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"Äh, der Dings, wie heißt er noch?"

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Eine Party. Ein Mensch, nennen wir ihn Sven. Und ich.  Wir kennen uns noch nicht, aber wir reden jetzt miteinander, weil wir eben beide hier sind. Und weil wir, wie wir festgestellt haben, beide an der gleichen Uni waren. Das Gespräch läuft folgendermaßen ab:  

Sven: „Ah, cool, ich hab auch mal ein Übersetzungsseminar als Wahlpflicht belegt! Bei wem hattest du deins?“
Ich: „Äh, hier, dingens...ich komm nicht mehr drauf. So ein Kleiner?“
Sven: „Schmidt?“
Ich: „Mh, kann sein...“
Sven: „Bräuling?“
Ich: „Ich weiß es nicht mehr...“
Sven: „Egal. Aber du warst doch dann mit der Sabine Schildhauer im Bachelorjahrgang, oder?“
Ich: „Ja.“
Sven: „Was macht die denn jetzt?“
Ich: „Mh, also, die hat das mal erzählt, irgendwas mit...äh...Personalentwicklung? Ich weiß grad nicht so genau...“
Sven: schweigt.  

Damit ist der Gesprächsstart verbockt und Sven wird gleich irgendwann sagen, dass er sich noch was zu Trinken holt oder mal zur Toilette muss, und sich danach zu irgendjemandem stellen, der sich gemerkt hat, was Sabine Schildhauer jetzt macht.  

An dieser Stelle eine kurze Klarstellung: Ich bin kein Smalltalk-Verächter. Wirklich nicht. Ich finde es gut, dass es ihn gibt und dass die Germanistin Katja Kessel, die zu Smalltalk promoviert hat, ihn „soziales Lausen“ nennt. Ich lause gerne, ich mag es unverfänglich und ich mag soziales Miteinander, meistens zumindest. Ich will mit Sven plaudern, ganz dringend! Aber ich schaffe es nicht.  

Die Szene mit Sven habe ich mir natürlich ausgedacht. Aber sie ist ein Beispiel für etwas, das mir immer wieder passiert: Ich will ein Gespräch führen, aber die dafür nötigen Informationen sind mir leider entfallen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich kann mir Smalltalk-Details einfach nicht merken. Woher jemand kommt. Was jemand macht. Wie jemand heißt. Wie alt jemand ist. Ich habe auch Probleme mit: was jemand anhatte, wie er oder sie die Haare getragen hat und wann wir uns das letzte Mal gesehen haben. Das führt dazu, dass ich Fragen meines Gegenübers nur mit Gestammel oder langen Denkpausen beantworten kann.  

Wenn man sich Smalltalk-Fakten nicht merken kann, wirkt man schnell desinteressiert. Bisweilen sogar arrogant. Und Desinteresse und Arroganz sind die Lösemittel des sozialen Miteinanders. Und selbst, wenn ich jetzt sage „Ich bin nicht desinteressiert, ich habe bloß ein Gehirn wie ein Sieb“, wird sicher jemand denken: „Klaro, und jetzt sagt sie gleich, wie gut sie sich dafür abgefahrene Geschichten und komplizierte Sachverhalte merken kann und will eigentlich nur damit angeben, weil ihr Smalltalk zu profan ist.“ Wäre es doch so! Könnte ich das Gespräch doch wenigstens mit abgefahrenen Geschichten retten! Aber nein. Erst weiß ich nicht, was Sabine Schildhauer jetzt macht, und dann kann ich nicht mal die krasse Geschichte mit Sabine Schildhauer liefern, wie sie mal was mit einem Professor hatte, weil ich leider nicht mehr weiß, mit welchem.  

Immer, wenn das passiert, wenn ich wieder einen Smalltalk erstickt habe, sehe ich im Gesicht des anderen nicht etwa Wut oder Augenrollen oder einen berechtigten Ausdruck, der in etwa „Na gut, wenn sie nicht will, bitte!“ sagt. Sondern ich sehe: Enttäuschung und so eine gewisse Einsamkeit, ein Sich-allein-gelassen-Fühlen. Und dann fällt mir wieder ein, worauf Smalltalk in seinen Grundfesten basiert: auf einem Zusammenspiel, auf Erwartungen und dass sie von beiden erfüllt werden. Klar, Smalltalk ist oft auch nur „Mich nervt es immer krass, dass die Bahn so oft Verspätung hat“-Gerede, dafür muss man sich nichts merken (außer, dass die Bahn oft Verspätung hat). Aber es ist eben auch ein Spiel mit Fragen, Antworten und Gegenfragen, die auf Fakten abzielen oder basieren. Smalltalk mit jemandem, der sich nichts merken kann, ist wie Tennisspielen mit jemandem, der noch nie einen Schläger in der Hand hatte. Er wird fast nie den Ball treffen und wenn doch, dann schlägt er ihn ins Netz. Und der andere hat dann zwar eigentlich gewonnen – aber es ist eben auch schrecklich enttäuscht, weil er ja dadurch auch nicht zum Zug kommt, weil ihm jeder Spaß verwehrt bleibt.  

Ich glaube, nicht smalltalken zu können, egal aus welchen Gründen, wird gerne als Ausrede benutzt, um sich davor zu drücken. Aber weil sich davor drücken bedeutet, andere traurig auf dem Tennisplatz stehen zu lassen, darf man keine Ausreden vorbringen. Man darf nicht einfach sagen, dass man leider nicht smalltalken kann, weil man sich nichts merken kann, und dass das gar nicht so schlimm ist. Es ist schlimm. Und deswegen muss ich üben. Mein Gehirn trainieren und mir im schlimmsten Fall Notizen machen. Sabine „Schildhauer: Trainee im Bereich Personalentwicklung bei...“ Weiß ich grade nicht mehr. Aber ich finde es raus, versprochen!

Text: valerie-dewitt - Illustration: Sandra Langecker

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