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Das Facebook-Paradox: Freunde ohne Freunde - und nie allein sein

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Anders als all die Come-Together-Imperative der Sechzigerjahre-Popmusik und der Werbewelt behaupten, sind Beziehungen zwischen Menschen ja in erster Linie dies: Arbeit. Keine Konzentrations-Arbeit vielleicht, aber emotional aufwühlend, erschöpfend und verschleißend wie kaum etwas anderes. Kein Film, kein Roman kann die Qualen hervorrufen, die ich erleide, wenn sich etwa mein Sandkastenfreund als der viel passendere Geschlechtspartner für meine Freundin herausstellt, was die beiden früh bemerken, bald umsetzen, aus Rücksicht aber nicht verraten, jedenfalls nicht mir. Schließlich will der gute Mensch niemanden verletzen und tut es gerade deshalb. Alles kein Geheimnis.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Happiness only real when shared“ - Screenshot aus dem Film "Into the Wild" Das ist im Prinzip auch gut so. Ohne Leiden gäbe es die abendländische Philosophie nicht. In der Antike waren Melancholiker und Denker untrennbar miteinander verbunden. Sehnsucht, Einsamkeit, Desillusion, Illusion – ständig hat man Probleme. Ohne Leiden käme es nie zu Fragen wie: Ist mein Leiden Selbstsucht? Ist meine Liebe Besitzdenken? Welche Vorstellung von der Welt sorgt dafür, dass ich mein Freund und meine Freundin einander nicht gönne? Bin ich ein Tyrann? Ich liebe doch bloß meine Freundin. Meine Ex-Freundin. Die Beziehungen zu den Leuten um uns herum sind in ihrem Wesen unbequem und dass der Mensch immer nach größtmöglicher Bequemlichkeit und Entlastung strebt, ist ein altes Credo der kapitalistischen Produktordnung und – neben der Verlängerung und Verstärkung der Sinnesorgane – der wahrscheinlich wichtigste Grund, aus dem es technischen Fortschritt überhaupt gibt. Die Zentralheizung befreit uns von der Notwendigkeit eines Ofens. Jahrhundertelang galt das Versprechen, das uns die Technik von umständlichen Arbeiten befreit, damit wir uns um die wesentlichen Dinge kümmern können, oder was die Kommunikationsstrategen dafür hielten. Das erste Mal wurde dieses Versprechen gebrochen, als die Geräte so kompliziert wurden, dass es mehr Zeit und Aufwand kostete, ihre Bedienung zu erlernen, als ihr Einsatz letztlich Zeit und Aufwand sparte. Und zum zweiten Mal wird das Versprechen gerade jetzt gebrochen. Von den sozialen Netzwerken im Internet. Was aber ist denn dieses Wesentliche, für das wir so viel mehr Zeit haben sollen? Wahrscheinlich glücklich werden. Endlich nicht mehr abwaschen, sondern glücklich sein; die Zeit genießen. Aber gleichzeitig gilt: „Happiness only real when shared“, wie der Held in Sean Penns Erfüllungsepos „Into the Wild“ kurz vor seinem Tod zu erkennen bereit ist. In dem relativ neuen Genre des Partypics in den sozialen Netzwerken sind üblicherweise junge Menschen betrunken, unterwegs und glücklich, doch eins sind sie nicht: allein. Die Wendung „Ich will heute allein sein“ ist makelhaft und bedeutet: „allein mit meinen Problemen, allein mit meinen Gedanken, allein mit meiner Melancholie“. Wenn man empfohlen bekommt, sich mal eine Weile zurückzuziehen, dann als Regenerationsmaßnahme, bis man wieder „voll durchstarten kann“, wie derzeit ein Hautcreme-Spot androht. Auch hier: Voll durchstarten geht nicht allein. „Wenn du ganz nach oben willst, brauchst du ein Team“, reimt Sido umstandslos auf „Aggro Berlin“. Ganz nach oben, voll durchstarten – willkommen 2009. Der moderne Begriff für alles „Soziale Kompetenz“ bezeichnet alles, was man sich darunter vorstellen möchte, nur eines nicht: Alleinsein. Weil diese neueste Idee des abendländischen Über-Ichs aber natürlich nichts mit der Realität zu tun hat – man würde wahnsinnig, wenn man nie allein wäre; der Entzug des privaten Rückzugsgebietes ist ein erprobtes Folterinstrument - gibt es Dienstleister, die das übernehmen, das Nie-Allein-Sein. Wann immer man sein Profil im sozialen Netzwerk seiner Wahl aufruft, steht dort die Zahl der Freunde, mit denen man verbunden ist. Selten sind es zehn, meistens hundert, bisweilen dreihundert. Man stelle sich vor, man stehe wirklich mit dreihundert Menschen in Kontakt. Dreihundert Mal Vertrauen, Vertrauensbruch, Ränkelspiele, Lebensentwürfe, subtile und offene Konflikte, Missverständnisse, doppelte Böden, Geschlechterkampf. Dreihundert Mal echte Beschäftigung mit der Person. Doch darum geht es gar nicht. Man steht nämlich nicht als Person mit der Person in Kontakt, sondern sollte genauer sein: Das eigene standardisierte Profil ist mit dem ebenfalls standardisierten Profil des Gegenübers befreundet. Wir müssen nicht mal mehr wirklich befreundet sein. Dafür haben wir Bots oder Avatare, die wir über einen einfachen Fragebogen erstellen und um ein vorteilhaftes Foto ergänzen. Eine Person, die wir gerne wären, ist mit einer Person, die sie gerne wäre, befreundet. Mit einem Mal haben wir auch „das Wesentliche“ outgesourcet. Der slowenische Kulturkritiker Slavoj Žižek hat der Konsumgesellschaft vorgeworfen, sie würde alles wollen, ohne es wirklich zu wollen. Fettarme Milch oder die Idee der intelligenten Bomben wären solche Beispiele. Milch ohne Fett. Bomben ohne Opfer. Milch ohne Milch. Bomben ohne Bomben. Die sozialen Netzwerke haben für Millionen Menschen auch den eigenen Freundeskreis konsumierbar gemacht. Endlich haben wir Freunde ohne Freunde.

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