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DIY-Kommerz hat die echte Kreativität zu Weihnachten getötet
Ich stehe vor dem Regal mit Farbkarton und muss daran denken, wie ich acht Jahre alt bin und heule. Ich heule, weil ich mich beim Adventsbasteln am Lötkolben verbrannt habe und das nur, weil ich glaubte, die selbst gebastelte Weihnachtskarte könnte durch ein kleines Holzschild mit der Aufschrift „Mama“ noch aufgepimpt werden. Ich blicke von der wulstigen Narbe auf meiner rechten Hand auf, scanne mit meinem Blick die verschiedenen Papierbögen ab und denke darüber nach, womit ich meine Weihnachtskarten in diesem Jahr aufpimpen kann. Es ist Samstag in einem großen Einkaufszentrum im Kölner Osten. Das Bastelgeschäft, in dem ich stehe, bildet mit den gegenüberliegenden Geschäften eine Schneise, durch die sich an diesem Adventswochenende Hunderte Menschen drängen, die ihr zu knappes Geld für unnötige Weihnachtsgeschenke ausgeben sollen. Es ist stickig und stinkt nach Fett.
Neben mir entdecke ich einen Pappaufsteller mit „DIY cards“, neudeutsch für „selbst gebastelte Karten“. Es sind kleine Pakete, in denen Karten mit „Merry Christmas“-Aufdruck, Briefumschläge, weihnachtliche Sticker und sternförmiges Konfetti verpackt sind. Auf ihrer Rückseite steht die Bastelanleitung:
1. Passende Sticker auf Karte kleben
2. Umschlag mit Konfetti füllen
3. Umschlag mit Stickern verzieren
Gleich mache ich mir Sorgen, dass die Karten niemals ihre Empfänger erreichen werden, da die Schritte vier „Adresse draufschreiben“ und fünf „Zur Post bringen (Briefmarke nicht vergessen!)“ nicht aufgelistet sind. Dann denke ich darüber nach, warum ich eigentlich noch glaube, Pappkarton-Bögen für selbst gebastelte Karten zu brauchen, während andere einfach kleine Do-it-yourself-Päckchen kaufen, in denen schon alles drin ist.
Do-it-yourself, oder DIY, ist zu einer Art Gütesiegel geworden, das nicht nur online, sondern auch in der analogen Welt Kreativität, Mühe, Bedeutsamkeit und Demut verspricht. In Wahrheit hat DIY aber dafür gesorgt, dass man weder Kreativität noch Talent braucht, um Dinge „selbst zu machen“. Es ist die Sharing Economy der Bastelwelt: Die Ideenfindung, die Überlegungen zur Machbarkeit und die Umsetzung werden an Konzerne oder Internetplattformen (Instagram, Youtube oder Pinterest) outgesourct. Der Bastler oder die Bastlerin bekommt dann entweder alles bereits zusammengestellt und verpackt im Geschäft präsentiert oder die Inspo (neudeutsch für Inspiration) für DIY-Produkte online geliefert – zusammen mit Anleitung, Tipps und sogar Bestelllinks zu den Einzelteilen, so dass er oder sie nur noch wenige Teile zusammenstecken muss, um sich als talentiertes Genie feiern zu können.
In einer Welt, in der man permanent mit dem kopflosen Konsum der Einen und der markerschütternden Armut der Anderen konfrontiert ist, wird Selbstgemachtes immer mehr zu einem Lifestyle-Produkt und als Absage vom Konsumzwang verstanden: „Also ich verschenke dieses Jahr ja nur selbst gebastelte Geschenke“, sagt ein Typ, der hinter mir lang läuft, zu seiner Begleitung und meint damit eigentlich, „Ich bin euch allen nicht nur handwerklich, sondern auch moralisch überlegen!“
Ich gehe weiter in den Gang mit den Do-it-yourself-Seifen und bin mir sofort sicher, dass die Unmengen an DIY-Produkten den Konsumzwang wiederhergestellt haben – vorausgesetzt, es hat ihn jemals nicht gegeben. Denn hier wird vermittelt, dass eine Selfmade-Seife nur dann wirklich schön und verschenkenswert ist, wenn sie in Plastikformen zu Herzen oder Muscheln gepresst wurde, wenn sie durch Farb- und Geruchsstoffe bunt glitzert und intensiv riecht und wenn sie in einem hübschen Karton oder Tüte mit Sticker steckt, auf denen „My Soap Factory“ steht. Und weil das Wort „Fabrik“ im krassen Gegensatz zu „Einzelteil“ oder „etwas Besonderes“ steht, finde ich die Vorstellung, dass sich vor Weihnachten im ganzen Land WG-Küchen in Produktionsstädten für Seifen, Deos oder Marmeladen verwandeln, irgendwie abstoßend. Dass diese veredelten Produkte natürlich auch noch sehr viel mehr kosten als wenn man sie selbst in der heimischen Küche hergestellt hätte – die Factory will ja auch daran verdienen, ist nochmal eine ganz andere Diskussion.
Die einzige, noch größere Tugend, als selbst Gebasteltes zu schenken, ist, selbst gebastelte Geschenke ehrlich gut zu finden
Der Anspruch beim kommerziellen DIY ist es, ein selbst gemachtes Etwas zu erschaffen, das möglichst wenig von dem entsprechenden Industrieprodukt abweicht. Denn die einzige, noch größere Tugend, als selbst Gebasteltes zu schenken, ist, selbst gebastelte Geschenke ehrlich gut zu finden. Das ist nicht immer ganz einfach, denn nicht jeder kann einer windschiefen, getöpferten Butterdose ernsthaft etwas abgewinnen, wenn man sich doch eigentlich die Balenciaga Gürteltasche gewünscht hat. Das Gutfinden muss also möglichst niedrigschwellig sein und deswegen hat die findige Industrie dafür gesorgt, dass „selbst gemacht“ nicht notwendigerweise auch „eher hässlich“ oder „nicht zu gebrauchender Staubfänger“ bedeutet. Aus liebevoll gestalteten und kreativen Einzelteilen sind massenweise gleichförmige DIY-Erzeugnisse geworden.
Damit ist auch eine andere Grundfeste selbst gemachter Geschenke, völlig überflüssig geworden; dass sich jemand Gedanken gemacht hat. Denn auch das hat nun die Industrie übernommen. Das Aufkleben von vorgefertigten Schriftzügen auf vorgeschnittene Karten wird als kreative Errungenschaft gefeiert und zum Ausdruck von Liebe verklärt. Dabei wird völlig übersehen, dass Unvollkommenheit und Versagen nicht nur viel sympathischer sind, sondern auch die besseren Geschichten erzählen: „Hier Mama, ich habe mir zwar für deine Weihnachtskarte die Hand versengt, aber das bist du mir wert!“
Die stickige Luft im Bastelgeschäft macht mich müde und ich entscheide mich für die „DIY cards“. Ich hoffe, dass auch das Innere der Karte schon vorgedruckt ist: „Liebe Franzi, ich habe heute dieses wirklich langweilige, normkonforme Kartenset zum ‚selbst basteln’ gesehen und musste dabei an dich denken. Liebe Grüße und frohe Weihnachten.“