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Der Umgang mit Abtreibungen wird gerade wieder zum Politikum

Illustration: Lucia Götz

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Ich bin mit dem Gedanken aufgewachsen, dass Abtreibungen selbstverständlich möglich sind. Schwanger zu sein, hieß für mich nicht automatisch, ein Kind zu bekommen. Es hieß, schnell entscheiden zu müssen, ob man eines bekommen möchte. Ich habe mir deshalb zwar oft die Frage gestellt, ob ich selbst ein Kind abtreiben könnte – aber nie die danach, inwieweit Schwangerschaftsabbrüche generell möglich sein sollten.

Gerade wird aber das, was ich und viele andere als persönliche Entscheidung verstanden haben, wieder zum Politikum: Eine grüne Lokalpolitikerin ruft zum Boykott gegen ein Krankenhaus auf, das Schwangerschaften nur noch im medizinischen Notfall abbrechen will. Ein Stadtrat in Mannheim rappt gegen Abtreibung und zeigt reale Filmaufnahmen einer solchen in seinem Musikvideo. Ein prominenter Gynäkologe spricht davon, dass das Statistische Bundesamt die seit den 90er Jahren offiziell sinkenden Zahlen zu Schwangerschaftsabbrüchen schönen würde. Plötzlich finde ich mich im Freundes- und Kollegenkreis diskutierend wieder. Es scheint nicht mehr so klar, ob unser liberales Konzept zum Thema Abtreibung wirklich so selbstverständlich und von der Mehrheit gewollt ist.

Auch Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart, Direktor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, teilt meinen Eindruck: "Ich habe das Gefühl, es wird im Moment so viel und kontrovers über Schwangerschaftsabbrüche gesprochen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Vor allem die Stimmen der Abtreibungsgegner werden wieder lauter."

Wer Schwangerschaftsabbrüche ablehnt, empfindet sich selbst als Freund und die Anderen als Gegner des Lebens

Wenn Abtreibungsgegner teils schrill und unnachgiebig von verzweifelten Frauen mehr Respekt gegenüber dem ungeborenen Leben fordern, werde ich immer sauer. Ich fühle mich in meinen liberalen Wertvorstellungen angegriffen und irgendwie bevormundet. Und auch die meisten meiner Bekannten und viele Medien stempeln die Gegner oft als Frauenfeinde und Hinterwäldler ab, die sich gegen Aufklärung und Emanzipation stemmen. Wer Schwangerschaftsabbrüche ablehnt, empfindet sich selbst dagegen oft als Freund und die Anderen als Gegner des Lebens.

Und natürlich haben auch sie Begründungen für ihren Standpunkt – hören will die aber meistens keiner. Zumindest mir fällt jetzt, da das Thema wieder öffentlich diskutiert wird, auf, wie radikal gefestigt eigentlich meine eigene Meinung ist.

Aber woher kommt überhaupt dieser plötzliche Schwall an medialer und politischer Aufmerksamkeit für ein Thema, das eigentlich seit Jahren als persönlicher Konflikt betrachtet wird?

Laut Wolfgang Eckart gibt es mehrere Gründe dafür, dass die Diskussion wieder entfacht und besonders kontrovers ist. Er bezeichnet sie als komplexes Phänomen, das auch etwas mit den allgemeinen politischen Tendenzen unseres Landes zu tun hätte.

Zum einen findet sich die Bundesrepublik umgeben von Ländern wieder, die Schwangerschaftsabbrüche immer kritischer behandeln: "Da gibt es zum Beispiel die Forderung auf Abtreibungsverbot im katholischen Nachbarland Polen, aber auch den teils radikalen Konservativismus, der gerade mit der Aufmerksamkeitswelle für Trump nach Europa schwappt und den Abtreibungsgegnern hier neuen Schwung gibt", sagt Eckart. Vor seinem geistigen Auge tauchen aber auch AfD-Plakate auf, auf denen steht: "Bevölkerungszunahme vor allem durch ausländische Mütter". Darin schwingt schließlich auch eine Forderung an deutsche Frauen mit – à la "Ihr sollt mehr gebären!" Dass Schwangerschaftsabbrüche in dieses völkische Weltbild, das scheinbar immer noch viele Deutsche teilen, nicht hineinpassen, erklärt sich von selbst.

Vielleicht liegt mein Reflex, Abtreibungsgegner sofort in die Schublade "böse" zu stecken, auch daran: Meist lehnen extrem konservative Gruppen, die wir auch auf anderen Gebieten als rückschrittlich empfinden, Abtreibungen ab. Die Möglichkeit zum straffreien Schwangerschaftsabbruch dagegen gilt als Errungenschaft eines langen Kampfes für Frauenrechte.

Das weiß auch Prof. Dr. Robert Jütte, Medizinhistoriker und unter anderem Herausgeber des Buches "Geschichte der Abtreibung: von der Antike bis zur Gegenwart": "Schon in der Weimarer Republik setzten sich vor allem Kommunisten und Sozialisten, später dann Anhänger der 68er-Bewegung für einen liberaleren Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen ein. Spätestens im Jahr 1971, als sich 384 Frauen im Magazin 'Stern' öffentlich dazu bekannten, abgetrieben zu haben, rüttelten Frauenrechtler heftig an der damals restriktiven Regelung. Auch in den 90er Jahren gab es noch heftige Diskussionen – bis der sogenannte 'Abtreibungsparagraph' schließlich liberalisiert wurde."

