, oder "Ich wünschte, ich wäre so weiblich wie du". "Du hast das doch nicht nötig", ist eine typische Reaktion, wenn man joggen geht, statt mit Freunden gemeinsam zu frühstücken – egal ob man es tut, weil es Spaß macht, oder weil man fitter, schlanker oder nur nicht zunehmen will.  

Diese Aussagen mögen tröstend gemeint sein, ordnen einen aber in eine Kategorie ein und lassen einen allein zurück. Weil man die einzige bleibt, die Schwäche zeigt. Abnehmen wollen offiziell nur die, die nicht verstanden haben, dass es nicht nur auf das Äußere ankommt. Solche, die im Internet sogenannte Thinspiration-Tumblrs erstellen, auf denen sie Bilder von Thigh Gaps und flachen Bäuchen posten. Oder die, die zu unsicher sind, um über dem Normdiktat zu stehen.  

Mittlerweile sage ich offen, dass ich kickboxe und mache Witze darüber, dass ich zwischen muskelbepackten Männern im Fitnessstudio meine Gewichte stemme. Der Rechtfertigungsdruck ist jedoch geblieben und das schlechte Gewissen auch. Und wenn ich nach dem Sport nicht sofort Hunger habe, gucken viele meiner Freunde immer noch komisch. Auch denen, denen ich erklärt habe, dass ich Sport mache, weil er mich ausgleicht. Ich sage dann noch mal, dass ich nicht nur trainiere, um abzunehmen. Und esse schnell einen Bissen, um sie zu überzeugen. Aber ich spüre, dass die Skepsis bleibt.



Text: nicola-staender - Bild: hamido / photocase.de

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