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Zum Baby-Lob sollte man niemand nötigen
Als ich auf die Welt kam, war ich gelb. Nicht leicht käsig, wie die meisten Säuglinge, sondern so gelb wie ein Industrie-Gouda. Das sieht man auf Kinderfotos noch sehr gut. Halleluja, war ich hässlich! Wenn ich heute anderen Menschen meine Babyfotos zeige, können sie sich ähnliche Kommentare nicht verkneifen. Eine Katastrophe, wenn man sich vorstellt, sie hätten damals meinen Eltern gegenüber so reagiert.
Denn was frisch gebackene Eltern hören wollen, ist Lob. Nichts anderes. Sie glauben, dass die Augenfarbe, die kleinen Händchen und Füßchen, das Gepupse und Geglugger ihrer Neugeborenen das Niedlichste auf der Welt ist. Zum Beweis bedrängen einige von ihnen ihre Freunde mit Babyfotos, Videos oder gleich einem Live-Eindruck des Objekts der Schöpfung selbst. Ich als Freundin soll es bestaunen, auch beim zehnten gleichen Foto „oh wie süß!“ ausrufen und nicht genug davon bekommen, den Schreihals im Arm zu halten.
Und selbst diejenigen Eltern, die maßvoll mit Fotos umgehen, bringen mich irgendwann in die Situation, das neue Menschlein begutachten zu müssen. Irgendwann lernt man es kennen, sieht es zum ersten Mal. Und hat dann das Gefühl, etwas sehr Nettes über das Kind sagen zu müssen. Mit dem Stolz und der Begeisterung der jungen Eltern irgendwie gleichziehen zu müssen, indem man das Kind bewundert, seine Augen, sein Lächeln, seine allgemeine Putzigkeit lobt.
Man kann es diesen Eltern nicht übelnehmen. Sie sind wie frisch Verliebte, die alles durch eine rosa Brille sehen. Mit dem Unterschied, dass die meisten frisch Verliebten mittlerweile verstehen, dass es nerven würde, wenn sie bei einem Abendessen mit Freunden die ganze Zeit heftig knutschen. Viele junge Eltern aber vergessen, dass nicht jeder ihr Glück zu 100 Prozent nachspüren kann. Und dass alle anderen im Freundeskreis keine elterlichen Glückshormone produzieren, die permanent Begeisterung ausschütten.
Spätestens nach dem dritten Babyfoto habe ich also meistens das Gefühl, alles gesehen zu haben, was so ein Säugling zu bieten hat: Baby schläft, Baby ist wach, Baby zeigt seine kleine Hand. Und mit der Wiederholung dieser Bilder schwindet auch mein Repertoire an entzückten Ausrufen. Irgendwann kann ich nur noch müde „ah ja, auch süß“ kommentieren und hoffen, dass der begeisterte Papa nicht merkt, dass ich in Gedanken schon bei dem Theaterstück bin, das ich heute Abend sehen werde. Ein Event mit ganzen Menschen, die sprechen, handeln, denken.
Neugeborene können erstmal gar nichts. Umso schwerer fällt es mir, sie zu loben
Damit meine ich nicht, dass Kinder nicht auch sehr witzig sein können, wenn sie anfangen, eigenständig Dinge zu tun. Aber so richtig frisch Neugeborene können erstmal gar nichts. Und, mal ganz nüchtern betrachtet: Sie sind auch oft nicht wirklich schön. Da ist ganz viel noch von der Geburt komisch verformt, sie haben Milchschorf auf dem Kopf und generell optische Überschneidungspunkte mit Nacktmullen.
Was ja erstmal gar kein Problem wäre. Neugeborene müssen nicht wunderschön sein. Es reicht, dass sie gesund sind. Und sie haben ja noch ein ganzes Leben Zeit, um ein bisschen ansehnlicher zu werden. Aber leider scheint man sich irgendwann mal drauf geeinigt zu haben, dass das geleugnet und jedes Neugeborene sofort zum schönsten Wesen der Welt erklärt werden muss.
Mir fällt es aber sehr schwer, etwas zu finden, was ich loben kann. Und außerdem ist es doch sowieso super oberflächlich, nur das Aussehen zu kommentieren. Das ist bekanntlich eine reine Glückslotterie. Stichwort Gouda. Und außerdem sollte das Aussehen eh keine nennenswerte Rolle spielen. In vielen Teilen der Gesellschaft ist das schon angekommen. Eltern sehen das aber nicht. Sie sind befangen. Sie wollen nicht wahrhaben, was uns das Leben lehrt: dass nicht alle Babys schön sind und dass auch nicht aus jedem Entlein ein Schwan wird.
Warum machen wir also bei Babys, die wirklich noch am allerwenigsten für ihr Äußeres können, eine Ausnahme und nehmen ihr Aussehen so wichtig? Warum bringen Babys diese Aura mit sich, die nichts als Konsens zulässt? Warum ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich unsere Gesellschaft einigen kann, dass Babys süß und schön sind?
Wir sollten das lassen. Wir sollten den Babybegeisterungsimperativ abschaffen. Und uns stattdessen einfach viel mehr darüber freuen, wenn bei der Geburt alles geklappt hat und alle gesund aus dem Krankenhaus gekommen sind. Und ich plädiere dafür, dass Schweigen auch okay sein muss. Es muss in Ordnung sein, auch mal über andere Dinge zu sprechen oder nur jedes zweite Bild anschauen zu wollen. Eltern, die dafür sensibel sind, können sich sicher sein, dass ein Baby-Lob von mir dann wirklich von ganzem Herzen kommt.