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Meine Hassliebe zu Lifehacks

Illustration: Daniela Rudolf

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Aus beruflichen Gründen habe ich vor einiger Zeit diverse Newsletter abonniert, aus denen es mir jeden Morgen in Großbuchstaben entgegenbrüllt. „Tu dies, tu das, tu jenes – und dein Leben wird sich für immer zum Guten wenden!“ Meist gehen diese Lifehacks so oder so ähnlich: „How to become a Morning Person and stay one – in 11 steps (with pictures)“ oder "Seven things that happen when you stop eating sugar“ oder auch „Lifehack – wie man ein Brot gleichmäßig mit Wurst belegt“. 

Ich weiß ziemlich genau, wie man sein Brot mit Wurst oder Käse belegt. Ich weiß auch, dass ich mir den Wecker stellen muss, wenn ich früh aufstehen will. Und ich weiß ebenfalls, dass man, um abzunehmen, weniger Kalorien zu sich nehmen muss, als man verbrennt.

Und trotzdem falle ich immer wieder darauf herein – und klicke auf die Lifehack-Links in der Hoffnung, mit diesem einen kleinen Tipp mein Leben zum Besseren wenden zu können. Auch wenn ich aus eigener Erfahrung genau weiß, dass noch nie irgendein Lifehack irgendetwas in meinem Leben dauerhaft besser gemacht hätte. Und ich habe einige ausprobiert.

  • Der Tipp mit den Cocktailtomaten, die man zwischen zwei Teller pressen und dann mit einem scharfen Messer auf einmal durchtrennen soll? Guter Rat, wenn man Bock auf eine epische Sauerei und unschön zerquetschte Tomatenpampe hat.
  • Der geheime Geheimtrick, wie man sich dazu bringen kann, frohgemut zum Sonnenaufgang aus dem Bett zu hüpfen und sein Tagwerk tatkräftig schon vor zehn Uhr erledigt zu haben? Heißt aufstehen, wenn der Wecker klingelt und funktioniert, wenn man selbstdiszipliniert am Abend vorher zum Sonnenuntergang ins Bett gegangen ist. Was mir nur selten gelingt.
  • Die Sache mit dem Sport? Funktioniert, wenn man ihn macht. Man muss ihn halt nur machen, und da hilft einem kein einziger Lifehack.

Besonders schön sind auch immer wieder die Behauptungen von selbst ernannten Lifehack-Experten, man hätte sein Leben lang irgendetwas falsch gemacht und werde nun endlich aus der selbst verschuldeten Umnachtung erweckt. Eine Banane zum Beispiel, war eine Zeitlang immer wieder zu lesen, schäle man in Wahrheit vom unteren Ende her. Begründung? Fehlanzeige. Aber die Affen machen es, also muss es stimmen.

Der größte Anteil von Lifehacks ist allerdings derart offensichtlich, dass jeder Menschen, der nicht völlig verblödet ist, von selbst darauf kommen kann. Fett zum Beispiel, versteckt sich laut diesem Lifehack gemeinerweise häufig in Butter, Öl oder Mayonnaise. Weshalb man diese nur sparsam einsetzen solle, wenn man weniger Fett zu sich nehmen möchte.

Lifehacks sind sehr verführerisch: Sie versprechen uns eine simple Anleitung, mit der wir die ganzen langen, beschwerlichen Wege zum Glück abkürzen – und mit wenig Mühe, Arbeit oder Schweiß das ersehnte Ergebnis erreichen können. Und das ist besonders dann verheißungsvoll, wenn man eigentlich genau weiß, was man tun müsste, um sein Ziel zu erreichen. Und dass das fast immer eben genau die drei Dinge beinhaltet: Mühe, Arbeit und Schweiß.

 

Ganz besonders verführerisch sind solche Lifehacks, wenn sie personalisiert sind. Wenn also berühmte und erfolgreiche Menschen zum Beispiel erzählen, wie sie ihren Tag strukturieren, um effizienter zu arbeiten. Oder wie sie ihren Sonntagabend gestalten, um leichter in die Arbeitswoche zu finden. Das lesen wir ganz besonders eifrig, weil wir hoffen, dass für uns ein Krümel der Erkenntnis vom Tisch dieser glorreichen Menschen abfiele, auf dass etwas von ihrem Glanz auf uns abfärbe. Es ist sicher nicht dumm, sich anzuschauen, wie erfolgreiche Menschen ihr Leben strukturieren. Aber man sitzt einem Trugschluss auf, wenn man glaubt, man würde genauso erfolgreich wie sie, wenn man nur ihren Tagesrhythmus kopiert.

