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Der professionalisierte Protest: Was vom Kampf gegen Studiengebühren bleiben wird

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Am Donnerstag treffen sich in Frankfurt am Main Tausende von Studenten aus dem ganzen Bundesgebiet zu einer Demonstration gegen Studiengebühren. Es könnte der große Schlusspunkt einer Demonstrationswelle sein, die seit einigen Monaten durch das Land rollt, denn: Der Widerstand der Studenten kommt sehr wahrscheinlich zu spät. Bereits Anfang des vergangenen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht das Gebührenverbot aufgehoben. Viele Bundesländer haben die Gebühren bereits beschlossen. Und bedenkt man, dass bald an allen Hochschulen das Sommersemester endet, spricht viel dafür, dass dieser 6. Juli 2006 der Tag ist, an dem das Protestfeuer noch einmal sehr hoch lodert – um dann zu verlöschen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Spulen wir ein halbes Jahr nach Vorne. Es ist Silvester 2006 und wir überlegen gemeinsam, was von diesem Protestsommer an deutschen Hochschulen im Sieb der Erinnerung hängen geblieben ist. Werden wir auf einen ähnlichen Furor zurückblicken, wie ihn die Franzosen im Frühjahr entfacht haben? Wohl kaum. Sicher tun die Initiatoren der deutschen Proteste gut daran, auf Frankreich zu verweisen. Auch dort wurde am Ende durch den Druck der Straße ein bereits gefasstes Gesetz gekippt. In Deutschland wird das nur schwer gehen, weil hier jedes Bundesland einzeln Studiengebühren beschließen kann. Wir werden auch nicht die Geburt einer vermeintlich neuen "Generation Protest" erlebt haben - auch wenn in den Feuilletons davon die Rede war. Aber, wenn wir am weihnachtlichen Tisch auf diesen Sommer zurückblicken, werden wir erkennen, dass Protest heutzutage punktuell daherkommt. Erstehend aus dem Nichts, verschwindend ins Nichts, anlaßbezogen und vor allem unideologisch. Und so kommen wir zu zwei sehr froh stimmenden Elementen dieser Proteste, die nach meiner Theorie im Sieb der Erinnerung an diesen Sommer hängen bleiben werden: 1. Wir nehmen nicht hin und empfehlen das auch allen anderen Gesellschaftsschichten. 2. Wir sind die professionellsten Demonstranten, die es je gab. Punkt eins ist nicht ganz neu, aber auch nicht selbstverständlich. Ob zu spät oder nicht: Wir beweisen der Politik, dass die Zeit vorbei ist, in der Entscheidungen nur mit einem Murren hingenommen wurden. Und das hängt damit zusammen, dass die Protestkultur in diesem Land – und vor allem auch die der Studenten – enorm effizient geworden ist. Immer wieder reden die studentischen Organisatoren davon, wie wichtig es sei, den Protest in die Medien zu tragen. So gesehen ist die Blockade von Autobahnen nicht die Tat einer Gruppe von Geisteskranken, sondern ein wohlkalkulierter Effekt. Ähnlich effektvoll die Fraternisierung mit Frankreich: Am Donnerstag in Frankfurt wird eine Protestabordnung aus Frankreich erwartet – wie kann man eine Demo anders adeln? Nicht ganz von ungefähr kommt es wohl auch, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund Ende Juni in seinem Bildungszentrum in Hattingen gar einen Workshop „How to Protest - Studiproteste praktisch“ anbot. Und nicht von ungefähr kommt es, dass 75 Studenten am Mittwochvormittag das Wissenschaftsministerium in Hessen besetzten – und es erst nach einer einstündigen Pressekonferenz wieder verließen. „Wir hatten keine Lust mehr, nur ein bisschen zu demonstrieren“, sagt Lena Behrendes, die Vorsitzende des Asta in Marburg. Sie spricht in einem Interview von „strategischen Überlegungen“ und „medienwirksamen Aktionen“. Also: Autobahn während der WM blockieren. Mehr Aufmerksamkeit geht nicht. Dagegen ist nackig in einen Fluß springen („Unsere Bildung geht baden“) tatsächlich Kinderkram, auch wenn das von der Wassertemperatur abhängt. Krass muss der Protest also sein und plötzlich sitzt einer der Initiatoren mit dem hessischen Wissenschaftsminister an einem Schreibtisch – für ein „Spiegel“-Gespräch. Eine PR-Agentur hätte es nicht besser planen können. Vielleicht sollten sich die Veranstalter mancher Studiengänge überlegen, die Organisation von Demos als berufsqualifizierende Maßnahme anzuerkennen. Oder als Praktikumszeit, wenn es sich nicht zu doof anhören würde. An Weihnachten werden wir uns an Menschen erinnern, die so professionell wie nie das Handwerkszeug des Protests beherrschten. Diese Menschen wissen künftig, wie man gehört wird. Den Politikern darf also ein bisschen bange werden für die Zukunft. Vorausgesetzt, die Proteste beginnen rechtzeitig. Mehr zum Thema Protest gegen Studiengebühren: - Interview mit Amin Benaissa (26) vom „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“, der die Proteste gegen Studiengebühren in Frankfurt mitorganisiert hat. - Übersicht über die geplanten Proteste gegen Studiengebühren und in welchen Bundesländern bereits Studiengebühren eingeführt wurden. - Bericht über eine Uni-WG gegen Studeingebühren, die sich in der Uni München einquartiert hat. - Interview über Rektoratsbesetzungen, Polizei-Großeinsätze und Sitzstreiks in Köln und Bochum - Leitfaden für den studentischen Protest - Interview mit den Organisatoren der Studentendemos in Frankreich gegen den den umstrittenen Arbeitsvertrag CPE, der den Kündigungsschutz lockern sollte. - Bericht über die Erfolge der Studenten in Frankreich, die jetzt Vorbild für die deutschen Studenten sind. Foto: dpa

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