Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Spontaneität ist nur eine billige Ausrede

Foto: birdys photocase

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Gehen wir am Samstag zusammen zum Flohmarkt? Was könnten wir Lukas zum Geburtstag schenken? Die Antworten, die ich auf solche Fragen bekomme, sind meistens ziemlich ähnlich: "Hmm, ich schreib' dir noch mal." Oder: "Lass uns noch mal telefonieren." Bloß nichts jetzt sofort entscheiden. Vor allem, wenn sich die Entscheidung auf die Zukunft auswirkt. Oder aktuell Hirnleistung braucht.

Wir haben uns daran gewöhnt, bis zum letzten Moment flexibel zu bleiben. Uns nicht festzulegen. Warum können wir nicht mittwochs sagen: "Ich hol' dich Samstag um zehn bei dir zu Hause ab, dann fahren wir zum See."? Man kann ja trotzdem die Uhrzeit noch um zwei Stunden nach hinten verschieben, wenn man am Freitag auf einer Party versackt. Aber so läuft es nicht. Wir verabreden uns erst gar nicht.

"Wir schreiben noch mal" bedeutet am Ende dann meistens: Samstagmorgen werden eilig Nachrichten hin- und hergeschickt. Um 14 Uhr brechen dann alle endlich auf. Einer, der sich noch mal melden wollte, ist gar nicht mehr erreichbar. Irgendwer schafft es nicht pünktlich. Am See geht es dann genauso weiter: Anstatt dem Zuspätkommer einfach einen Treffpunkt durchzugeben, schauen alle ständig aufs Handy, ob die verspätete Person sich doch noch gemeldet hat. Weil sie ja gesagt hat: "Ich ruf dann noch mal an, wenn ich vor Ort bin, dann könnt ihr mir ja euren Standort durchgeben." Ist sie dann tatsächlich auch noch am See eingetroffen, tauscht der Rest schon wieder die nächsten Nachrichten mit potenziellen Abendplanungskandidaten aus:

"Heute Abend Biergarten?"

"Ja, hätte schon Bock."

"Okay, lass uns später noch mal telefonieren."

Beim vergangenen Familiengeburtstag habe ich meine Cousine kaum gesehen, weil sie den Partyabend mit ihrer Mädelsclique planen musste. Der letztendlich nie stattfand. Sie konnten sich nämlich so lange nicht festlegen, bis der letzte Bus weg war.

Das Interessante daran: Der erste Impuls – zu denken, man sei für diese Menschen eben nur die zweite Wahl, weshalb sie die Zusage zurückhalten, bis garantiert nichts Besseres in Aussicht ist – stimmt nicht! Nicht immer zumindest. Sich im letzten Moment festzulegen hat nämlich meistens überhaupt keinen besonderen Grund. Wir tun es, weil es geht. Weil jeder jederzeit erreichbar ist. Genauso wie wir auch um kurz vor Mitternacht in den Supermarkt gehen, weil der nun mal so lange geöffnet hat.

Das Problem daran: Der mangelnde Wille, sich festzulegen, bringt niemanden weiter. Er nervt. Und er nervt noch mehr, weil er seine dummdreiste Rechtfertigung gleich mitbringt: Wer von anderen fordert, sich festzulegen, gilt schnell als Spießer. Es ist ja so cool und lässig, spontan zu sein. Man lässt sich durchs Leben treiben, kommt und geht, wann man will, und unterliegt keinen Zwängen wie festgelegten Uhrzeiten. Dabei geht es ja um etwas anderes: Wer sich nicht festlegen will, schiebt eine Ausrede vor, während er auf etwas Besseres wartet. Oder er ist einfach zu faul, um eine Entscheidung zu treffen.

Siehe Silvesterparty: Niemand hat im November schon etwas geplant. Aber natürlich weiß auch niemand, ob die tollere Party, das krassere Event, die verrücktere Location nicht doch noch kommt. Alle warten auf eine bessere Alternative. Das gibt der organisierenden Person zum einen das blöde Gefühl, zweite Wahl zu sein - und  an Silvester allein am reservierten Tisch oder auf den vorgekochten sieben Chili-con-Carne--Töpfen sitzenzubleiben. Zum anderen muss man auch einfach mal ehrlich zu sich selbst sein: Kommt wirklich immer noch die bessere Party? Wie oft war es denn wirklich sinnvoll, nicht fest zuzusagen?

Mir geht dieser ganze Hype ums Spontansein ganz schön auf die Nerven. Denn er hat wenig mit Lässigkeit zu tun, sondern viel damit, Entscheidungen aufzuschieben, bis sie einem vom Schicksal abgenommen werden. Deswegen: Legt euch doch einfach mal fest. Sagt zu, bucht euch einen Zug. Und hört verdammt noch mal damit auf, immer so spontan zu sein.

 

Was uns sonst noch so nervt:

  • teilen
  • schließen