 

Und dann gibt es da noch eine Spezial-Kategorie der Lifehacks: Wenn Prominente ihre Lebenshilfe-Kästlein auspacken. Säulenheilige dieser Profession ist die amerikanische Schauspielerin Gwyneth Paltrow, die einen wöchentlichen Newsletter namens „Goop“ verschickt (selbstverständlich habe ich den ebenfalls abonniert), in dem sie im Plauderton erzählt, welche neuesten Gesundheits-, Lebens- und Beauty-Geheimnisse sie gerade für sich entdeckt hat. Und dabei propagiert sie zum Teil Ansichten, die zumindest fragwürdig sind. Der kanadische Anwalt Tim Caulfield hat es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche Mythen, die Paltrow und ihre Brüder und Schwestern im Geist verbreiten, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. In seinem Buch „Is Gwyneth Paltrow Wrong About Everything?: How The Famous Sell Us Elixirs of Health, Beauty & Happiness“ versucht er, der Frage nachzugehen, warum so viele Menschen selbsternannten Experten wie Paltrow Glauben schenken und völlig kritiklos auch noch die wildesten „Therapien“ akzeptieren, solange sie aus Paltrows schönem Mund kommen.

 

Zwei Ursachen hat Caulfield für diesen Trend ausgemacht: Zum einen gibt es in der Bevölkerung ein großes Misstrauen gegenüber der Wissenschaft an sich. Viele Menschen glauben, dass die Medizin und Forschung von der Pharmaindustrie und großen Unternehmen gekauft ist und dass Studienergebnisse vor allem dann veröffentlicht werden, wenn sie den Geldgebern ins Geschäft passen. Einander widersprechende Studienergebnisse oder eine unklare Faktenlage sind für solche Menschen Beweis, dass man Wissenschaftlern keinen Glauben schenken darf. Prominenten wie Gwyneth Paltrow dagegen formulieren äußert selten Zweifel oder Unsicherheiten, wenn sie den neuesten Gesundheitstrend verkünden, was paradoxerweise von vielen Menschen als besonders vertrauenswürdig wahrgenommen wird.

 

Der andere Grund für den Erfolg von „Goop“ und Co. ist unsere Faszination mit der Celebrity-Kultur. Unsere Wahrnehmung von Schönheit, Gesundheit, Erfolg und Glück wird zunehmend von dieser Kultur beeinflusst, was wiederum die Industrie für sich nutzt, indem sie Prominente für ihre Produkte (schleich-)werben lässt. In den allermeisten Fällen sind diese Produkte von eher zweifelhafter Qualität und Wirksamkeit. Früher hätten die Marketing-Manager vielleicht Werbezeit auf einem Trash-Sender wie QVC gebucht. Heute können sie sehr viel effizienter und preisgünstiger ein Millionen-Publikum erreichen, indem sie zum Beispiel einem Mitglied des Kardashian-Clan ein paar zehntausend Dollar zahlen, damit es sich auf Instagram neben einem Diät-Drink räkelt.  

 

Gwyneth Paltrow hat dieses System erkannt und holt das Beste für sich heraus: Sie hat mehrere Kochbücher geschrieben und eine (hochpreisige) Kosmetiklinie entwickelt. Ihre Lebenshilfe-Website „Goop“ hat einen Webshop, auf dem man so gut wie alles kaufen kann, was Paltrow in ihren Newslettern empfiehlt. Gwyneth Paltrow verdient sehr viel Geld damit, anderen Menschen Ratschläge zu erteilen, die in keinster Weise wissenschaftlich fundiert sind. Das sollte man sich immer vor Augen halten, bevor man seine Vagina für teures Geld „dampfreinigt“, wie sie es unlängst empfahl.  

 

Womit wir zum einzigen "Lifehack" kommen, der wirklich etwas bringt: Wenn man sich ein Ergebnis wünscht, sollte man entsprechenden Maßnahmen ergreifen, um es zu erreichen.

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