Als Feministin stehe ich klar hinter dem Ergebnis. Aber wenn ich es genau bedenke, hat doch jeder von uns – egal ob für oder gegen Abtreibungen – das Gefühl, für die "richtige" Sache, für "das Gute" zu sein. Und wer keine böse Absicht verfolgt, sollte auch nicht als Unmensch gesehen oder behandelt werden. Ich finde deshalb: Wir müssten oft genauer hinschauen.

 

Schwangerschaftsabbrüche sind nach wie vor rechtswidrig und kein Arzt muss sie durchführen

Sehen wir uns zum Beispiel den Chefarzt an, der in seiner Abteilung keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen lassen wollte. Zugegeben – das war plakativ. Doch das eigentliche Problem daran war doch, dass er seine eigenen Moralvorstellungen auch auf das restliche Personal ausweiten wollte. An der persönlichen Entscheidung, keine Abtreibungen durchführen zu wollen, dürfte man im Grunde nichts Schlechtes sehen. Trotzdem wurde er von vielen Seiten auch dafür kritisiert.

Über die heftigen Reaktionen wurde mir eines bewusst: Viele Deutsche glauben scheinbar, ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu haben. Und folgern daraus, dass ein Arzt der Gynäkologie dazu verpflichtet wäre, ihnen dieses "Recht" zu ermöglichen. Dabei ist ein Schwangerschaftsabbruch gemäß dem Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch immer noch rechtswidrig und ein Verstoß gegen das Leben – der nur durch den Zusatz 218a unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft wird.

Wenn man diese Tatsache bedenkt, scheint selbstverständlich, dass ein Arzt das Recht hat, einen solchen Eingriff nicht durchführen zu müssen, solange er ihn mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Den Frauen steht es schließlich in den ersten zwölf Wochen ihrer Schwangerschaft ebenfalls frei, sich für oder gegen eine Abtreibung zu entscheiden.

Eckart zum Beispiel ist Christ und in den meisten Fällen der Meinung, dass es besser wäre, das Kind auszutragen und dann zur Adoption freizugeben. Er hat sich als nicht praktizierender Arzt zwar noch nie in der Entscheidungsnot befunden, glaubt allerdings, dass er Schwangerschaften deshalb – außer im Notfall – nicht abbrechen wollen würde. Trotzdem verurteilt er weder Kollegen, die solche Abbrüche durchführen, noch Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden.

Viele beanspruchen Allgemeingültigkeit für ihre moralischen Vorstellungen – das ist das Problem

Und genau dieser Ansatz ist doch eigentlich das, was wir als Mitglieder einer aufgeklärten Gesellschaft alle gemein haben sollten: Die Möglichkeit und den Mut, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen (Danke, Kant!) und gleichzeitig Respekt für die Entscheidungen anderer aufbringen zu können.

Tatsächlich ist das Problem also nicht, dass es verschiedene Meinungen zum Thema gibt. Vielmehr ist problematisch, dass fast ausschließlich solche Menschen Abtreibungen in der Öffentlichkeit diskutieren, die ihre moralischen Vorstellungen für so stark halten, dass sie dafür Allgemeingültigkeit beanspruchen wollen. Auch Eckart erkennt darin eine Gefahr: "Wer seine eigenen Vorstellungen um jeden Preis auf Andere übertragen möchte, versucht ihnen den Denkprozess zu entreißen und macht damit die Gesellschaft unfrei."

Eckart kann sich jedenfalls vorstellen, dass der kontroverse Diskurs Folgen für die Gesetzgebung haben könnte: Zwar denkt er, dass die Frage "Wie sollen wir mit Flüchtlingen umgehen?" die Abtreibungsthematik noch lange überlappen kann. Langfristig gesehen glaubt er aber, dass die demografische Problematik wieder in den Vordergrund rücken wird – gerade auch im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage: "Denn es gibt immer noch starke Kräfte, die den Zustrom des 'Nichtdeutschen' negativ wahrnehmen. Diese völkischen Nationalismen werden früher oder später bei der Frage nach Demografie landen und dann sind wir auch automatisch bei der Frage nach Natalität und Abtreibung: Inwieweit darf der Staat eingreifen?"

Jütte währenddessen ist sich einer Sache sicher: "Abtreibungen sind ein Menschheitsphänomen, das seit jeher praktiziert wird. Egal, wie die Frage der Abtreibung rechtlich oder normativ gehändelt wird – solange sich die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Welt nicht ändern, wird es immer Frauen geben, die abtreiben wollen und abtreiben werden."

Für mich ist diese Aussage der beste Grund für unseren Staat, den Paragraphen 218 in seiner liberalen Form zu belassen. Denn so ist wenigstens garantiert, dass Frauen sich frei von Ängsten vor Strafe professionell beraten und behandeln lassen können. Letzterer ist wahrscheinlich der wichtigste Vorteil der Straffreiheit – denn aus anderen Zeiten und Ländern wissen wir: Schwangerschaftsabbrüche gefährden ohne ärztliche Unterstützung auch häufig das Leben der Mutter.

Trotzdem sollten wir nicht verbal auf Menschen einprügeln, die aufgrund religiöser oder moralischer Vorstellungen gegen jede Form von Abtreibung sind. In deren Köpfen fängt das Leben eben schon ein wenig früher an, als für den Rest von uns. Und dass man nicht töten soll – darauf sollten sich nun wirklich die allermeisten Menschen einigen können.

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