Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Größter Vertrauensbeweis in Freundschaften?

Foto: Mr.Nico / jala / photocase

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Eigentlich gibt es nicht einen einzigen Grund, die Ferien in Bad Zwischenahn zu verbringen. Ein paar Häuser mit Reetdächern, eine Einkaufsstraße, die so verlassen aussieht wie jede Einkaufsstraße in den meisten Kleinstädten und ein Kurpark mit sehr hoher Rentnerdichte. Trotzdem wird es gleich ein bisschen aufregend. Ich bin nämlich hier, um Markus Eltern kennenzulernen. Wir kennen uns noch gar nicht so lange, aber dafür schon sehr gut. In den meisten Beziehungen ist das Rendezvouz mit den Eltern dann der natürliche nächste Schritt. Nur, dass Markus eben nicht mein Freund ist. Also schon mein Freund, aber nicht mein Freund-Freund. Umso größer der Vertrauensbeweis, mich mit nach Hause zu bringen. 

Zu Schulzeiten war es ganz normal, bei den Eltern der Freunde rumzuhängen, heimlich ihren Wein zu trinken und jede Ecke des Hauses als "sturmfrei" zu zelebrieren, wenn sie mal verreist waren. Heute lerne ich die Eltern meiner Freunde nur noch zwischen Tür und Angel bei Umzügen oder sehr betrunken auf den ersten Hochzeiten und Dreißigern kennen. Den Ort, an dem die meisten von uns die ersten achtzehn Jahre ihres Lebens verbracht haben, kennen wir eher selten. Was schade ist. Für Außenstehende kann dieser Ort nämlich wie ein kleines Museum funktionieren, das uns mehr zeigt, als jede Nacherzählung je reproduzieren könnte: Die Familienbilder an den Wänden, der leere Sandkasten im Garten, die Poster in dem Kinderzimmer, das fast noch so aussieht wie damals. Eine kleine Reise in die fremde Vergangenheit einer vertrauten Person.

Wir müssen das Auto nehmen zu Markus Elternhaus, der Bus fährt nur jede Stunde. Das war auch schon vor zehn Jahren so. Ich stelle mir einen pubertären Markus vor, der Freitagnacht diese Straße nach Hause torkelt und bekomme ein Gefühl dafür, was es bedeutet, seine Jugend auf dem Land zu verbringen. Die Eltern sind nett, Mittagessen gibt es um zwölf. Dazu Smalltalk. Es wird klargestellt, dass wir kein Paar sind. Im Gegensatz zum Partnerschafts-Pflichtprogramm sind wir eigentlich nicht darauf angewiesen, dass seine Eltern mich mögen, trotzdem bin ich ein bisschen nervös. Schließlich ist es eine kleine Gratwanderung herauszufinden, wie viel die Eltern über die Person wissen, die man selbst in einem ganz anderen Kontext kennengelernt hat. Mit der man selbst über alles reden kann. Können wir nach dem Essen rauchen? Wissen seine Eltern überhaupt, dass ihr Sohn raucht? Dass er überlegt, sein Studium abzubrechen?

Es erfordert viel Feingefühl, herauszufinden, welche Beziehung der Andere zu seinen Eltern hat

Auch bei mir zu Hause gäbe es Themen, die ich nicht unbedingt in der Familienrunde besprechen muss. Und Freunde, die ich aus diesem Grund nie mit nach Hause bringen würde. Nicht, weil ich sie nicht mag, sondern weil ich weiß, dass sie diesen Balanceakt einfach nicht hinbekämen. So wie meine Freundin Lara zum Beispiel, die eigentlich anders heißt und meinen Eltern beim letzten Osterbrunch nach einigen Eierlikör unbedingt erklären musste, wie das Berghain von innen aussieht – ohne zu wissen, dass Drogen in der Familie generell ziemlich verpönt sind. Oder die sehr, sehr politischen Freunde, die beim Abendessen die immer gleichen Grundsatzdiskussionen starten würden, auf die ich schon in unserer Stammkneipe keine Lust mehr habe.

Eigentlich ist mir vor meinen Eltern wenig unangenehm, aber diese uneindeutigen Momente sind es eben doch. Wahrscheinlich gar nicht so sehr, weil sie das Bild, das meine Eltern von mir haben, auf den Kopf stellen. Eher, weil sie mir selbst zeigen, was es noch zwischen früher und heute an Erwachsenwerden aufzuholen gibt. Und weil man zu Hause doch immer wieder in Muster verfällt, die man glaubt, abgelegt zu haben.

Es erfordert viel Feingefühl, herauszufinden, welche Beziehung der Andere zu seinen Eltern hat und wer der Mensch ist, den sie noch in dem Freund sehen. Man selbst kennt ihn schließlich bereits in einem ganz anderen Kontext. Bei der obligatorischen Hausführung fühlt es sich an, als würde ich mich durch ein riesiges Fotoalbum bewegen: Im Kinderzimmer hängen immer noch die Planetenposter, das Bett ist mit Star Wars Laken bezogen und von den Wänden grinst ein Markus mit Zahnspange. Solche Bilder gibt es von uns allen bei unseren Eltern, aber nicht alle davon würden wir freiwillig herzeigen. Und genau dieses unfreiwillige zur Schau stellen der Vergangenheit ist ein großer Vertrauensbeweis. Sonst haben schließlich nur Kinderfreundschaften diese Basis. Nur sie setzen sich eigentlich aus diesen Bildern zusammen. Dieser Ort ist nur ein Mosaikstück von Markus' Vergangenheit, aber jetzt teilen wir sie. Mit meinem Besuch lässt sich diese Zeit zwar nicht selbst erleben, aber ich habe ein Gefühl für sie bekommen und unsere Freundschaft eine neue Dimension: Ich weiß jetzt, was Markus meint, wenn er von "zu Hause" spricht. 

Mehr von Freunden für Freunde:

  • teilen
  • schließen