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DEN letzten Urlaub gibt es nicht!

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Wir sitzen auf einem kleinen Balkon bei Genua, trinken Wein und schauen über die ligurischen Hügel. Dann fängt Anna an zu heulen. Sie sei so traurig, dass die Uni-Zeit vorbei ist und wir nie wieder alle in der gleichen Stadt wohnen werden. Jetzt beginnt das richtige Leben. Mit Dienstplänen, festen Arbeitszeiten, vielleicht sogar Kindern. Dann könnten wir in dieser Konstellation vielleicht nie wieder zusammen Wein trinken. Drei Jahre haben wir unseren Studi-Alltag geteilt. Jetzt beginnt eine neue Zeitrechnung: Marie wird Weltreisen, Pia einen Master beginnen und ich in eine andere Stadt ziehen. Was also, wenn Anna Recht hat? Der plötzliche Nostalgieanflug trübt unsere sommerliche Leichtigkeit. Diese eine Woche Italien muss gut werden.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ist das das letzte Mal gemeinsamer Spaß?

Ich kenne das Gefühl, das sich da anbahnt. Wie immer, wenn etwas Großes zu Ende geht, überkommt mich diese apokalyptische Endzeitstimmung. Nach der Schule, dem Auslandsaufenthalt, dem Studium wird alles anders. Eigentlich gäbe es nichts Schöneres, als jetzt noch mal mit den Menschen zu verreisen, die mich durch diese Zeit begleitet haben. Ein letzter Urlaub, der unsere Erinnerungen konserviert. Es soll schön werden! Harmonisch! Erinnerungswürdig!  

Erwartungen? Harmoniesucht? Gruppenzwang? Explosive Mischung!

Der "Endzeit"-Druck macht sich schon am ersten Abend auf dem Balkon bemerkbar. In den folgenden Tagen haben wir keinen Platz für schlechten Espresso, mittel spannende Bar-Bekanntschaften und langweilige Gespräche. Alles muss intensiv, authentisch, perfekt sein. Wir halten uns an die unausgesprochenen Spielregeln: „Heute mal nicht mit zum Strand kommen“ ist nicht drin. Konsens in allen Fragen. Streiten verboten. Strandspaziergang nur in der Gruppe. Und alle müssen das gut finden. Genau diese Mischung aus Erwartungen, Harmoniesucht und Gruppenzwang ist hoch explosiv. Und absolut unrealistisch.  

Auf der Suche nach dem authentischen Genua schleppen wir uns am nächsten Tag in der Mittagssonne über den 40 Grad heißen Hafen-Asphalt. Wir haben nichts gefrühstückt außer einem sehr schlechten Espresso und sind nass geschwitzt bis auf die Unterwäsche. Anna hätte schon den ganzen Tag Kopfschmerzen und überhaupt würde sie Städtetrips eigentlich hassen. Pia hätte den netten Typ von gestern aus der Bar gern noch mal wiedergesehen. Marie wäre bei den Temperaturen lieber im Museum. Mir ist mittlerweile völlig egal, wo wir sind und was wir tun. Nach Urlaub fühlt es sich jedenfalls nicht an. Eher wie ein übler Kater nach einer mittelmäßigen Party.  

Warum setzen wir uns eigentlich selbst so unter Druck? Ich erlebe diese Art von Urlaubsstress nicht zum ersten Mal. Schon auf der Abifahrt lagen wir uns heulend am Strand von Calella del Mar in den Armen und versicherten uns, so schön wie jetzt würde es nie wieder. Damals waren das andere Freundinnen. Das Gleiche ein Jahr später nach dem Auslandsaufenthalt: Wieder großes Abschiedsdrama, wieder andere Freundinnen. Zu den meisten habe ich noch heute Kontakt. Mit vielen bin ich auch wieder verreist. Das hat uns aber nicht davon abgehalten, jeden Urlaub dogmatisch als den "letzten" Urlaub zu bezeichnen.   

Ein bisschen Endzeit-Panik ist normal. Sie gehört zu jedem Abschluss und zu jedem Neuanfang. Aber nicht in den Urlaub! Deshalb mussten auch wir unsere Erwartungen deutlich runterschrauben. Das „authentische Italien“ ist überall, es muss nicht immer die holzofigste Pizza sein. Und manchmal ist es einfach entspannter, sich neben drei Großfamilien an den Strand zu quetschen, statt stundenlang nach der idyllischsten Bucht zu suchen. Nach dem gescheiterten Städte-Trip haben wir uns erst mal ordentlich gestritten. Und dann den restlichen Urlaub entspannt zwischen Strand und Balkon verbracht.

Text: eva-hoffmann - like.eis.in.the.sunshine/ photocase.de

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