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Gesprungene Handydisplays
Und dann passiert es einem doch: beim Warten auf den Bus aus den kaltgefrorenen Händen gerutscht. Vom Tisch geschubst. Oder womöglich sogar draufgestiegen. Jetzt jedenfalls: Ein Sprung im Handydisplay, oben links oder unten links oder quer durch; groß genug für Spider-App-Witze der Umstehenden, und dafür dass einem das Herz kurz ein bisschen tiefer rutscht. Eigentlich ist das ja gar nicht so schlimm: Funktioniert ja noch alles, man sieht noch alles, halb so wild, also. Nur ein kleiner Riss, was soll’s? Aber halt! Da ist plötzlich ein Schmerz, dunkel und ganz tief drinnen, und was eben noch eine kleine Unachtsamkeit war, das tut jetzt richtig weh.
Dabei ist man doch sonst nicht so pingelig. Wenn man eine Katsche in die Lieblingstasse schlägt oder plötzlich ein Loch im Lieblingspulli ist, dann ist das ärgerlich und auch traurig, natürlich, aber es ist eben immer nur eine Katsche oder ein Loch. Nie mehr. Dann trinkt man weiter draus und zieht ihn weiter an, denkt ein, zwei Mal “schade”, aber das tut nie so richtig fundamental weh. Weil das eben nur Gegenstände sind und dieses Wissen immer im Kopf bleibt.
Und dann fällt das Handy runter und alles ist anders. Dann splittert das Display und es ist, als würde das eigene Herz mitsplittern (so schlimm, dass man sich tatsächlich zu solchen Formatradiopop-artigen Metaphern hinreißen lässt). Da liegt man dann nachts wach und blättert mit fahrigen Fingern durch die virtuellen Kataloge von Online-Werkstätten und zieht tatsächlich in Erwägung, siebzig Euro zu bezahlen, damit alles wieder gut wird und mit diesem “Reparabel-Reparabel”-Mantra auf den Lippen schläft man dann irgendwann ermattet ein. Dieses mulmige Gefühl, dieses furchtbar drückende, mulmige Gefühl, ist trotzdem noch da, wenn man morgens aufsteht – und begleitet einen die ganze folgende Woche. Irgendwie.
Denn wem schon mal das Handydisplay zersplittert ist, der weiß, dass dieser Schmerz mit dem durchschnittlichen Kaputt-Schmerz beinahe nichts zu tun hat. Der Splitterschmerz ist nicht nur stärker, sondern auch allumfassender. Wie Weltschmerz am ehesten. Und irgendwie gar nicht zu fassen. Das ist wie mit der Angst vor Clowns; niemand weiß so richtig, wo das herkommt, das vage, ungute Gefühl, und trotzdem ist es groß und übermächtig.
Und irgendwo in diesem Dahinsiechen in einem völlig irrationalen Elend kommt dann die Erkenntnis: Sich über ein kaputtes Display zu ärgern, das ist vor allem ein Über-Sich-Selbst-Ärgern. Auf mehreren Ebenen. Und die gesammelt sind es, was so weh tut. Ein Sich-Ärgern zunächst darüber, dass man das Handy nicht besser festgehalten hat. War doch klar, dass das vom Bücherstapel rutscht, wenn man es beim Herumlaufen in der Bibliothek darauf balancieren will – warum hat man sich das nicht früher eingestanden?
Ein Teufelskreis, ein schreckliches Unglück
Und dann folgt recht schnell ein Sich-Ärgern darüber, dass man sich so ärgert. Dass man einer solchen Kleinigkeit ein derartiges Gewicht beimisst. Weil einem in einem einzigen Riss durch eine winzige Glasplatte unsere ganze Abhängigkeit bewusst wird, unser ständiges Fixieren auf ein lächerlich kleines und – eben! – zerbrechliches Gerät. Dass es einen stört, obwohl noch alles so funktioniert, wie es soll. Weil man sich dann auch irgendwie eitel fühlt.
Man ärgert sich schließlich auch über den Schmerz selbst; dass das gesplitterte Display fast körperlich weh tut, fast wie ein verstauchter Knöchel oder ganz fürchterliche Kopfschmerzen zum Jahreszeitenwechsel. Und darüber, dass man tatsächlich darüber nachgedacht hat, für so ein funktional unwichtiges Detail Geld auszugeben, von dem man sich auch fünfzehn Falafelteller kaufen könnte. Ein Teufelskreis, ein schreckliches Unglück.
Das Interessante aber, und gleichzeitig die einzige Hoffnung: Nach einer Woche ist alles wieder in Ordnung. Man gewöhnt sich an den Anblick und die Splitter werden unsichtbar. Man isst seine fünfzehn Falafelteller und denkt nicht mehr an die wachgelegenen Nächte und den dumpfen Splitterschmerz. Das ist wie bei einer mittelfiesen Erkältung oder einem Korb vom Tinderdate: Erst ist es richtig, richtig schlimm und allgegenwärtig – und plötzlich ist es ganz weit weg.