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Die Schadenvorfreude
"Ich bin so schlimm", schrieb der Freund per Whatsapp gleich mal vorweg und dann: "Ich hab gesehen, dass so eine Aktivistin, die ich ganz schrecklich finde, in einer Reportage vorkommt – und jetzt freu ich mich schon darauf, das nachher zu gucken und mich über sie aufzuregen." Dann machte er ein trauriges Emoji. Obwohl er sich ja gerade auf etwas freute.
Das traurige Emoji machte er wohl, weil es sich ein bisschen verwirrend angefühlt haben muss, wie da in ihm zwei eigentlich widersprüchliche Gefühle miteinander kämpften. Und sich dann auf eine komische Art vereinten: die Vorfreude (eins der besten Gefühle überhaupt) und die Wut (eins der schlechtesten Gefühle überhaupt).
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
"Geil! Gleich endlich mal wieder so richtig wütend werden!"
Trotzdem habe ich es ihm gleich nachempfinden können. Ich kenne dieses Gefühl auch. Es ist die Schadenvorfreude. Ich habe die zum Beispiel regelmäßig, bevor ich in einen ICE steige, der wahrscheinlich sehr voll sein wird. Ich bin dann schon im Voraus genervt von den Zugfahr-Amateuren, die sich mit ihrem Koffer, dem Rucksack und der Provianttasche unglaublich umständlich auf ihrem Platz einrichten und dabei den Gang blockieren, bis sie merken, dass ihre Sitzplatzreservierung doch im Nachbarwagen ist. Und ich freue mich schon im Voraus darauf, sie schrecklich zu finden und ein schlecht gelauntes Gesicht zu machen, das sie hoffentlich alle sehen! Auf diesen Moment, wenn es sich so anfühlt, als ob eine kleine Windhose im Magen herumwirbelt! Auf das Wissen, wenn ich jetzt den Mund aufmachen würde, käme da ein Grollen raus!
Alle tun nämlich immer so, als würden sie sich wünschen, sich nie ärgern und niemals wütend sein zu müssen. Jeden Tag gelassen und zufrieden sein zu können. Aber wenn sie ehrlich wären und mal ganz tief in ihre Seele schauen würden, dahin, wo es dunkel wird – dann müssten sie wohl zugeben, dass sie sich manchmal eben auch wünschen, sich mal so richtig schlimm aufregen zu können. Bloß: warum eigentlich?
Die schöne Erklärung ist die antike Erklärung. Es könnte nämlich Katharsis sein, die, nach Aristoteles, Reinigung der Seele von bestimmten Affekten. Aristoteles dachte dabei zwar eher an Kummer und Angst, die man durchlebt, wenn man eine Tragödie anschaut, und die man sich dadurch im echten Leben erspart – aber warum sollte das nicht auch mit Ärger und Wut funktionieren? Wenn mein Freund sich vorm Fernseher über eine Aktivistin ärgert, die davon nichts mitbekommt, und ich mich im Zug über Menschen, die ich danach nie mehr wiedersehe, dann ärgert er sich vielleicht morgen nicht über seine Mitbewohnerin und ich mich nicht im Büro, obwohl wir beide Grund dazu hätten. Weil: Der Ärgerspeicher ist leer. Nix mehr drin. Leergeärgert. Die Vorfreude auf den Ärger wäre dann ein total empathisches Gefühl, nämlich eigentlich die Vorfreude darauf, im geschützten Rahmen alle Aggressionen loszuwerden und danach keine wichtigen zwischenmenschlichen Beziehungen mehr damit zu belasten. Die Schadenvorfreude als eine Art innere Gummizelle zum Unbemerkt-an-die-Wände-Treten-und-drin-rumtoben.
Wie gesagt: Das ist die schöne Erklärung. Ich fürchte bloß, dass die weniger schöne die richtigere ist. Und die geht so: Wenn wir uns darauf freuen, uns über etwas aufzuregen, dann nur, weil wir schon wissen, dass wir uns dabei überlegen fühlen werden. Der kleine Hass meines Freundes auf die Aktivistin, das ist dann ein kleiner Hass von oben herab. Ein "Du hast es echt nicht drauf und ich hab es verstanden"-Hass. Und meiner auf die Zugfahrer eben auch. Und so, aus diesen niederen Beweggründen, wird aus der Wunschwut sicher keine Katharsis. Und dann ist sie auch nicht empathisch. Sondern schlicht: fies.
Der Freund hat dann also diese Doku geguckt. Ich habe ihn gefragt, wie es war, ob es ihm gut ging danach. Er schrieb, er sei ein wenig enttäuscht gewesen, weil die doofe Aktivistin dann gar nicht sooo schlimme Sachen gesagt habe. Trauriges Emoji.
Text: nadja-schlueter - Foto: David Diedschburg / photocase.de; Collage: Daniela Rudolf