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Plädoyer für den Gutschein als Geschenk
Auf jeder Geburtstagsfeier gibt es diesen Meta-Moment. Das Geburtstagskind reißt das Geschenkpapier ab - oder entfaltet es wahlweise säuberlich in einem Akt völliger Selbstbeherrschung - und sieht das Geschenk. Das ist der Moment, in dem Freundschaften entschieden werden. Ein gutes Geschenk kann ein halbes Jahr Nicht-Melden wettmachen. Ein schlechtes ein halbes Jahr Nicht-Melden auslösen. Wer jetzt dem anderen nur einen Gutschein in die Hände drückt, kann auch gleich unter den Geschenketisch kriechen, um der Schande zu entgehen. Denn Gutscheine sind als Geschenk unter Freunden ähnlich beliebt wie der aus Körperpflegeprodukten zusammengestellte Geschenkkorb und die Flasche Sekt aus den unteren Reihen des Supermarktregals mit kunstvoll gefaltetem Geldschein dran - also eher weniger.
Ich finde: Gutscheine (und Gutschein-Schenker) haben diese Schmach nicht verdient. Denn sie sind - zum Beispiel in Form eines gemeinsamen Erlebnisses - ein Versprechen für die Zukunft! Mit dir möchte ich auch in einem Monat noch etwas unternehmen! Der Gutschein könnte gar als Repräsentant der Demokratie gelten, gibt er doch dem Beschenkten die Möglichkeit zu wählen.
Alles natürlich Unsinn. Es stimmt ja, wenig spricht für den Gutschein, mal abgesehen davon, dass er bei einem synchronen Auftreten von Konsumwunsch und Geldknappheit für den Empfänger ziemlich praktisch ist - oder bei Einfallslosigkeit für den Schenkenden. Genau so wenig spricht aber dagegen, Gutscheine an gute Freunde zu verschenken, gäbe es da nicht auf einmal diese Vielzahl von verqueren Regeln über das richtige Schenken, denen der Gutschein seine Unbeliebtheit verdankt. Denn der Gutschein war nicht immer so ein Fehlgriff. Mit zwölf rissen ihn deine Freunde dir noch aus den Händen – egal, ob Kino, Eisdiele oder Freizeitpark draufstand. Was ist passiert?
Das Problem fängt mit einer der zentralen Eigenschaften eines Gutscheins an: Gutscheine sind unpersönlich. Das macht auch der liebevoll vom Verkäufer in Schönschrift aufgemalte Name des Beschenkten nicht mehr wett. Genau das wird spätestens mit Beginn des 16. Lebensjahrs aber klammheimlich zur grundlegenden Anforderung an Geschenke unter Freunden. Ein Geschenk, das tatsächlich von Herzen kommt, ist nun mal persönlich. Oder selbstgebastelt. Alte Kindergärtner-Regel. Eine Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse, ein Insiderwitz aus längst vergangenen Tagen oder die Erfüllung der geheimsten Wünsche und Sehnsüchte des anderen muss dann schon drin sein. Dabei gilt: Je persönlicher das Geschenk, desto besser kennt der Geber den Beschenkten, desto besser ist die Freundschaft. Da kann im Vorfeld eines Geburtstags schon mal ein Wettbewerb entbrennen, wer den anderen am besten kennt und dieses jahrelang gesammelte Wissen über Geheimnisse, Wünsche und Vorlieben in ein möglichst personalisiertes und bedeutungsschwangeres Geschenk transformieren kann.
Der Moment des Auspackens ist ein Moment der Wahrheit. In bester Küchenpsychologen-Manier wird da vom Geschenk auf das große Ganze geschlossen und an dessen Persönlichkeitsgrad der Stand der Freundschaft abgelesen. Unschuldiges Opfer dieser Logik ist der Gutschein. “Schau, was wir alles gemeinsam erlebt haben! Und wie viel Mühe ich mir allein mit dem eigenhändig bestempelten Packpapier gegeben habe - so viel bist du mir wert”, sagt das selbstgebastelte und nostalgisch-verklärt kommentierte Fotoalbum. “Du bist so eintauschbar wie ich”, sagt der Amazon-Gutschein. Dieses Hochstilisieren der Bedeutung von Geschenken nervt. Ja, ein Freundschaftsbeweis ist schön. Aber nicht, wenn er erwartet und damit erzwungen wird.
Dabei will der Gedanke, der hinter dem Zwang zum Persönlichen steckt, doch eigentlich so erwachsen sein: Bei Geschenken soll es nicht um den materiellen Wert oder Nutzen (Vorteil Gutschein) gehen, sondern um die Idee dahinter und darum, dass sie von Herzen kommen. Nur, irgendwann ist mit diesem schönen Gedanken ein Geschenk zu etwas viel Größerem geworden. Die Geburt des Meta-Moments, der die Idee des von-Herzen-Kommens ad absurdum führt. Wer beim Schenken nur noch zeigen möchte (und muss), wie gut er den anderen kennt und wie viel Mühe er sich mit dem Geschenk gemacht hat, der möchte sich vor allem selbst profilieren. Der denkt an sich - und eben nicht an den Beschenkten.
Dem muss gegengesteuert werden. Um den Meta-Moment zu durchbrechen hilft nur eins: Gutscheine an die besten Freunde verschenken und damit ein Zeichen setzen! Weil gerade die ja wissen, wie sehr man sie mag - und dass ein Gutschein meistens eben nur ein Gutschein ist und kein Abgesang auf die gemeinsame Freundschaft. Und seien wir mal ehrlich: Manchmal kann man mit so einem Gutschein einfach mehr anfangen als mit der zehnten Fotoleinwand in Folge.