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Michele wühlt in ihrem Geldbeutel, das Kleingeld klimpert, noch einmal blickt sie in das Scheinefach ihres roten Geldbeutels aus Leder, den sie auf einem Londoner Flohmarkt letzte Ostern gekauft hat. Die Schlange bewegt sich Richtung Kasse, Krüge klirren, Bier schwappt über Hände. „Eine Maß? Alles?“, schrillt die Stimme der Biergartenverkäuferin. „Macht 6,80 Euro plus ein Euro Pfand“ Michele wühlt und kramt noch etwas, stöhnt, dann legt sie den zerknüllten Fünfer und acht Münzen auf den Tisch. Im Geldbeutel aus London bleiben nur Kupfermünzen zurück. „Mei, Wahnsinn“, sagt sie zu Thorben auf dem Weg zurück zur Bierbank. „Das Geld für den Monat ist schon wieder weg. Irgendwie kann ich einfach nicht mit Geld umgehen.“ „Ich auch nicht“, sagt Thorben. „Mein Dispo ist schon wieder am Limit.“ Darauf stoßen beide sogleich an. Seit ich die zwei kenne, jammern sie darüber, zu wenig Geld zu haben. Andererseits weiß ich auch: Selbst wenn Michele 3000 Euro auf der hohen Kante hätte, würde sie jammern. Sie würde sagen: „Ich habe ja fast gar keine Ersparnisse wie die anderen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Über wenig Geld zu jammern, gehört zum guten Ton. Wer so tut, als sei er arm, glaubt, dadurch auch sexy zu sein. Ein bis zum Anschlag ausgereizter Dispo soll signalisieren: Hey, ich lebe voll im Jetzt. Ich mache einfach, was mir Spaß macht. Auf Geld kommt es doch eh nicht an. Diese Einstellung soll sympathisch wirken, mit dem Loch im Geldbeutel wollen sich Michele und Thorben von Goldkettchen-Prolls und großkotzigen Rosa-Polohemden-Trägern distanzieren. Sie wollen sagen: Uns sind Spaß und gute Freunde wichtiger als teure Autos und Longdrinks in Nobeldissen. Das ist prinzipiell ein ehrenwertes Anliegen und mir sind solche Leute lieber als ebensolche Großkotze und Prolls. Nur: Muss für diese Koketterie immer der Geldbeutel herhalten? Wem gehts hier wirklich schlecht? Vor einigen Wochen erschien in der FAZ ein Artikel mit Überschrift: Generation 30 – Hört auf zu jammern! Die Autorin Bettina Weiguny forderte endlich ein Ende der Miese-Stimmung unter jungen Akademikern, die es angeblich heute so viel schwerer haben als ihre Akademiker-Eltern. 4156 Euro im Schnitt verdiene ein Berufsanfänger heute, 1980 sei dies auch inflationsbereinigt nur die Hälfte gewesen. Unsere Eltern seien einfach nicht jede Woche in ein Restaurant gegangen. Was für 30-Jährige zutrifft, gilt auf einem niedrigerem Level auch für 20-Jährige. Natürlich gibt es Studenten und Schüler, die wenig Geld haben: 2,4 Millionen Kinder in Deutschland gelten laut Bundesfamilienministerium als armutsgefährdet. Das ist ein gesellschaftlicher Missstand, für den Kinder nichts können. Nur gibt es auf der anderen Seite eben auch genug Studenten wie Thorben und Michele, die monatlich 500 Euro von Papa überwiesen bekommen, zwei mal die Woche in einem Cafe bedienen und so nochmals 800 Euro verdienen und außerdem noch alle drei Monate 500 Euro von Omi zugesteckt bekommen. Sie fliegen in den Semesterferien nach Thailand und haben an sich den Anspruch, stets modisch gekleidet zu sein. Sie könnten, würden sie sich nur ein klein wenig einschränken, jeden Monat 200 Euro zurücklegen. Aber genau diejenigen sind es, die ständig mit ihrem ausgereiztem Dispo kokettieren und mit einem charmanten Grinsen sagen: „Ich kann einfach nicht mit Geld umgehen.“ Dahinter steckt letztlich die Weigerung, Verantwortung für sich zu übernehmen. Was die Pseudo-Arm-aber-sexy-Fraktion vergisst: Es ist nicht cool, nicht für sich selbst sorgen zu können. Man ist auch nicht freier, weil hinter dem Kontostand ein großes „S“ ist. Wenn Studenten jahrelang im Minus sind, hat das meistens mit Bocklosigkeit, mangelnder Selbstdisziplin und Koketterie zu tun. Und das ist eigentlich gegenüber denjenigen, die tatsächlich kein Geld haben, viel arroganter als die Goldketten-Großkotzigkeit.

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