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Bleibt doch daheim!

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Am kommenden Montag werden wieder Tausende irgendwohin aufbrechen. Sie werden am frühen Morgen mit müden Augen ihre kleinen Autos vollpacken, bis Schlafsäcke und Plastiktüten an der Heckscheibe quellen wie ekelhafte wirbellose Tiere im Aquarium. Zwischen, unter und durch die Sitze hindurch wird man verstauen, was anderswo nicht mehr unterzukriegen war, und einer der Insassen wird den Verpflegungsrucksack wieder auf den Schoß nehmen müssen, zumindest bis Illertal-West. Viele Stunden später werden ihre Augen nicht weniger müde sein, dafür aber ihre Kleider zerknittert und verschwitzt, ihre Körperteile schlaff oder eingeschlafen und ihre Sitzplätze vollgekrümelt und verklebt von Prinzenrollekeks und Coca-Cola. Oder sie werden am frühen Morgen mit müden Augen an Flughäfen warten, die schillernden Namen tragen wie "Hunsrück/Hahn", während der freundliche Pakistaner noch mit der Poliermaschine umherfährt. Die Schlausten werden am Bahnsteig stehen: Dort erwartet sie, wenn sie Glück haben, ein schöner, gemütlicher Zug, der sie wohlbehalten an ihr Ziel bringen wird - wenn sie allerdings Pech haben, müssen sie in einen ehemaligen, zum IC umgebauten InterRegio einsteigen, dessen pastellfarbene Plastikverkleidungen die ganze Fahrt über Geräusche machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Am schlimmsten werden allerdings die Nachrichten sein, die die Menschen tausendfach in Urlaubsorten verschicken werden. Larmoyante E-Mails, in denen die Rede sein wird von "superspannenden Menschen" und "unglaublichen Kontrasten", davon, dass es "wahnsinnig aufregend" sei, aber natürlich auch "superanstrengend". Sowieso werden sehr viele Adjektiv-Komposita mit dem Bestandteil "super" gebildet werden in diesen E-Mails, "supertoll", "supercool", "superluxuriös", "superheiß". So viel super kann doch eigentlich nur dafür da sein, eine große, große Lücke zu stopfen, die eigentlich nicht da sein sollte. Reisen ist eine riesige Erlebnisgenerierungsmaschine, sie dampft und stampft und brummt, damit hinter all dem Lärm und Rauch und Super niemand sehen kann, dass es gar keine Erlebnisse gibt. Touristen erleben viel weniger, als sie glauben, meistens fast nichts, selbst wenn sie sich auf den beschwerlichen Weg nach Shanghai, Rio oder Alaska gemacht haben. Der großartige Philosoph Donald Davidson hat einmal geschrieben, alles sei wie alles andere, und zwar in unendlich vielen Hinsichten. Er meinte das vermutlich rein semantisch, also in Bezug darauf, dass die Raststätte Illertal-West und der Flughafen Hunsrück/Hahn neben vielen anderen zum Beispiel gemeinsam haben, beide nicht der Mond zu sein. Dass alles wie alles andere ist, in unendlich vielen Hinsichten, ist aber auch eine sehr hilfreiche Hypothese über die richtige, gänzlich unsemantische Welt, mit der wir täglich zu tun haben. Denn sie rückt diese seltsame, geradezu hysterisch betriebene Freizeitbeschäftigung Namens "Reisen" wieder ein wenig ins richtige Licht. Sie lässt die ganze Erzähllüge auffliegen: Nur weil einer irgendwo anders war, hat er noch lange nichts erlebt und erst recht nichts zu erzählen. Nur weil man sich jahrelang zusammensetzen musste, um die Urlaubsfotos der Verwandten anzusehen und sich zeigen zu lassen, wo jetzt genau noch mal das Hotel war ("Das Hotel war hier, also das ist jetzt nicht mehr drauf, aber ungefähr da") - nur deswegen ist Reisen noch lange nichts, das tatsächlich des nachträglichen Zusammensitzens wert wäre. Darum stelle sich bitte jemand am Autobahnparkplatz, in der Flughafenhalle oder im IC-Bordbistro auf eine Bierkiste und rufe allen zu, den Aufbrechern und Wegfahren, den Pauschaltouristen und den Individualreisenden: Bleibt zuhause! Bleibt doch einfach zuhause, zumindest dieses Jahr. Verbrennt nicht unnötig die letzten Rohstoffe dieses Planeten, lasst das Kerosin doch übrig, falls es mal jemand wirklich eilig hat. Sollen das CO2 doch die ausstoßen, die unbedingt müssen. Kühe können nichts dafür, dass ihr Methan das Klima verändert, ebenso wenig wie die Energiekonzerne, die nur düstere, willenlose Systeme des Kapitals sind. Doch euer Tourismus, der ist vollkommen willentliche Vernichtung aller Reserven, den könnte man auch sein lassen. Nicht zu reisen ist natürlich keine Lösung. Wer behauptet, dass Reisen einen Menschen immer noch schlauer, liebenswerter und menschlicher machen kann, dem soll man nicht widersprechen. Selbst Immanuel Kant, der sein Leben lang nur den gleichen Weg entlangspaziert sein soll, wäre doch ein noch größerer Philosoph oder zumindest ein besserer Freund oder Liebhaber gewesen, hätte er sein Königsberg einmal verlassen und in den Dschungeln Afrikas das vegetative Ebenbild seiner Sätze erblickt. Doch sind die meisten nicht bereit für Reisen, die diesen Namen verdienen. Wer nicht auf Anhieb fünf Dinge nennen kann, die ihn an der heimatlichen U-Bahn faszinieren, was will so jemand bei den Pyramiden in Ägypten? Was gäbe es da zu sehen für ihn, der doch schon zuhause nichts sieht? Nichts gäbe es. Wer achtlos an jedem Aufkleber, jeder technischen Neuerung, jeder Veränderung in seinem Lebensumfeld vorbeimarschiert, was will er auf den Inseln der Karibik? Ihm bleiben nur des Kaisers neue Kleider: Weil jeder sagt, wie schön der Urlaub war, wird auch er es sagen, denn er will nicht als der Depp dastehen, der nicht dazugehört. Solange Reisen dieses ungeheure, sich selbst aufrechterhaltende Lügengebäude ist, solange bitte zuhause bleiben. Es sollte also jeder, bevor er in die Ferne schweift, ins nahegelegene Gewerbegebiet fahren und dort seinen Blick schärfen. Autobahnraststätten, Flughäfen und Bahnhöfe sollten ihm nicht schnödes Mittel zum Zweck sein, sondern reizvolle Landschaften, die entdeckt werden wollen. Selbst am dunkelsten Ort, in der langweiligsten Landschaft der Welt muss es für ihn noch etwas Bemerkenswertes geben, und wenn es bloß die Dunkelheit oder die Langeweile ist. Wer so geschult ist, der reise. Er reise, wohin, wann und so viel er will, denn er kann sich sicher sein, dass er mit einer großen Tüte Erlebnissen zurückkehren wird, die nicht superirgendwas genannt werden müssen, damit sie erzählenswert sind. Es ist nämlich nicht nur alles wie alles andere, in unendlich vielen Hinsichten, es unterscheidet sich auch alles von allem anderen. Man muss aber genau hinsehen, um das zu bemerken. Oder man bleibt halt zuhause. Der Autor ist Verfasser des Buches Oh, wie schön ist Parkhaus 4, das sich mit der Schönheit des Nicht-Reisens befasst.

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