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Das Wort hat es halt auch nicht leicht. Mit seinem S und dem doppelten l klingt „Smalltalk", wie es aussieht: Nach Karrierewörtern wie Softskills und Selbstoptimierung, nach Glattbügelei und 16-Uhr-Afterworkpartys im Finanzamt. Wer Smalltalk mag, lebt vermutlich, wie es sich so gehört: er hat Visitenkarten und ein inniges Verhältnis zu seinem Lebenslaufdokument. Für alle, die sich über diesen Lebensstandard erheben wollen gilt deshalb: Verachte diese Konversationstechnik. Vermeide das ewig hilflose Hintasten zu einer hoffentlich okayen Unverbindlichkeitskonversation mit halbfremden Personen. Spotte lieber darüber!

Eine sehr verbreitete Form des Smalltalks ist deshalb die des Anti-Smalltalks: „Uuuuund was machst duuu so, höhö?", „Naaa, blödes Wetter heut, ne, harr harr!", „Nein, ich meine wo kommst du URSPRÜNGLICH her, hähähä?", „Wie geht's? - Jaja, muss ja, hahaha!" Und obwohl dies eigentlich zum Zweck haben soll, den Smalltalk von seiner Dämlichkeit und seinem Anspruch, stets alles richtig und brav gemäßigt zu machen, zu befreien, bewirkt es doch das Gegenteil: Die heimliche Erwartung an ein gelungenes Smalltalk-Gespräch ist so hoch wie nie zuvor. Mein von-Smalltalk-genervt-sein-Pegel jedenfalls steigt - weil ich mir immer bewusster darüber werde, wie sehr sich die Fragen wiederholen, wie unbeholfen miteinander hantiert wird und wie gut man all das verspotten kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich entwickle eine eremitenhafte Antihaltung auf Veranstaltungen und obwohl ich mich damit entlasten will, belastet es mich. Auf Partys, Geburtstagen, Weihnachtstreffs stelle ich mich gleich zu den mir wohl Vertrauten, um bloß nicht in Verlegenheit zu geraten. Ich verweigere das Risiko, etwas Fades zu sagen oder mit dem vorsichtigen Andockversuchen beim Gegenüber erfolglos zu bleiben. Unter dem Deckmantel des Ich-bin-halt-ein-selbstbewusster-Rebell-weil-ich-mich-der-gesellschaftlichen-Etikette-entziehe, werde ich so im Grunde zum allerschlimmsten Fehltrittvermeider. Ich weiß zu genau, was blöd ankommen könnte: Fragen nach der Befindlichkeit sind oberflächlich, amerikanisch und scheinheilig, Wetter- oder Saisonthemen deuten auf eine graue Persönlichkeit, Fragen zu Beruf, Ausbildung, Karriere sind Anzeichen eines vergleichsüchtigen Opfers der vielbeschworenen Optimierungsgesellschaft.

Leider funktioniert das Prinzip Smalltalk aber genau so: Man hofft, über einige vielleicht unbeholfene, irgendwie banale einleitende Sätze zu einem irgendwie angenehmen Gespräch zu gelangen. Vermeidet man diese Brücken aus Angst, verlacht zu werden oder als unoriginell abgestempelt zu werden, was bleibt dann übrig? Wie soll man das Interesse an einer anderen Person denn einleiten, wenn man es vor lauter Furcht, daneben zu tappen, gar nicht mehr versuchen mag?

Das Schlimme ist: Bevor ich den Begriff „Smalltalk" auf dem Schirm hatte und all das, was man dabei nicht darf um nicht platt rüberzukommen, war ich gut darin, mit irgendwelchen Leuten reden. Ich fand es immer irgendwie okay, jemanden Halbbekannten auf der Straße zu treffen oder bei einer Feier irgendjemandem irgendetwas über mich zu erzählen, irgendetwas über andere zu erfahren, daran entlang ein paar Lästereien über die Welt im Allgemeinen auszutauschen und auch mal das Wetter mit einzubeziehen. Dass dabei nur selten die originellsten Gespräche herauskamen sondern oft nur recht egale, höfliche Lacher, war okay. Immerhin: Ein paar freundliche Momente, ein paar kurze Kontaktaufnahmen zu einem anderen Menschen, noch ein Bier, ein kurzes Zunicken, eine freundliche Wahrnehmung. Ich habe das nie groß bewertet. Wenn ich in einer Gesprächssackgasse stand, nahm ich meine Flasche und zog weiter, was soll's, irgendwann ergibt sich inhaltsmäßig dann auch wieder mehr, dachte ich. Aber selbst wenn nicht: Was ist denn so schlimm daran, gemeinsam festzustellen, dass das Wetter nervt?

Natürlich wäre es schön, nicht vierundachtzig Mal am Abend auf die Frage „Was machst du so" antworten zu müssen. Aber man hat ja auch die freie Wahl zu erwidern was man möchte. Niemand erwartet ein Runterrattern des Lebenslauf, ein ewig gleiches Antworten auf dieselben Fragen. Man kann die Antwort so vage oder so präzise formulieren, wie es einem eben gerade gefällt und man kann das Gespräch sonst wohin lenken – wenn Smalltalk nicht funktioniert, ist nämlich meistens nicht nur eine Person schuld, sondern beide.

Vielleicht ist es mit „Smalltalk" aber auch wie mit „Flirten". Will man nie etwas mit zu tun gehabt haben, wenn man merkt: Das, was ich gerade mache, gilt als vielbesprochene und mit vielen Regeln und Erwartungen beladende Kulturpraxis. Dadurch wird unnatürlich, standardisiert und veralberungspotent, was vorher einfach so da war.

Was ist dann die Lösung? Bestimmt nicht die Verweigerungshaltung, nur um dann mit dem Gefühl von Weltmüdigkeit nach Hause zu gehen, weil einem alles so durchschaubar und bereits besprochen vorkommt. Ist das Meiste eh. Nicht nur das Wetter, sondern auch die gesamte Tragik und die gesamte Merkwürdigkeit des Lebens, die Witze und die Verweigerungshaltungen. Das ist zwar ziemlich desillusionierend, aber beim zweiten Mal drüber Nachdenken eigentlich auch ziemlich entspannend.

Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Marie-Claire Nun

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