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Dieses Schland ist nicht entspannt!
Die schwarz-rot-goldene Freude ist kreativ in diesem Jahr. Es gibt nicht mehr nur Auto-Fähnchen, die aus Seitenfenstern winken, auch auf Türen werden die Farben geklebt und sogar als Schutzüberzug für Auto-Rückspiegel sind sie zu sehen. Es ist wieder Fußball-WM und damit bekommt ein Thema zentrale Aufmerksamkeit, das im Alltag sonst fast keine Rolle mehr spielt: unsere Nationalität. Dass wir Deutsche sind, interessierte zuletzt im Wohnheim-Keller während des Erasmus-Jahrs. Aber auch nur für ein paar Augenblicke: Wir machten uns gegenseitig über Nationalklischees lustig und gingen dann zu wichtigeren Themen über. Spätestens seit den Monaten mit Studenten aus anderen Ländern wissen wir: Nicht die Herkunft entscheidet darüber, ob jemand zum Freund taugt oder nicht, sondern seine Haltung, sein Humor und sein Musikgeschmack. Wer sich ernsthaft über sein Vaterland definiert, ist uns suspekt. Jedenfalls an den Tagen, an denen keine Fußball-WM ist.
Wenn dann Nationen, diese merkwürdigen und merkwürdig überholten Gebilde, gegeneinander antreten, sprechen sogar die klügeren unserer Freunde plötzlich über ein „Nationalempfinden“. Mit den durch die Städte rollenden Fahnen, rollen auch Texte in die deutschen Medien, die „vom jungen Fußball-Deutschland“ oder von der Bedeutung des Nationaltrainers fürs Wohlbefinden des Landes handeln. Und wenn Jogis Jungs – was dringend zu wünschen wäre – morgen gegen Ghana wieder so erfrischend (und erfolgreich) Ball spielen wie gegen Australien, wird diese nationale Gefühlsdebatte eher zu- als abnehmen. Wichtig ist den schreibenden Nationalstimmungs-Forschern, stets zu betonen, dass unsere Generation ja ein total entspanntes Verhältnis zum Vaterland habe. Und überhaupt: All die Migrantenkinder im DFB-Team sind den Erklärern Beweis für einen auch integrierenden Vaterlandsbegriff. Was wären wir denn ohne Özil, Khedira oder Cacau, der – der Hinweis darf nicht fehlen – von seinen Mitspielern scherzhaft „Helmut“ gerufen wird?
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Wer mit der Bürde aufgewachsen ist, ein paar Jahre nach dem älteren Bruder die gleiche Schule wie dieser zu besuchen, kann nachempfinden, warum das mit dem Entspannten und dem Nationalempfinden in Deutschland nicht ganz so einfach ist. Die Lehrer, der Hausmeister ja sogar die Mitschüler sprechen einen ständig auf den großen Bruder an, der im deutschen Beispiel nicht nur ziemlich dämlich war, sondern auch unfassbar gefährlich und asozial. Er hat einfach die ganze Schule in Brand gesteckt. Kurzum: Er war das Gegenteil von entspannt. Anders als beim Schulbesuch ist das Deutschsein aber nichts, was man durch Schulwechsel ablegen kann.
Es ist unbestreitbar, dass in deutschem Namen im 20. Jahrhundert ein unmenschliches, unvergleichliches Verbrechen an der Menschheit begangen wurde. Bei aller medial verbreiteten Entspanntheit: Es gibt Menschen, die das nicht einfach so ausblenden wollen, vor lauter nationaler Begeisterung. Deshalb mögen sie keine Autofahnen und wehren sich gegen den deutschen Freudentaumel zum Beispiel beim europäischen Sängerwettstreit. Denn Lenas Song-Contest-Sieg legte auch eine verachtenswerte antisemitische Grundhaltung offen, die Twitter-Nutzer zum Beispiel offen auslebten, als die Satelitte-Sängerin aus Israel keine Punkte bekam.
Und als sei all dies nicht schon konfliktreich genug, meldet sich jetzt ausgerechnet der Verband Deutsche Sprache mit einem Vorschlag zu Wort, der für das deutschtümelnde Feuer dieser Tage wie eine Ladung BP-Öl wirkt. Denn die Sprachschützer verbinden das Nationale mit einen zweiten bundesdeutschen Aufregerthema: der GEZ. Auf der Webseite des VDS heißt es: „Anlässlich der Bundesdelegiertenversammlung in Landshut rief der VDS-Vorstand seine 33.000 Mitglieder dazu auf, ab 1. September 2010 einen Teil der Rundfunkgebühren einzubehalten.“ Doch die deutschen Sprachwächter rufen hier nicht zum zivilen Ungehorsam gegen eine ihrer Meinung nach ungerechtfertige Gebühr auf oder verlangen eine Neugestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Nein, sie wollen dem Nationalen zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen und die öffentlich-rechtlichen Sender bestrafen, weil diese angeblich zu wenig deutschsprachige Musik spielen. „Statt der monatlichen 5,76 Euro werden wir nur noch 4 Euro zahlen“, wird der VDS-Chef Walter Krämer zitiert. Das restliche Geld wollen die Sprachschützer teilen: einen Euro wollen sie offenbar behalten und 76 an die BBC überweisen. Wieder Krämer: „Das Geld für die englische Musik soll dahin gehen, wo die Musik herkommt.“
Damit treten die Sprachschützer mitten in dem sich ankündigen Nationaltaumel eine Debatte wieder los, von der wir dachten, sie sei bereits überstanden: die um die Deutsch-Quote im Radio. Mitte der 1990er Jahre hatten Musiker wie Heinz-Rudolf Kunze schon mal eine solche Regelung ins Spiel gebracht, zum Glück ohne Erfolg.
Warum fordern die Sprachschützer ausgerechnet jetzt eine solche Quote: Weil das Nationale gerade zu kurz kommt? Wohl kaum. Denn selbst wenn das deutsche Team morgen Abend gegen Ghana ausscheiden sollte, die Debatte ums Nationale wird dann nicht verstummen. Im Gegenteil: Die nationalen Reaktionen auf das Foul von Kevin-Prince gegen Michael Ballack vor vier Wochen haben gezeigt, dass das Nationalempfinden alles andere als entspannt ist. Jetzt stelle man sich für einen Moment vor, der gleichen Kevin-Prince erzielt morgen Abend das Siegtor gegen Deutschland.
Der Fall des in Berlin geborenen Mittelfeld-Spielers zeigt übrigens auch sehr schön, dass die Auseinandersetzung um Integration und Nationalempfinden in der aktuellen Debatte eher verkürzt wird. Denn eine entspannten Nation würde sich nicht für dafür loben, die Herausragenden integrieren zu können, sondern auch jene, die etwas komplizierter sind. Bertholt Brecht hat übrigens schon vor über sechzig Jahren einen Vorschlag für ein entspannte Nationalhymen gemacht: seine Kinderhymne endet übrigens mit den Worten:
Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's.
Und das liebste mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.
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