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Warum wir Deutschfans lieben
„Have you not all cups in your cupboard anymore?" - "He goes me on the alarm clock!" - "I believe my pig whistles!“ Diese und ähnliche Sprüche stehen seit Jahren auf Postkarten und Tassen und sollen zeigen: Ja, auch wir Deutschen sind selbstironisch und haben erkannt, dass es komisch sein kann, wenn man die eigenen Sprichwörter ins Englische überträgt. Aber eigentlich war der Witz schon verdaut. Irgendwann hat es sich einfach ausgelacht über diesen Übersetzungsspaß. Dachten wir.
Und dann kommen DIE wieder, diese Amis, die Verrückten, und finden das plötzlich auch lustig, dass wir nicht einfach sterben sagen, sondern „someone gave the spoon away“. Dass unser „Ass on groundice“ geht, wenn wir Angst haben.
Und es wird noch besser: Online beneidet man uns, die Dichter und Denker, sogar darum, dass wir Wörter haben, um die sich die englische Sprache lange herumschlängeln muss. In englischsprachigen Youtube-Videos werden Liebeserklärungen an die deutsche Sprache gemacht, Seiten wie Buzzfeed.de präsentieren die nützlichsten und schönsten Ausdrücke der deutschen Sprache und auf Facebook und Co. teilen Amerikaner unsere Weisheiten und übertragen sie ins Englische.
„Fernweh“ beschreibt Samanthas Gefühl perfekt, „Fremdschämen“ ist genau das Wort, das Anthony immer gefehlt hat und „Actions say more than words“ beweist den Amerikanern das ungemeine Denkvermögen der Deutschen – die haben den Spruch schließlich erfunden.
Und wir, die all das schon lange kennen? Sind schwer beeindruckt. Unsere verrufene Sprache, die sonst im Internet nur in Form eines gebrüllten „SCHMETTERLING!“ oder „KUGELSCHREIBER!“ zu finden war, wird endlich wertgeschätzt.
Ich bin so ein Mensch. Ich freue mich, wenn meine Freunde aus Asien oder Amerika Artikel teilen, in denen steht, wie schön die deutsche Sprache doch eigentlich ist. Ich bin gerührt, dass die Welt mich nicht mehr nur mit „GUTTÄN MORGÄN!“ anbrüllt, wenn ich verrate, aus welchem Land ich komme. Sie begrüßen mich jetzt mit regulierter Lautstärke und einem „Hallo, wie geht’s?“
Die Sprache ist ein Teil von uns – der auch gemocht werden will
Dana Newman ist eine amerikanische Youtuberin und lebt in München. Auf ihrem Kanal „WantedAdventure“ werden Videos über ihre Erfahrungen in Deutschland hunderttausendfach geklickt. Sie weiß, dass ich nicht alleine bin mit meiner Begeisterung für den viralen Erfolg meiner Muttersprache. Denn die Videos, in denen sie über die deutsche Sprache, ihre Lieblingswörter wie „Brustwarze“ und „Verschlimmbessern“ und die Schwierigkeiten beim Lernen spricht, werden auffällig viel angeschaut, geteilt und kommentiert – mehrheitlich von deutschen Zuschauern.
Das finde ich bemerkenswert und frage mich: Warum gibt es denn nun so viele Deutsche, die sich vor den Laptop klemmen und stundenlang durch Seiten scrollen, in denen ihre eigene Sprache besprochen wird? Die dann fragen, wer „hier alles noch deutsch“ ist, oder die dann als Person 93 immer noch „ich (Emoji freier Wahl)“ unter eben diese Frage schreiben.
Dr. Bernadette Kneidiger-Müller, Soziologin an der Universität Bamberg, hat sich in ihrer Forschung mit nationalen Identitäten beschäftigt und dabei auch untersucht, wie diese online konstruiert werden. Sie weiß, dass die Sprache ein zentraler Teil unserer nationalen Identität ist – und dass die wiederum nicht nur davon abhängt, was wir selbst konstruieren. Auch das Fremdbild ist Teil unseres „Ich“ oder „Wir“. „Wenn sich fremdsprachige Personen also mit deutschen Wörtern und Ausdrücken beschäftigen, diese bewerten und kommentieren, dann werden ihre Bewertung und Kommentare zu einem Teil des Fremdbildes unserer Nation und damit Teil unserer nationalen Identität“, sagt sie.
Im Grunde bedeutet das: Wir sind so begeistert, weil wir uns selbst besser fühlen können, wenn ein Teil unseres „Ichs“ von den anderen gemocht wird. Wir werden endlich, nach Jahrzehnten, in denen wir vornehmlich mit Hitler in Verbindung gebracht wurden, akzeptiert, wie wir sind. Die ganze Welt – so stellen wir uns das zumindest vor – würde jetzt gerne beherrschen, was wir schon lange können: unsere Muttersprache.
Bei all der Bestätigung ergibt es auch Sinn, dass man sich schließlich noch dazu hinreißen lässt, Verbesserungsvorschläge zu geben: „Du hast noch einige Wörter wie „Fahrstuhl“ und „Kopfhörer“ vergessen. Die klingen auf Englisch auch lustig!“ – so oder so ähnlich liest man es immer wieder in den Kommentarspalten. Die Deutschen wollen helfen, das Bild, das sich Menschen aus anderen Nationen von ihnen machen, möglichst realistisch zu gestalten.
Der Witz an der Sache
Ob das der einzige Grund dafür ist, dass jemand unter ein Youtube-Video kommentiert: „Haha, Muckefuck ist gaaar kein gebräuchliches Wort! Hat man doch nur in der DDR getrunken. Hier in Bayern interessiert das außerdem keinen“?
Ich interpretiere das „Haha“ als Gegenargument und rufe Dr. Kareen Seidler an. Sie arbeitet für das Deutsche Institut für Humor in Leipzig und ist dort für Wissenschaft und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Das ist ähnlich wie bei Scherzfragen unter Grundschülern. Humor kann nämlich auch auf einem Überlegenheitsgefühl basieren“, erklärt sie mir. „Wer die Antwort nicht schon vorher kennt, kann die Frage gar nicht richtig beantworten. Trotzdem freuen sich die Fragensteller immer wieder, wenn die anderen nicht auf das kommen, was sie schon wissen.“
Wir lassen also – absurderweise – raushängen, wie außerordentlich gut wir unsere Muttersprache beherrschen, um die Freude am Witz zu vergrößern.
Dabei müsste die Tatsache, dass englischsprachige Menschen mit unseren Sprichwörtern hantieren, an sich schon lustig genug sein. Zumindest glaubt Seidler, dass man die Komik darin nur schwer übersehen kann: „Dahinter steckt das sogenannte Inkongruenz-Prinzip. Das heißt konkret: Wir finden lustig, was wir so nicht kennen, was uns überrascht, was nicht in unser Weltbild passt.“
Die englischsprachigen Menschen lachen also über Wörter und Sätze, die nicht in ihre gewohnte „Sprachwelt“ passen – und wir lachen wiederum, weil sie unser Altbekanntes so neu und ungewohnt, teilweise absurd machen. Wenn wir dazu noch ein Video sehen, in dem die Wörter ein bisschen schief und krumm ausgesprochen werden, sind wir, die Dichter und Denker, doppelt verzaubert: „Haha“, so viele verrückte Dinge, die unserer Muttersprache da passieren! Die passieren ja ein bisschen auch uns.