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Plädoyer fürs Unterhaken
Neulich bei "Ku’damm 56", diesem ZDF-Dreiteiler: viel Getanze, viel schöner Stoff – und viel, viel Eingehake. Genau so war das wohl in den Fünfzigerjahren. Wenn man wohin ging, zu zweit, dann hat man sich eben untergehakt. Beim Mann, bei der Mutter, bei der besten Freundin. Und meine Oma macht das tatsächlich immer noch; wenn wir zusammen einkaufen, dann laufen wir aneinander festgemacht die Schaufenster ab. Und es fühlt sich immer wunderbar nach einer gemeinsamen Unternehmung an.
Daher die Frage: Warum um alles in der Welt macht das heute niemand mehr? Wieso sieht man niemanden unter Mitte sechzig, der seinen Arm in der Armbeuge eines anderen platziert hat?
Da kann man jetzt sagen, hm, einhaken, das fühlt sich irgendwie an nach Mann links, Frau rechts und nochmal eine Runde um den Block, bevor sie dann den Braten vorbereitet. Und der Mann geht immer außen, um sie vor dem Verkehr zu schützen. Klar, über jahrzehntealte Rollenbilder brauchen wir hier gar nicht zu reden . Niemand, der "Mad Men" gesehen hat, wünscht sich wohl die Zeit zurück, in der Frauen auf Kinder, Küche und Kirche reduziert wurden. Aber mit dieser vergangenen Zeit hat das Unterhaken an sich ja überhaupt nichts zu tun – im Gegenteil: Die Bewegung ist wunderbar zeitlos.
Buchstäblich: Wer sich einhakt, der läuft langsamer. Vier Füße, die im gleichen Rhythmus gleich große Schritte machen müssen, das klappt nicht immer gleich. Nicht optimal also für Kurzstreckensprints zur Tramhaltestelle, zugegeben. Aber sonst? Wir laufen viel zu oft viel zu schnell irgendwo hin – nur um dann 90 Sekunden früher im Supermarkt zu sein. Unterhaken ist nicht nur eine Spazierform; es ist die schönste Form der Entschleunigung.
Spazieren gehen ist super, das ist ja bekannt. Man ist draußen und unterwegs und schöne Dinge sieht man auch, meistens. Wenn man aber irgendwo hinmuss, dann denkt man über nichts davon nach. Und jetzt kommt der Unterhak-Trick! Das ist nämlich wie mit dieser unsichtbaren Zauberschrift mit dem Zitronensaft auf Papier früher, und das Einhaken ist dann das Bügeleisen . Erst sieht man nichts, und dann – zack! – ist plötzlich ganz viel da, was vorher nicht da war. Wenn man sich unterhakt, wird automatisch jede Strecke zum Spaziergang und jeder Weg, egal wie oft man ihn schon gelaufen ist, sieht irgendwie anders aus.
Außerdem ist das Unterhaken nicht nur was für Paare, wie das Händchenhalten zum Beispiel. Überhaupt gibt es wahnsinnig viel, was es sogar besser macht als Händchenhalten. Man kann sich problemlos aneinander festhalten, ohne gleich seine glitschigen Handflächen aneinanderpressen zu müssen. Und abgesehen davon kann man viel näher nebeneinander gehen und diese eiligen Menschen, die einem entgegenkommen und ganz unbedingt und ausschließlich zwischen einem durchlaufen wollen, haben keine Chance. Händchenhalter lassen meist im letzten Moment los, aus Angst vor Tumult. Einhaker hingegen sind eine Wand, die niemand trennen kann.
Wer sich einhakt, für den ist jede Strecke also ein gemeinsamer Streifzug – und so nah beieinander fühlt es sich gleichzeitig so an, als würde man sich zusammen aufs Sofa kuscheln. Beeindruckend, wie etwas so gemütlich sein kann, obwohl man gerade in Bewegung ist. Wie viel besser ist das also, als uninspiriert mit hängenden Armen nebeneinander herzulaufen!
Und hier der Beweis: Es gibt nämlich genau eine Situation, in der wir uns noch heute Einhaken. Nämlich, wenn wir uns einen Regenschirm teilen. Und das fühlt sich ja immer total heimelig an, finde ich. Liegt am Schirm, könnte man denken. Weil das ja fast wie ein Höhle ist. Kann sein, ja. Aber schon mal allein unter einem Regenschirm gelaufen? Genau. Kalt, nass, langweilig. Tadaa: Es liegt am Unterhaken.
Also bitte! Hakt euch wieder ein! Jeder Gang wird ein Ausflug, und wer würde nicht gerne dauernd Ausflüge machen? Das geht ja im Grunde mit jedem, der uns nah steht. Einfach einhaken, wenn du das nächste Mal mit deinem Mitbewohner zu Netto gehst. Und du wirst plötzlich sehen, wie schön doch die Häuserfassade gegenüber ist. Versprochen.